Schwarze Limousinen

Regierungsbildung durch die Hintertür So hatte man sich im alten Westen immer die DDR vorgestellt

Wenn sich einst in Ostberlin Entscheidungen ankündigten, fuhren irgendwo - sagen wir: Am Werderschen Markt - Limousinen vor. Niemand wusste vorher, was herauskommen werde, mitreden konnte man ja auch nicht. Manchmal verzögerte sich alles. Dies schien typisch für eine Führung, die schwer beherrschbare Zustände und ein von ihr ohnehin nicht verstandenes Volk zu lenken versuchte.

Nun waren in Berlin zwischen dem 22. September und dem 10. Oktober wieder schwarze Limousinen unterwegs. Ihre Insassen kamen manchmal sogar durch die Hintertür. Sie waren viel mit ihren Handys beschäftigt. Die Polit-Astrologie blühte, bis endlich ein Ergebnis enthüllt wurde, das so überraschend dann doch nicht war.

Die politische Klasse musste einen Schock verarbeiten. Am 18. September war ihr unter anderem mitgeteilt worden, es könne nicht recht verstanden werden, wie mehr Beschäftigung entstehen soll, wenn die Lebensarbeitszeit bis zum 67. Lebensjahr ausgedehnt wird und damit die Jüngeren entsprechend länger auf Jobs warten müssen.

Damit war ein Umerziehungsversuch in Frage gestellt, als dessen Kommunikator Gerhard Schröder sieben Jahre lang gewirkt hatte. Der politische Nachruf, der ihm als Kanzler jetzt geschrieben werden muss, ist zugleich die Geschichte dieses Experiments.

Im Wahlkampf 1998 hatte der SPD-Kandidat eine zwar nicht parteipolitische, aber eine inhaltliche Große Koalition präsentiert: Oskar Lafontaine, später kurz Finanzminister, vertrat den Keynesianismus, der Computer-Unternehmer Jost Stollmann, vorgesehen für das Wirtschaftsressort, stand für den Neoliberalismus.

Diese beiden Komponenten hat Schröder in seinen beiden Amtszeiten redlich gemakelt, dabei eine Minderheits- und eine Mehrheitskomponente dargelegt und so zu zeigen versucht, was (sozusagen ganz objektiv gesehen) unvermeidlich war: der Sozialabbau, und was eben nicht mehr zu machen sei: nämlich der bisherige Wohlfahrtsstaat.

Kaum war er im Amt, geriet er unter den Beschuss der veröffentlichten Meinung: Lafontaine sitze ihm im Nacken und ruiniere das Land. Schröder, der als Zauderer diffamiert wurde, konnte diese kurze Phase, in der sich der Finanzminister mit der Bundesbank anlegte, als ein Experiment wirken lassen, das dann misslang.

Hierauf musste man es halt anders machen: die Steuern senken, die Staatsausgaben, vor allem für Soziales, kurz halten, öffentliches Eigentum verkaufen, eine Teilprivatisierung der Rentenversicherung anbahnen.

Ab 2002 dann das gleiche Spiel: Nach dem Sieg schien Schröder den Gewerkschaften insofern nachzugeben, als er die Deregulierung ein wenig ruhen ließ. Dies jedenfalls warfen ihm die Unternehmer und die großen Medien vor. Arnulf Baring rief die Bürger auf die Barrikaden. Das war die Reformstimmung. Im März 2003 zeigte der Kanzler ein zweites Mal Wirkung: die Agenda 2010 wurde als Zugeständnis an einen Sachzwang dargestellt, dem man nicht ausweichen dürfe, sondern den man mutig gestalten müsse. Jetzt ging es vor allem um die Zerschlagung - Neusprech: den Umbau - der Arbeitslosenversicherung.

Immer hatte sich dieser Kanzler gelehrig gezeigt. Am 18. September 2005 stellte er verblüfft fest, dass er doch das Falsche gelernt hatte. Zwar wurde er nicht bestätigt, aber Schwarz-Gelb kam nicht dran. Die neue, nicht mehr so eindeutig neoliberale Mehrheit, die sich da abzeichnete, hatte er nie gesucht, und jetzt war es zu spät.

Damit scheint allerdings nicht nur er am Ende seines Lateins. Am selben Abend, an dem die Spitzen von Union und SPD zu ihrer vorletzten Sondierung zusammenkamen, konnte man bei Sabine Christiansen den Professor Meinhard Miegel betrachten, einen Großmeister des neoliberalen Diskurses. In der Vergangenheit hatte er immer mit überlegener Gelassenheit die Unabweislichkeit einer Privatisierung in den sozialen Sicherungssystemen vorgerechnet. Jetzt hatte ihn die Contenance verlassen. Als er eiferte, das Land sei "marode", handelte er sich einen Verweis von Wolfgang Schäuble ein: so etwas sage man nicht.

Der ehemalige CDU-Vorsitzende machte damit deutlich, was man seit der Wahl schon mehrmals gehört hatte: neoliberaler Jargon ist out. Um die unverändert beibehaltenen Ziele zu erreichen - niemand aus dem Establishment hat sie bisher in Frage gestellt -, müsse sozial dahergeredet werden.

Da wirkt die designierte Kanzlerin allerdings wie eine Fehlbesetzung. Anders als der gelehrige Jongleur Schröder hat sie immer offen und ehrlich die neoliberale Agenda heruntergebetet. Jetzt heißt es: so kann man das nicht machen. Es müssen Umwege gegangen werden. Sollte das Arbeitsressort wieder vom Wirtschaftsministerium getrennt (und der SPD überlassen) werden, könnte das ein Teil dieser Kosmetik sein.

Rot-Grün sollte die eigene Klientel (vor allem die Lohnabhängigen) dazu bringen, ihrem eigenen Nachteil zuzustimmen. Die Große Koalition versieht dieses Unternehmen mit der Übermacht einer Zweidrittelmehrheit, wird aber vielleicht vorsichtiger auftreten.

Im Kampf hiergegen ist jetzt eine breite außerparlamentarische Bewegung zur Verteidigung des Sozialstaats nötig. Eine der letzten Amtshandlungen von Wolfgang Clement war die Ankündigung, man müsse nachforschen, ob die Hartz-IV-Kundschaft sich ihre paar Euro Zuwendungen nicht am Ende oft erschleicht. Solche amtlichen Dreistigkeiten - nunmehr großkoalitionär legitimiert - müssten künftig sofort durch scharfe Gegenreaktionen attackiert werden. Vielleicht sollte sich nicht gerade Gerhard Schröder an die Spitze einer solchen Bewegung setzen.


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