Partei kaputt, Kanzler heil

ENTSCHÄDIGUNG Schröder will nun die SPD von oben umgründen

Vier Jahre sind doch eine ziemlich lange Zeit. Den jeweiligen Bundeskanzler, wenn er denn wiedergewählt werden will, interessieren in der Regel nur die letzten zwölf Monate. Vorher kann viel geschehen, ohne dass daraus zu folgern ist, wer schließlich die Nase vorn haben wird.

Der Fernseh-Auftritt Gerhard Schröders am Abend des 5. September ließ keinen Zweifel daran, dass er so denkt. Die Parteien, welche die Bundesregierung stellen, schneiden halt zwischendurch mal in den Ländern schlecht ab, das ist nichts Neues. Das Ergebnis an der Saar wird dem Kanzler wahrscheinlich sogar recht sein. Mit Klimmts Sturz hat Lafontaine endgültig verloren. Von diesem Bundesland aus wird keine innerparteiliche Opposition mehr angeführt werden. Wer es versucht, dürfte vom Kanzler zu hören bekommen, er solle erst einmal lernen, wie man Wahlen gewinnt.

Partei kaputt, Kanzler heil? So kann man es sehen, aber der Vorsitzende wird es wohl nicht dabei bewenden lassen. Müntefering soll die SPD gleichsam von oben her umgründen. Sein Job wäre leichter, könnte er sich jetzt auf einen Schub karrierebewusster junger Leute stützen. Parteinachwuchs sieht heute so aus, bei allen. In der SPD hat sich ja auch schon eine solche Kohorte von Jungparlamentarier(inne)n zu Wort gemeldet.

Es wird aber zu lange dauern, bis die Alten weg sind, die noch nach Wahlkundgebungen mit Willy Brandt eingetreten sind. An der Basis der Partei diskutiert man zur Zeit sehr merkwürdig. Der Trend geht so: »Ja zu Eichels Sparpaket - Nein zum Blair-Schröder-Papier. Wir brauchen kein neues Grundsatz-Programm«. Damit kann der Kanzler sehr gut leben. Seine Genossinnen und Genossen reden sich ein, es bestehe ein Gegensatz zwischen dem Blair-Schröder-Papier einerseits und Eichels Haushaltsvorschlägen andererseits. Richtig ist, dass die Pläne des Finanzministers nicht einfach eine Umsetzung jenes merkwürdigen Aufsatzes über die Neue Mitte sind. Sie stehen der Verwirklichung des Blair-Schröder-Papiers aber nicht im Wege. Sind sie durchgesetzt, darf in der Programmfrage das Herz auch mal wieder links schlagen.

Ein solcher Zustand relativiert natürlich den hübschen Erfolg der PDS in Brandenburg. Seit Gysis Zwölf Thesen hat die Partei einigermaßen klargemacht, was sie unter sozialer Gerechtigkeit versteht. Ungewiss bleibt, ob sie dies tatsächlich zu einer Option auch in den westlichen Ländern machen kann. Gelingt es nicht, bliebe selbst eine weitere rot-rote Koalition, diesmal in Brandenburg, ein rein regionales Ereignis.

Der Außenminister wird die Niederlage seiner Grünen mit ähnlicher Gelassenheit betrachten wie der Kanzler den Einbruch der SPD. Dieses Ereignis arbeitet seinen Plänen für eine Parteireform zu. Man kann sich innerorganisatorisch aber auch totsiegen. Wird Fischer irgendwann einmal als Retter in der Not gerufen und als Vorsitzender inthronisiert, könnte es heißen: Operation gelungen, Patientin tot - so dass das Amt für den großen Mann nicht mehr attraktiv ist. Vorerst aber ist die Chance von Bündnis 90/Die Grünen als »Funktionspartei« noch nicht endgültig vorbei. Fischer kann - angesichts seiner guten Umfragewerte - für 2002 einen Genscher-Effekt erhoffen: die totgesagte FDP war in der Vergangenheit immer wieder einmal nur wegen ihres Außenministers und zur Rettung einer Regierung gewählt worden.

Das setzt allerdings voraus, dass die jetzige Koalition weiter gewünscht wird. Um dies zu untersuchen, müssen wir fragen, was da am 27. September 1998 eigentlich gewählt worden ist. Antwort: der »Wechsel«. Irgendwie hatte der schon etwas mit der Hoffnung auf mehr soziale Gerechtigkeit zu tun. Nach einem Jahr hat das Publikum gemerkt, dass nur ein Revirement innerhalb eines weiterbestehenden Stillstands stattgefunden hat. Jetzt will es ein bisschen Wechsel mit der CDU. Solange die noch kein attraktives Kanzlerkandidaten-Gesicht hat, kann Schröder ruhigbleiben. Siegt Rühe nächstes Jahr in Schleswig-Holstein, sieht das schon anders aus. Von einer neuen Wende-Hoffnung könnte dann auch wieder die FDP - trotz ihrer jetzigen Niederlagen - profitieren.

Aber das sind Spielchen an der Oberfläche. Wichtiger sind irreversible Veränderungen, die schon stattgefunden haben: die Beteiligung der Bundesrepublik an einem Angriffskrieg zum Beispiel und der Einstieg in den Ausstieg aus Konrad Adenauers Rentenmodell von 1957. Das ist »Wechsel« en gros, nur eben andersherum. Insofern kann Schröder schon jetzt als ein effizienter Kanzler gelten.

Es gibt Risiken. Wer die Schnauze voll hat, bleibt erst einmal bei der Wahl weg. Das ist jetzt vor allem in Brandenburg passiert. Im Osten ein Dauer-Trend nach 1990 - im Westen gab es das schon einmal Mitte dieses Jahrzehnts. Als dann ein Wechsel greifbar war, belebte sich das Geschäft wieder. Im Saarland, wo es noch um eine Alternative ging, waren die Enthaltungen weniger zahlreich. Aber niemand kann sich darauf verlassen, dass es mit diesen Schaukeleien: Hoffnungen - Regierungswechsel - Enttäuschung - Enthaltung - neue Hoffnungen - wieder eine neue Regierung - nächste Enttäuschung ... ewig so weitergehen wird. Geschieht das zu oft, kann sogar die Parole von der sozialen Gerechtigkeit - wenn von CDU und SPD nur aus Wahlkampfgründen benutzt - zum Demagogie-Material der äußersten Rechten werden. Die DVU hat in Brandenburg damit schon Reklame gemacht.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Die Vielfalt feiern – den Freitag schenken. Bewegte Zeiten fordern weise Geschenke. Mit dem Freitag schenken Sie Ihren Liebsten kluge Stimmen, neue Perspektiven und offene Debatten. Und sparen dabei 30%.

Print

Für 6 oder 12 Monate
inkl. hochwertiger Weihnachtsprämie

Jetzt sichern

Digital

Mit Gutscheinen für
1, 6 oder 12 Monate

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden