Die einen nennen es Umbau, die anderen Abbau. Beide haben Recht. Sogar die Bundeswehr klagt, bei ihr werde es eng. Peter Struck kriegt das gut hin. Eine Armee, die weltweit intervenieren soll, darf auf einiges verzichten, was früher nötig war, um die angebliche Bedrohung aus dem Osten aufzuhalten. Dies wird zwar Neuinvestitionen erfordern, per Saldo aber muss es nicht unbedingt teurer sein.
Die Wissenschaftsministerin Bulmahn tut sich noch etwas schwer. Sie meint, in ihrem Ressort fielen die entscheidenden Zukunftsinvestitionen an. Falls sie damit den Industriestandort Deutschland meint, ist ihr Beifall gewiss. Wer Exportweltmeister bleiben will, braucht leistungsfähige Naturwissenschaftler und Ingenieure, auch die Medizin ist marktnah. Die Professoren der einschlägigen Fakultäten beschweren sich allerdings ebenfalls über Kürzungen. Aber für Promotionsstipendien in den Naturwissenschaften und der Medizin stehen recht viele Drittmittel zur Verfügung, die Zusammenarbeit mit privaten Auftraggebern und Abnehmern funktioniert. Die Ingenieur-Fachhochschulen ziehen mit. Längst sind die in manchen Landesgesetzen vorgesehenen "Hochschulräte" - externe Beratungsgremien - mehrheitlich mit Industrievertretern besetzt. Die wünschen unter anderem Kostensenkung und zählbare Ergebnisse: schnelleren Durchlauf der Studierenden sowie noch engere Anbindung an die profitable Praxis.
Auf Geistes- und Sozialwissenschaften wird dabei nicht völlig verzichtet. Vielleicht haben Industriesoziologen schon auf folgendes Phänomen aufmerksam gemacht: die zunehmende Widerspiegelung der materiellen Produktion in sozialtechnischen Begleitvorgängen. Da gibt es Kommunikations- und Unternehmensberatung, Coaching und Rating. Das Know How wird nicht nur in der Ausbildung der Betriebswirte hergestellt, sondern auch bei Soziologen und Politologen, sogar bei Philologen, zumindest bei den Linguisten. Die Verkündung von Werten ist ebenfalls förderungswürdig.
Diese Dienstleistungen könnten durchaus von Universitäten erbracht werden, die nach dem Prinzip von Strucks neuer Bundeswehr konstruiert sind: schlanker und fitter.
So viel zum Umbau. Jetzt zum Abbau.
Er findet zum größeren Teil außerhalb der Universitäten statt: bei der Verwaltung der Arbeitslosigkeit, in den gesetzlichen Kranken- und Rentenkassen und bei der Beschneidung sozialer Infrastruktur in Ländern und Kommunen. Zu den Universitäten besteht folgender Zusammenhang: Seit etwa 30 Jahren wurden sie unter anderem auch als "Wärmehallen" (Glotz) benutzt, um den Arbeitsmarkt ein bisschen zu entlasten. Damit ist jetzt Schluss.
Die Langzeitstudierenden werden herausgekämmt. Bald wird der Numerus Clausus so hoch sein, dass viele Abiturienten nicht mehr in die Universitäten hinein können. Da freuen sich die Call-Center-Betreiber. Drei Jahre später meldet sich bei ihnen der nächste Schub: die Absolventinnen und Absolventen der Bachelor-Studiengänge. Übrig bleiben diejenigen, die Master werden dürfen: ausgesiebt durch die Vor-Noten, vielleicht auch bei Zahlung von Gebühren.
Als Umbruch wirkt dies alles, weil bislang nominell noch ein Postulat galt, das Ralf Dahrendorf vor 40 Jahren aufgestellt hatte: Bildung sei Bürgerrecht. Hier müssen zwei Worthülsen geknackt werden.
Bei "Bildung" denkt man an einen älteren Pädagogik-Professor mit Geigenkasten und Baskenmütze. Gemeint war aber schon 1963: Humankapital. Es wurde im weiteren Sinn sogar dem Verteidigungshaushalt zugeschlagen: Sputnik-Schock. Damals entstand eine neue Wissenschaft: Bildungs-Ökonomie. Die schlägt jetzt zurück. "Bürgerrecht" meinte, dass die Rekrutierung des Humankapitals verbreitert wurde. Das ist heute nicht mehr nötig. Deshalb ist der Umbau tatsächlich auch Abbau.
Die Studierenden reagieren auf die neue Situation ambivalent. Die einen streiken. Die anderen freuen sich darüber. Denn dadurch sind die Proseminare zwischenzeitlich leerer, und man kommt so schneller voran. Erfreulicherweise kristallisieren sich in den Streik-Arbeitskreisen derzeit drei Positionen heraus:
Erstens: Wissenschaft und Bildung sollen nicht knappe Ressourcen sein, die gewinnbringend zu bewirtschaften sind, sondern allgemeine Güter - wie Gesundheit oder Rechtssicherheit. Unterschiede bestehen dann nicht im Zugang, sondern in der Nutzung gemäß Neigung und Fähigkeiten. Es ist das alte Bürger- (besser: Menschen-)Recht.
Zweitens: Wissenschaft soll ein Ort der Kritik sein. Indem sie Herrschaft, Ungleichheit und Ungerechtigkeit analysiert, kann sie Vorarbeit zu deren Aufhebung leisten.
Drittens: Ein anderes Kriterium für die Effizienz von Wissenschaft soll gelten. Es misst ihren Beitrag daran, was sie - laut Brecht - dafür tut, um "die Mühsal der menschlichen Existenz zu erleichtern". Nennen wir es Wohlfahrt.
Wer das will, kontingentiert seine Kräfte. Man streikt und kümmert sich darum, dass man dennoch seine Scheine bekommt. Zum Glück kooperiert ein Teil des Lehrpersonals, wenngleich oft mit ständischen Hintergedanken. Die Damen und Herren Hochschullehrer hegen mehrheitlich wohl den Wunsch, der Protest möge sich auf die Forderung "Mehr Profs, mehr Geld, mehr Bücher" beschränken. Dennoch: Die gegenwärtigen Proteste zeigen, dass die Wiedergewinnung der 1968 teilweise von der Fahne gegangenen Intelligenz noch nicht abgeschlossen ist. Die soziale Dummheit, die nötig ist, um sich hoffnungsvoll und guten Gewissens zu den Umbau-Gewinnern zu zählen, ist zwar präsent, aber glücklicherweise noch nicht total. Also besteht ein wenig Hoffnung.
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