Lichtblick

Zeitschriftenschauf Man kann nicht alles haben. In Deutschland zum Beispiel fehlt erstens ein linkes Wirtschaftsblatt, zweitens eine wissenschaftliche Zeitschrift für ...

Man kann nicht alles haben. In Deutschland zum Beispiel fehlt erstens ein linkes Wirtschaftsblatt, zweitens eine wissenschaftliche Zeitschrift für Ökonomie jenseits des marktliberalen Mainstream. Wir haben also kein aufklärerisches populäres Gegenstück zu managermagazin und Handelsblatt. In den USA dagegen gibt Doug Henwood einen Left Business Observer heraus und finanziert diesen mit seinen Einkünften aus einem Branchendienst für Börsianer. In Frankreich hat eine linke Ökonomie-Zeitung sogar Massenauflagen.

Dass in Deutschland überdies ein wissenschaftliches Fachorgan für Ökonomie eine Art akademische Opposition zur offiziellen Lehre der Fakultäten organisieren könnte - das erscheint ohnehin nur wie ein tollkühner Traum. Man glaubt, so etwas könnten sich nur berufliche Selbstmörder leisten.

Und so reibt man sich denn die Augen angesichts eines publizistischen Ereignisses, dessen Unmöglichkeit leicht zu beweisen, dessen Existenz aber nunmehr nicht mehr zu bestreiten ist. Es handelt sich um eine neue "Zeitschrift für Ökonomie", die sich, um an ihrem Ehrgeiz keinen Zweifel zu lassen, im Untertitel gleich noch Journal of Economics nennt. Man weiß: in Großbritannien hat Keynes einst ein solches Blatt redigiert. Der Haupttitel des Periodikums heißt Intervention.

Es wird von jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gemacht, die ihre akademische Ausbildung meist erst unlängst abgeschlossen haben und nun mehrheitlich in gewerkschaftlichen oder gewerkschaftsnahen Apparaten arbeiten. Ein Physikprofessor ist auch dabei. Dem Beirat von Intervention gehören Ökonomen aus den USA, Österreich, Großbritannien, Australien an, aus der BRD unter anderem Jörg Huffschmid, Birger P. Priddat und Jürgen Kromphardt, der bis vor kurzem Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung gewesen ist. Das Editorial - Deutsch und Englisch - stellt fest, dass sich Wirtschaftsgeschehen nicht auf einen einzigen paradigmatischen Kern reduzieren lasse. Damit wird Heterodoxie zum Programm.

Bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass wir es mit einer Art Doppel-Zeitschrift zu tun haben - Intervention zerfällt nämlich in zwei Teile. Der erste enthält wirtschaftspolitische Stellungnahmen. Jürgen Kromphardt legt in der Nr. 1 dar, dass es für Deutschland keinen Grund gebe, das Lohnniveau generell zu senken. In der Frage der Vermögenssteuer ist er deutlich zurückhaltender, als seinem Interviewer wohl lieb gewesen wäre. James K. Galbraith analysiert "The American Economic Problem" und kommt zu dem Ergebnis, dass eine Fortsetzung von Bushs Politik der EU Konkurrenzvorteile bringen könne. Barbara Fritz untersucht die Politik der UNCTAD, Nadja Rakowitz sieht in der rotgrünen Gesundheitsreform eine "Modernisierung als Umverteilung". Heiner Flassbeck, 1998/99 Lafontaines Staatssekretär, kritisiert "Beliebigkeit als Prinzip" der deutschen Wirtschaftspolitik.

Und das soll dann nur eine Vorspeise gewesen sein. Es folgt der wissenschaftliche, der unfangreichere Teil: "Artikel/Articles", die, wie die Redaktion beteuert, "ein Begutachtungsverfahren durchlaufen haben".

Dezidiert marxistische Beiträge fehlen, sie wurden wohl nicht eingereicht. Es überwiegt ein radikaler Keynesianismus, von einem der Autoren als "Post-Keynesianismus" bezeichnet. Es mag sein, dass er das Äußerste ist, was gegenwärtig nach dem wissenschaftlichen Standard, der hier vorgegeben ist, dargestellt werden kann. Insofern wäre diese Zeitschrift auch eine Herausforderung an Marxisten, hier aufzuholen. Ganz offenbar führt kein Weg darum herum, die neoklassischen Annahmen zunächst auf ihrer eigenen Grundlage zu zerlegen. Marx hat das nicht viel anders gemacht.

Layout und Druck der Zeitschrift entsprechen dem Anspruch, den Keynes "Fine Printing" genannt hätte. Intervention erscheint halbjährlich. Das nächste Heft wird einen Schwerpunkt zu finanzpolitischen Fragen haben. - Die Zeitschrift ist ein Lichtblick. Möge sie lange bleiben und gedeihen.

Intervention. Zeitschrift für Ökonomie/Journal of Economics. Jahrgang 1 (2004), Heft 1/Volume 1 (2004) Number 1. www.zeitschrift-intervention.de/, www.journal-intervention.org


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