Was Oskar Lafontaine vor einigen Wochen auf einer Kundgebung in Chemnitz sagte, kann nicht missverstanden werden: "Der Staat ist verpflichtet zu verhindern, dass Familienväter und Frauen arbeitslos werden, weil Fremdarbeiter ihnen zu Billiglöhnen die Arbeitsplätze wegnehmen."
Wer glätten will, wird sich auf den wirtschafts- und sozialpolitischen Anlass dieses Ausbruchs beschränken wollen. Die Unternehmer möchten den Flächentarifvertrag los sein. Wenn Menschen aus Niedriglohnländern die hiesigen Erwerbseinkommen unterbieten, dann kostet das Jobs auf dem deutschen Arbeitsmarkt.
Der Freiburger Historiker Ulrich Herbert hat darauf hingewiesen, dass "Fremdarbeiter" kein ursprünglich faschistischer Begriff ist. Dieser wurde schon vor 1933, ja vor 1914 für Polinnen und Polen sowie Italiener gebraucht, die saisonweise in der Landwirtschaft und auch auf Dauer im Bergbau beschäftigt waren. Sie hatten keine politischen Rechte. Die Nazis ersetzten ab 1939 die ökonomische Zwangslage dieser Menschen durch Verschleppung: die Zwangsarbeiter wurden jetzt mit dem älteren Begriff "Fremdarbeiter" belegt, und das war dann schon eine Verharmlosung.
Lafontaine hat später erläutert, dass die illegalen ausländischen Arbeiter oft unter menschenunwürdigen Umständen leben müssen. Seine Vorschläge zur Wirtschaftspolitik zielen auf europaweite Lohnstandards, die das Dumping ausschließen. Die offizielle Politik geht in die umgekehrte Richtung. Wird die geplante Dienstleistungsrichtlinie der EU Wirklichkeit, dann können hierzulande völlig legal die Entgelte von Firmen gezahlt werden, die ihren Hauptsitz tatsächlich oder fiktiv in Niedriglohnländern haben. Das kostet Arbeitsplätze in Deutschland, und staatliche Regeln sollen das verhindern.
So meint es Lafontaine, aber gesagt hat er es anders. Er machte die Fremdarbeiter von Objekten zu Subjekten. Hätte er festgestellt, dass die Unternehmer durch die Beschäftigung unterbezahlter ausländischer Arbeitskräfte hiesige Familienväter und Frauen brotlos machen, wäre das eine schlichte Wahrheit gewesen. Er machte die Fremdarbeiter zu Tätern: sie nähmen Jobs weg.
Oskar Lafontaine ist ein Profi, also ist es kein Ausrutscher. Zwar hat er den Terminus "Fremdarbeiter" inzwischen nicht mehr benutzt, widerrufen hat er aber ebenfalls nicht. Dies ist Teil seiner Wahlkampfstrategie. Sie zielt auf Menschen, die weder durch die bisherige PDS (Ostklientel) noch durch die WASG (im Ruhestand lebende und hauptamtliche Gewerkschaftsfunktionäre und deren Umfeld) erreicht werden. Es sind keineswegs ausschließlich die Stammwähler der SPD. Diese werden sich als überraschend resistent erweisen. Gerade bei den typischen Alt-Sozialdemokraten sind die vereinsstabilisierenden Sekundärtugenden intakt: in der Stunde der Not gehe man nicht zu einer anderen Partei.
Soweit jetzt dennoch von der SPD etwas zum ehemaligen Vorsitzenden hinüber wechselt, ist dieser Menschengruppe das von ihm verwandte Vokabular nicht völlig unvertraut. Als 1999 Roland Koch in Hessen Unterschriften gegen die doppelte Staatsbürgerschaft sammelte, standen ganze sozialdemokratische Ortsvereine vor den Infoständen der CDU Schlange. Lafontaine findet: die gehören da nicht hin.
Noch mehr verspricht er sich offenbar von den Nichtwählern. Umfragen zeigen, dass die Linkspartei und ihre Verbündeten von hier Zuzug zu erwarten haben. Indem Lafontaine ausgerechnet in Chemnitz von Fremdarbeitern sprach, zielte er offenbar auch auf NPD-Anhang, dem er zugute hält, dass nicht Fascho-Ideologie, sondern dumpfe Wut ihn zu den Nazis trieb.
Seine Überlegungen zur Folter stellte Oskar Lafontaine in der BILD-Zeitung an. Er traf dabei aber durchaus auch eine Reflexzone gebildeter Krimi-Leser, die den in Grenzsituationen aufbrausend zuschlagenden sympathischen Schimanski-Typ leicht schaudernd akzeptieren.
Im Ergebnis führt er - folgt man den neuesten Umfragen - persönlich der Linkspartei zirka sechs Prozent zu. Auf die WASG entfallen zwei v.H. (Nordrhein-Westfalen 2005), auf die ehemalige PDS vier (Bundestagswahl 2002). Offenbar ist Lafontaine der Ansicht, dass eine Volkspartei ohne Anknüpfung an Volks-Vorurteile nicht zu haben ist und dass diesen Weg gehen muss, wer - anders als die ausschließlich bürgerlichen Parteien Bündnis ´90/Die Grünen und FDP - sich nicht auf eine klar umrissene Ober- oder Mittelschicht stützt, die unverdrossen sich selber wählt.
Irgendwann nach der Wahl wird darüber zu diskutieren sein, wie links in Deutschland überhaupt eine Volkspartei sein kann.
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