Die SPD ist zur Zeit sehr mit ihrer Programmdebatte beschäftigt. Deren hauptsächliche Botschaft soll sein, dass die deutsche Sozialdemokratie ihr soziales Profil schärfe. Man ist aber in einer großen Koalition. Als deren Mitglied beschloss die SPD die Rente mit 67. Es gab nur 15 sozialdemokratische Abweichler(innen). Demnächst kommt die Unternehmenssteuerreform: Den Kapitalisten werden acht Milliarden geschenkt, die 30 Milliarden Mehrwertsteuer-Erhöhung (seit 1. Januar 2007) belasten vor allem die kleinen Einkommen.
Die SPD hat der Entsendung von Tornados nach Afghanistan zugestimmt. Immerhin: 69 Abgeordnete votierten mit Nein. Aber diese Dissidenz blieb weitgehend stumm: Die "parlamentarische Linke" in der SPD hat keine identifizierbare Plattform. Überdies wurde der sozialdemokratischen Tornado-Opposition die Show gestohlen durch die Unionsabgeordneten Gauweiler und Wimmer, die vor dem Bundesverfassungsgericht klagten. Zwar wurden sie aus formalen Gründen abgewiesen, aber ihr Argument, Deutschland reihe sich in einen völkerrechtswidrigen Krieg der USA ein, ist hörbarer gewesen als das schiere Stimmverhalten ihrer linkssozialdemokratischen Kollegen. Jetzt werden diese auch noch mit ansehen müssen, dass die Fraktion der Linkspartei das Klagerecht, das Gauweiler und Wimmer nicht haben, in Karlsruhe wahrnimmt.
Was tun? Beck versucht es mit Bereichsopposition. Die wurde in Österreich in der langen Zeit der dortigen großen Koalitionen erfunden. ÖVP und SPÖ kritisierten jeweils die Ressorts, die von der gegnerischen Partei verwaltet wurden. Das bedeutet, dass Beck nicht den Arbeitsminister Müntefering (Hartz IV, Rente mit 67) und die Sozialministerin Schmidt (Teilprivatisierung der Krankenversicherung) angreifen darf, also zentrale Gebiete sozialdemokratischer Politik schonend übersehen muss. Stattdessen wandte er sich gegen Ursula von der Leyen. Sie war so unverschämt, ein anderes sozialdemokratisches Thema zu besetzen: Verdreifachung der Zahl der Kinderkrippen. Beck verlangte von ihr Finanzierungsvorschläge. Seine eigenen laufen darauf hinaus, dass die Voraussetzung einer ausreichenden Versorgung mit Krippenplätzen vermieden wird: ein skandinavisches Steuersystem.
Wenn es Ärger mit der Union gibt, besonders mit deren Ministerpräsidenten, fordern sozialdemokratische Politiker die Kanzlerin auf, sie müsse ein Machtwort sprechen. Das soll Aufsässigkeit simulieren und wirkt jedoch nur subaltern.
Die Umfragewerte der SPD im Bund liegen unter 30 Prozent. Blickt man sich auf Landes- und Kommunalebene um, wird es auch nicht heiterer: In Wiesbaden hat die SPD vergessen, den Wahlvorschlag für ihren Oberbürgermeisterkandidaten rechtzeitig einzureichen. Der Stadtvorstand trat zurück, er gehörte zum linken Flügel. In Frankfurt/ Main kam der sozialdemokratische Oberbürgermeisterkandidat gerade mal auf 27,5 Prozent. Als in Hamburg in einer Urabstimmung über die Spitzenkandidatur bei der Bürgerschaftswahl entschieden werden sollte, wurden Stimmzettel entwendet. Man fand einen prominenten Verlegenheitskandidaten: den ehemaligen Staatsminister für Kultur, Michael Naumann. In seiner ersten inhaltlichen Stellungnahme wandte er sich gegen den Solidarpakt II (Finanztransfers in die neuen Länder). Es gehe nicht an, dass die Stadt mit der dritthöchsten Pro-Kopf-Verschuldung jährlich eine halbe Milliarde bezahlen müsse. Er vergaß zu erwähnen (und möchte es auch nicht ändern), dass nicht wenige Hamburger Millionäre praktisch keine Steuern entrichten. Abweichend von der Beschlusslage seines Landesverbandes findet Naumann Studiengebühren akzeptabel.
Wenn die SPD so die Mitte sucht, könnte vermutet werden, dass die künftige Linkspartei etwas davon hat. Als deren Oberbürgermeisterkandidat in Frankfurt/Main 5,9 Prozent erzielte, wurde sie fast ohnmächtig vor Freude. In Wiesbaden profitierten die Grünen (25,8 Prozent) von der Nichtkandidatur der SPD. Die Umfragewerte der Linken auf Bundesebene pendeln um das Bundestagswahlergebnis von 2005. Verliert sie die nächsten Landtagswahlen, kann sie das nach unten reißen, ein Erfolg mag ihr einige Zeit Auftrieb geben.
Das ist aber nur die Oberfläche. Schon als es nur die PDS gab, haben deren Führer zutreffend darauf hingewiesen, dass sie auf Dauer die Ausdehnung in die alten Bundesländer benötige. Geht man zwecks Beobachtung dicht an den Teil der Westlinken heran, der hierfür zur Verfügung steht, fällt das Ergebnis nicht imponierend aus. Die Implantation der PDS zwischen Kiel und München war eine Ferngründung wie einst die der DKP. So weit deren Promille-Ergebnisse geringfügig übertroffen wurden, lag das an der Möglichkeit, die eigenen wenigen Stimmen einem größeren Paket im Osten hinzu zu fügen. Sie waren damit - anders als früher - nicht mit Sicherheit verloren. Das WASG-Segment lässt sich klar umreißen: ältere Gewerkschaftsgeneration. Beide Kerne haben seit 2005 nicht wesentlich hinzu gewonnen.
Vor 1933 gab es in Deutschland den so genannten "Zentrums-Turm": eine stabile Wählerschaft des politischen Katholizismus, die aber nicht ausgeweitet werden konnte. Vielleicht gilt dies gegenwärtig auch für das gemeinsame Potenzial von SPD und künftiger Linkspartei: ein "sozialdemokratischer Turm" mit einer eher ungewissen Möglichkeit, dass dessen linkere Komponente sich zu Lasten der Regierungspartei ausdehnt. Realität ist daraus bisher noch nicht geworden. Eine gemeinsame Erosion könnte die andere, weniger angenehme Perspektive sein. Kurt Beck fällt vorerst nichts anderes ein, als sich wie ein vorsichtiger Börsianer zu verhalten: die eigenen Anteile halten, sich nicht verrückt machen lassen. Vielleicht gibt es irgendwann ja eine Wende zum Besseren. Bis dahin gilt das Kalkül des Mikado-Spiels, das sich zugleich in Beamten-Witzen findet: Möglichst wenig Bewegung! Es könnte die falsche sein.
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