Erstens: Hessen-Wahlen, die in der Regel im Jahr nach der Bundestagswahl stattfinden, sind historisch fast immer Konter-Wahlen gewesen. Die jeweilige Bonner Opposition hat da meist zugelegt.
Zweitens: Das Ergebnis ist knapp, und das ist seit 1987 ebenfalls mittlerweile üblich. Die einstigen absoluten Mehrheiten für die SPD gehören in eine andere Generation.
Drittens: Eine Fortsetzung der bisherigen Koalition wäre inhaltlich nicht mehr so recht tragfähig gewesen. Daß die Grünen innerhalb einer Legislaturperiode zweimal die Umweltministerin auswechseln mußten, ist nicht nur Resultat von Personal-Affären. Auf diesem Politikfeld reifte schon Ende des vergangenen Jahres ein Konflikt, an dem die Koalition vielleicht bald zerbrochen wäre: Die Grünen waren 1982 im Ergebnis der Kämpfe gegen die Startbahn West erstmals in den Landtag gekommen. Inzwischen stellt sich eine Übereinstimmung zwischen SPD, FDP und CDU für eine erneute Flughafen-Erweiterung her. In einer Landtagsdebatte hatten führende Sozialdemokraten angedeutet, sie könnten sich eine Koalition mit der FDP vorstellen, falls die Grünen nicht bereit seien, ihre Seele zu verkaufen.
Aber auch die SPD hatte einen thematischen Motor ihrer hessischen Politik verloren: In der Bildungs- und Hochschulpolitik hat sie jahrzehntelang Glanzpunkte von bundesweiter Ausstrahlung gesetzt. Hier ließ sie sich schon längst den Mut nehmen. Ihre Hochschulpolitik wurde von einer Ministerin verwaltet, die nur lustlos aus dem Justizressort in dieses Amt wechselte und sichtlich froh war, noch vor der Wahl zum Bundesverfassungsgericht nach Karlsruhe gehen zu können. Der Schulminister war vor über 35 Jahren schon Vorsitzender der Landes-Schüler-Presse, und irgendwie ist er das bis heute geblieben.
Daß man dem Ministerpräsidenten Eichel wirtschaftspolitische Kompetenz zubilligte, war kein Ersatz. Diese Fähigkeiten wurden nämlich CDU und FDP ebenfalls zugetraut. Die ersten Wahlanalysen zeigten, daß wirtschaftspolitische Erwägungen in noch höherem Maße den Ausschlag gaben als die Kampagne der CDU gegen die Ausländerpolitik. Das Justizministerium wurde von einem Grünen-Politiker verwaltet, der zwar früher Angeklagte in politischen Prozessen verteidigt hat, der aber jetzt die Zustimmung zur Verlegung des RAF-Gefangenen Christian Klar von Bruchsal nach Schwalmstadt (die dieser wünschte) verweigerte.
Der Profilverlust von SPD und Grünen trug zu einer Demobilisierung ihrer Anhänger(innen) bei. So erklärt sich die niedrige Wahlbeteiligung, welche zusätzlich die CDU begünstigte.
Im Ergebnis regiert die CDU nunmehr das wirtschaftlich stärkste Bundesland. Die Achse Stuttgart - München wird zum Dreieck. In der Union auf Bundesebene verschieben sich nach dem hessischen Kampagnen-Erfolg die Gewichte zugunsten von Stoiber: er gilt als der Pate des Wahlerfolgs von Roland Koch (CDU).
Ebensowenig wie man Boxkämpfe schönreden soll, geht dies mit konservativer Politik: Es bleibt ein übler Bodensatz, der aufgerührt werden kann. Koch bewegte sich mit seiner Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft jenseits einer Linie, welche immerhin sogar die FAZ zog. Diese störte sich allerdings nur an der plebiszitären Methode, nicht am Inhalt seiner Politik.
Was gegenwärtig übersehen wird: Koch hat mit seinem Kurs in der Ausländerfrage zwar zusätzliche Stimmen gewonnen, aber nicht die Mehrheit. Seine Koalitionspartnerin, die FDP, hat eine eigene Position.
Damit sind wir schon bei den bundespolitischen Konsequenzen des Wahlergebnisses, die von den hessischen Besonderheiten zu trennen sind. Der Kanzler selbst wird es nie öffentlich zugeben, aber: Die schöne Bescherung von Wiesbaden ist zugleich ein Befreiungsschlag für Gerhard Schröder. Jetzt kann das Resultat der Bundestagswahl 1998 in seinem Sinne neu interpretiert werden, und zwar so:
Gewonnen hatte damals der niedersächsische Ministerpräsident, der eine große Koalition favorisierte. Doch ins begehrte Amt kam er nur auf den kombinierten Parteivehikeln von SPD und Grünen. Deshalb wurden allerlei Versprechen an Bäume, Frauen, Ausländer und Lohnabhängige in den Koalitionsvertrag hineingeschrieben. Das hielt er wohl für Firlefanz. Nachdem die SPD jetzt die Mehrheit im Bundesrat verloren hat, kann er darauf verweisen, daß dies alles ja doch nicht durchgesetzt werden kann. Er wird sich seiner Lieblingsbeschäftigung widmen können: dem Moderieren.
Allzu weit darf er die rechtsgeneigte Neutralität allerdings auch nicht treiben. Bauen seine beiden Wasser-Träger-Parteien zu stark ab, ist seine Wiederwahl 2002 gefährdet. Deshalb muß er den genuinen Befürwortern eines rot-grünen Projekts Luft lassen. Da liegt der Rest ihrer Chance.
In der Schlußphase des Wahlkampfes hatte die PDS zur Wahl der SPD aufgerufen. Bestenfalls hat das nicht geschadet, genützt hat es jedenfalls auch nichts. Sollte die Berliner Parteispitze sich eine Wirkung ihres Appells auf Hessen erhofft haben, zeigt dies nur, wie wenig man im Karl-Liebknecht-Haus von den Wählerinnen und Wählern in diesem Bundesland, die man anzusprechen wünschte, weiß. Vielleicht sollte man sich doch aus den Angelegenheiten einer Gegend heraushalten, in der man nur pro forma präsent ist. (Ganz am Rande mußte die PDS wohl auch zeigen, daß sie mit der DKP, die in Hessen im Unterschied zu ihr auch irgendwo auf den Stimmzetteln stand, nichts zu tun hat.)
Und doch verbindet sich mit der tapsigen Gebärde eine Art strategischer Absicht.
Die SPD kann die Mehrheit im Bundesrat wiedergewinnen, wenn sie nach der Wahl in Thüringen eine Regierung mit der PDS bildet. Eine ähnliche Konstellation, dort unter Einbeziehung der Grünen, ist in Berlin denkbar, aber unwahrscheinlich. In diese Richtung zielt also wohl die hessische Avance der PDS, und vielleicht sogar darüber hinaus auf eine etwaige neue Konstellation 2002.
All dies wird Schröder nicht wollen, und es wird ja auch nichts daraus werden. Aber es bezeichnet die letzten Chancen der Restlinken in den beiden Regierungsparteien. Bleibt es aber bei dem Kräfteverhältnis, das zumindest mittelfristig durch das hessische Wahlergebnis hergestellt wurde, dann regiert in den nächsten Jahren bundesweit - vermittelt durch die Länderkammer - faktisch eine Große Koalition, wenngleich vorerst mit rotgrünem Personal.
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