Am 20. Oktober wird die Christlich-Demokratische Union Deutschlands in Goslar den 50. Jahrestag ihrer Gründung begehen. Tatsächlich, so jung ist sie. Adenauer war schon ein Jahr Kanzler, und Helmut Kohl bereits Funktionär in Rheinland-Pfalz, als die Bundesorganisation geschaffen wurde. Vorher gab es nur Landesverbände. Adenauer soll die Geschäftsstelle der Partei, deren Vorsitzender er war, nie betreten haben. Spät, in den siebziger Jahren, baute Kurt Biedenkopf einen richtigen Apparat nach dem Vorbild der CSU.
1950 war die CDU nicht nur jung, sondern auch eine Innovation: Der katholische Zentrumsturm wurde durch die protestantische Rechte ergänzt. Leute aus der ehemaligen monarchistischen Deutschnationalen Volkspartei (DNVP), der schwerindustriellen Deutschen Volkspartei (DVP), ja sogar aus der liberalen Deutschen Demokratischen Partei stießen dazu. Die christlichen Gewerkschafter gab es auch noch: zum Beispiel Jakob Kaiser und Karl Arnold, den späteren Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen. Aus dem Christlich-Sozialen Volksdienst kam Gustav Heinemann. So entstand eine klassenübergreifende und interkonfessionelle Massenpartei.
Diese Darstellung ist ein bisschen arg harmonisch. Die Wählerschaft der untergegangenen bürgerlichen Weimarer Parteien war zwischendurch, soweit sie nicht dem Zentrum treugeblieben war, woanders gewesen: bei der NSDAP. So wurde die CDU auch eine Partei der alten Nazis.
In einem Volk, das mehrheitlich faschistisch gewesen war, ließ sich Politik kaum anders machen. In der Sowjetischen Besatzungszone hatte die SED sich ja auch schon früh um die "kleinen PGs" gekümmert. Und auch der ehemalige Konzentrationslagerhäftling Kurt Schumacher, allzeit ein nationaler Mann, zeigte Nachsicht gegenüber einfachen ehemaligen NSDAP-Mitgliedern. Die großen Parteien wurden - unter anderem - zu Nazi-Waschanlagen. Auf diese Weise entstanden in der Bundesrepublik die linke und die rechte Mitte.
Bei der CDU landeten die etwas größeren Sünder. Sie meint bis heute den Rechtsextremismus dadurch klein halten zu können, dass sie ihn nicht frontal bekämpft, sondern gegen ihn konkurriert. Der Preis, den sie dafür zahlt, ist ein ums andere Mal die Bedienung einschlägiger Ressentiments. Auch das begann schon im Gründungsjahr.
Damals, 1950, gewann bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein der "Bund der Heimatvertriebenen und Entrechten" (BHE) 23,4 Prozent der Stimmen. Das E stand für die alten Nazis. Die neue Partei koalierte im Bund und einigen Ländern mit der CDU, da und dort auch mit der SPD. Sie wurde im Laufe des nächsten Jahrzehnts von den beiden Großen aufgesaugt. In der CDU aber führte ihr Aufstieg zu einer Verschiebung: ein antifaschistisches Selbstverständnis, das es bis dahin dort durchaus gegeben hatte, wurde durch das Wir-sind-wieder-wer-Gefühl der Ehemaligen ersetzt. Kurt Georg Kiesinger, von Anfang an in der Union, bis 1945 aber in der NSDAP, kam jetzt schneller voran.
Im Gründungsjahr 1950 hat noch eine andere bemerkenswerte Landtagswahl stattgefunden. Das war in Hessen: Die CDU schrumpfte auf 18,8 Prozent. Ihr Vorsitzender Werner Hilpert, bis 1945 in Buchenwald eingesperrt, war Finanzminister in einer Großen Koalition mit der SPD. Adenauer sorgte nun dafür, dass er innerparteilich kaltgestellt wurde. Die CDU führte in Hessen danach mehr als eineinhalb Jahrzehnte lang ein Schattendasein. 1967, parallel zum Aufstieg der NPD, kam eine neue Mannschaft, mit Alfred Dregger an der Spitze. Er nahm den Nazis die Stimmen weg und sorgte dafür, dass rechts von seiner Partei nur noch die Wand war. Sein politischer Ziehsohn, Roland Koch, gewann 1999 die Landtagswahl mit einer Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft.
Die Wahrheit ist, dass die CDU in Grenzsituationen, wenn es um die entscheidenden letzten Millimeter im Wettbewerb ging oder wenn sie in der Klemme war, das Aufrühren dieses Bodensatzes niemals unterlassen hat. Offenbar kann sie nicht völlig darauf verzichten, insbesondere dann nicht, wenn ihr einmal sonst nicht viel einfällt. So erklärt sich, dass die Unionsparteien - trotz Rühe und Süßmuth - für 2002 ein einschlägiges Wahlkampfthema ins Auge fassen: gegen Zuwanderung.
Es gab auch einmal Achtundsechziger in dieser Partei: junge Leute, oft aus dem Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS), versuchten unter den Generalsekretären Geißler und Biedenkopf im Adenauer-Haus und sogar in der Umgebung des Kanzlers ihr Glück. Kohl brauchte sie nur zwischenzeitlich. Manche von ihnen, z. B. Teltschik, fanden bessere Jobs.
Geschichten von Anno Dazumal? Angela Merkel wird sie jedenfalls in Goslar nicht erzählen wollen.
Wenn die Union die Mitte zu definieren versucht, geschieht dies immer auch stellvertretend für die Rechte. Zum Beispiel: Aus Protest gegen die von Strauß eingefädelten DDR-Kredite spalteten sich in den achtziger Jahren von seiner Partei die "Republikaner" ab. Die CSU versuchte, sie klein zu halten. Sie will das parlamentarische Monopol auf der Rechten behalten. Obwohl die NPD keine richtige Konkurrenz für die CSU ist, fordert Innenminister Beckstein ihr Verbot. Er erhofft sich eine Bereinigung jenes Vorfelds, auf dem seine Partei die Hegemonie beansprucht. Friedrich Merz hält nichts davon: der Gegner soll nur links gesucht werden.
Das nennt man Doppelstrategie. Einigen Menschen hierzulande, besonders wenn sie keinen deutschen Pass haben und/oder nicht ganz weiß sind, wäre wohler, wenn das, was da über die Jahrzehnte hin immer neu integriert wird, stattdessen überwunden wäre.
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