Mann im Beiwagen

Porträt Jörg Meuthen ist als Ko-Vorsitzender liberal-konservatives Alibi einer immer weiter nach rechts rückenden AfD
Ausgabe 16/2016

Als im Juli 2015 der Gründer und Vorsitzende der „Alternative für Deutschland“, Bernd Lucke, auf einem Parteitag in Essen gestürzt wurde und anschließend die AfD verließ, hätte angenommen werden können, dass sein Gefolgsmann Jörg Meuthen, bislang vor allem auf regionaler Ebene in Baden-Württemberg aktiv, ihm folgen werde. Beide stimmen in ihren marktliberalen Auffassungen überein, Rechtsextreme sind sie nicht.

Das Gegenteil des zu Erwartenden geschah: Auf demselben Parteitag, mit dem sich die AfD Luckes entledigte, stieg Meuthen zu einem ihrer beiden Sprecher – neben Frauke Petry – auf. Manche werden annehmen, er habe sich dazu hergegeben, um das Schlimmste zu verhindern und den Pegida-Flügel zu bremsen. Der konnte ihn als liberales Aushängeschild gebrauchen. Wer der Hund ist und wer der Schwanz, mochte sich später zeigen. In der Folgezeit legte sich Frauke Petry deutlicher als Meuthen mit dem rechten Parteiflügel an, dem sie ihren Sieg von Essen verdankte. Aus dieser Richtung wird sie vor dem Parteitag Ende April in Stuttgart zunehmend angegriffen. Ihr Job an der Spitze ist derzeit wackeliger als der Meuthens. Es ist nicht auszuschließen, dass er sie politisch überlebt.

Meuthens Aufstieg in einer Situation der Polarisierung war wohl auch durch eine gepflegte Unauffälligkeit begünstigt, die seinen bisherigen Lebenslauf bestimmt hatte. 1961 in einem Arbeiterviertel Essens als Sohn eines Versicherungskaufmanns geboren, studierte er Volkswirtschaftslehre, war Universitätsassistent, arbeitete einige Jahre im hessischen Finanzministerium und wurde danach Professor an der Verwaltungshochschule Kehl – ein Beispiel für den heute üblichen Transfer mittlerer Kader zwischen angewandter und theoretischer Wissenschaft. In den 80er Jahren sympathisierte er mit der FDP, wandte sich aber von ihr ab, als sie die von Norbert Blüm (CDU) durchgesetzte Pflegeversicherung akzeptierte.

Meuthen bezeichnet sich selbst als liberal-konservativ. Darunter versteht man in der Regel die Kombination von betonter Marktfreundlichkeit mit dem Bekenntnis zu traditionellen, sei es religiösen, sei es nationalen oder familienpolitischen Werten. Meuthen erzählt, er habe durch Joseph Ratzinger zum katholischen Glauben zurückgefunden, ist demonstrativer Familienvater und hat fünf Kinder. Der „Alternative für Deutschland“ schloss er sich nach der Bundestagswahl 2013 an. Seit dem Sieg der AfD in Baden-Württemberg am 13. März führt er deren Landtagsfraktion und verfügt so innerparteilich über eine stabile Position. Verbindlich und höflich, rhetorisch gewandt, verkörpert er ähnlichen, scheinbar passiven Machtgebrauch wie Angela Merkel und Winfried Kretschmann.

Eine Art politisches Credo trug er auf dem Nominierungsparteitag für den Stuttgarter Landtag am 24. Oktober 2015 in Horb vor. Dort forderte er eine Zuzugsbegrenzung für Flüchtlinge und eine Ergänzung des Asyl-Artikels 16a – „Näheres bestimmt ein Bundesgesetz“. Damit wäre die Zufluchtsgarantie de facto aus der Verfassung gekippt und zur Disposition von jeweiliger Opportunitätslegislatur gestellt. Gern verweist Meuthen darauf, die CDU habe dies einst selbst propagiert, sei diesem Vorhaben aber inzwischen untreu geworden. Er befürwortete schon im Oktober 2015, dass Flüchtlinge in Auffangzentren an der EU-Peripherie festgehalten werden, legte aber Wert darauf, kein Ausländerfeind zu sein. Seine Frau und er hätten die Patenschaft für fünf Kinder in Afrika übernommen. Weniger detailliert äußerte er sich zur Inneren Sicherheit. Hier genügte es ihm, ihre Wichtigkeit zu betonen und eine personell verstärkte Polizei zu verlangen.

Schließlich bekennt er sich zum leistungsforcierten dreigliedrigen Schulsystem. Hier dürfte Bayern Vorbild sein. Der angeblichen Verstaatlichung der Kinder durch öffentliche Ganztagsbetreuung müsse Einhalt geboten werden. Dies richtete sich gegen die bisherige grün-rote Koalition in Stuttgart, und die neue grün-schwarze Regierung, vor allem die CDU, wird in die Bringschuld versetzt.

Das ist konservativ, rechts, aber nicht extremistisch. Dazwischen gegrölter Beifall während der Rede in Horb signalisierte, dass ein Teil seiner Kundschaft ihn dahingehend verstanden zu haben meinte, dass man mehr in seinem Vortrag hören könne als gesagt wurde. Gleich zu Anfang bat er um Verständnis dafür, dass die gemäßigte Diktion ihm mehr liege als die deftige.

Meuthens Klaviatur reicht bis zum Lob der direkten Demokratie, hier schwebt ihm eine „Verschweizerung“ Deutschlands vor – eine schwer anfechtbare Lesart des Populismus. Er repräsentiert am ehesten die Wählerinnen und Wähler, die aus der CDU zur AfD herübergewandert sind, weil sie Merkels Flüchtlings- und Euro-Rettungspolitik missbilligen. Doch handelt es sich um keine AfD-Stammkundschaft, ebenso wenig wie der Lucke-Restflügel, der wohl wieder von der FDP angezogen wird. Deshalb sollen die Höcke-Anhänger gehalten werden. Sie sind insofern die Treuesten der Treuen, als sie – wollen sie nicht mit der NPD ins Abseits geraten – keine Alternative zur AfD haben. Sie sind es, von denen die Partei programmatisch nach rechts gedrängt wird. Je mehr ihnen dies gelingt, desto sicherer kann sich Meuthen fühlen. Der Stoß geht gegen Petry, nicht gegen ihn. Stürzt sie und wird irgendwann durch eine noch rechtere Figur ersetzt, wird er noch unentbehrlicher. Er bleibt im Beiwagen. Dort wird nicht gebremst.

In seiner Rede von Horb warf er der Kanzlerin Scheinheiligkeit vor. Sie rede von offenen Grenzen und lasse Erdoğan die grobe Arbeit machen. Gleiches ließe sich auch von seinem innerparteilichen Kurs sagen.

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