Siebt man die Erträge des diesjährigen Sommerlochs, bleibt als wichtigster Fund die Debatte um eine etwaige Erhöhung des Arbeitslosengeldes II. Wichtig ist, was von einer Fülle an Meldungen zu diesem Thema beim Publikum, das nicht ins Detail gehen muss, ankommt. Das wird es wohl sein: Der Vorschlag kam zunächst von Politikern der Union, der Finanzminister Steinbrück (SPD) bremst, Müntefering (ebenfalls SPD) knüpft die Zustimmung an die gleichzeitige Einführung eines Mindestlohns. Also: 1:0 für CDU/CSU.
Dass Sozialleistungen (falls man sie nicht völlig ablehnt) an die Inflation angepasst werden müssen, ist eine rechnerische Einsicht, für die man sich nicht vorher politisch zu irgendetwas bekennen muss. Es ist unumstritten - anders als die Sache mit dem Mindestlohn, für den es Pro- und Gegenargumente gibt. (Es sei denn, man ist links, aber das ist, wenn angeblich das Heil in der Mitte gesucht werden muss, nicht so wichtig.) Müntefering weiß, dass sein Vorschlag nicht für die aktuelle Regierungspolitik taugt: In dieser großen Koalition kriegt er das nicht durch. Als unmittelbar anzuwendende Politik ist es auch gar nicht gemeint, sondern für die künftigen Wahlkämpfe: 2008 in Hessen, Niedersachsen, Hamburg, 2009 im Bund.
Jetzt geht es darum, "gut aufgestellt" zu sein. Die Redensart ist wichtig, denn sie kommt aus der Fußballer- und der Betriebswirte-Sprache. Zu den Wahlkampf-Vorbereitungen gehört der Versuch, mit den Gewerkschaften wieder ins Reine zu kommen. Ob das gelingt, ist nicht sicher. Man plant, Dietmar Hexel, eines der farblosesten Mitglieder des DGB-Bundesvorstandes, beim nächsten Parteitag auch in den Vorstand der SPD wählen zu lassen. Dort soll er Ursula Engelen-Kefer - angeblich zu alt, gemeint ist: zu links - verdrängen. Seine Partei hat gerade darauf hingewiesen, mit einer Ausnahme (Bsirske) seien alle Vorsitzenden der Einzelgewerkschaften Sozialdemokraten. Eine Reklamewirkung dürfte begrenzt sein, nicht nur in der Mitte, sondern auch dort, wohin die Nachricht gezielt war: links unten. Da sind Gewerkschaftsführer zur Zeit recht unbeliebt und werden (wieder eine Ausnahme: IG Metall) gern von bisherigen Mitgliedern verlassen.
Angesehen dagegen ist Manfred Schell, Vorsitzender der DGB-unabhängigen Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GdL) und ehemaliger CDU-Bundestagsabgeordneter. Sein Konkurrent von Transnet, Norbert Hansen (SPD), ist durch zahlreiche Fotos bekannt, auf denen ihm Bahnchef Hartmut Mehdorn die Hand schüttelt. Seiner Interessenlage nach muss dieser Arbeiterführer wünschen, dass der Lohnkampf der GdL-Kollegen scheitert. Ein zugleich schlimmer und nahe liegender Verdacht. Da bespricht man die Sache doch lieber CDU-intern: Schell, Biedenkopf, Geißler. So viel zu den Chancen einer gewerkschaftsfreundlichen Linksöffnung der SPD.
Umfragen im Sommerloch gaben bekannt, dass eine breite Mehrheit - bis hinein in die Unionswählerschaft - für einen gesetzlichen Mindestlohn, gegen die Rente mit 67 und für den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan ist. Von diesen drei Themen hat die SPD nur eines aufgegriffen: den Mindestlohn, und selbst das hat die neue Partei Die LINKE schon vor ihr besetzt.
Wollte die SPD sich wieder einer Hegemonie annähern, müsste sie polarisieren, und das geht nur unter der Bedingung, dass sie mit einem dreifachen Erbe der Schröder-Zeit bricht: Hartz IV, Rente mit 67, Bundeswehr in Afghanistan. Hiermit ist sie wohl überfordert, und außerdem müsste sie vorher in die Opposition. Das kann aber schlecht das Ziel einer Partei sein, die noch regiert.
Die drei Kandidaten, die für die SPD 2008 in den Landtagswahlkampf gehen, haben es da leichter, auf Konfrontation zu setzen. Michael Naumann allerdings kann und will das nicht. Er hat sich nur zur Verfügung gestellt, damit überhaupt einer da ist. Die interessanteste Entscheidung könnte in Hessen fallen. Koch wird seine absolute Mehrheit wohl nicht halten können. Käme die LINKE in den Landtag, reichte es vielleicht noch nicht einmal zu einer bürgerlichen Regierung mit der FDP. Die als links geltende SPD-Bewerberin, Ypsilanti, wird es zusammen mit den Grünen auch kaum schaffen. Ein Zusammengehen mit der neuen Linkspartei lehnt sie ab. Das muss sie: Parteibefehl. Den exekutiert sie bis zur jüngsten Aussage, zur Not sei sie auch zu einer großen Koalition bereit. Damit treibt sie der linken Opposition die Hasen in die Küche. Dies ist für Ypsilanti aber eher gut als schlecht. Scheitert nämlich die LINKE, ist die schwarz-gelbe Mehrheit sicher.
Tatsächlich ist noch gar nicht gewiss, ob die neue Partei 2008 in den Länden reüssieren wird. Ihre derzeit guten Umfragewerte haben etwas von einer Börsenblase an sich. 2002 waren sie fünf Monate vor der Bundestagswahl auch noch recht gut. Die SPD kann sich 2008 eine Niederlage leisten, sie nicht.
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