Zu früh Recht gehabt

Vorturner ohne Riege 1999 trat Oskar Lafontaine als Finanzminister zurück. Die gegenwärtige Krisenpolitik bestätigt den heutigen Linken-Chef – aber daraus wird nicht automatisch ein Erfolg

Als Oskar Lafontaine am 11. März 1999 alle politischen Ämter niederlegte, fiel es der veröffentlichten Meinung nicht schwer, dies als letzten Akt eines Enkeldramas zu verstehen: Männerkram, bei dem halt einer weichen muss. Dass der Zurückgetretene zunächst schwieg und dann eine Erklärung abgab, in der er das Fehlen von Mannschaftsspiel beklagte, passte dazu. Unterlegene Minderheiten rufen in der Regel nach mehr Demokratie.

Aber es war mehr als das. An jenem Märztag wurde eine Mogelpackung entsorgt, die 1998 zusammengestellt worden war. Gerhard Schröder hatte sich damals als der „Genosse der Bosse“ präsentiert und diesen eine Erleichterung der Belastungen, die ihnen der Staat angeblich aufbürdete, versprochen. Lafontaine forderte eine nachfrageorientierte Politik. Das ging nur im Wahlkampf zusammen, nicht aber in der anschließenden Regierungspraxis. Beide, Schröder und Lafontaine, versuchten, jeder für sich, ihre Versprechen zu halten.

Der Finanzminister hatte ein schlüssiges Konzept. Er versuchte die Selbstständigkeit der Europäischen Zentralbank zu beschneiden und den Staat zum investierenden wirtschaftspolitischen Akteur zu machen. Das Ministerium sollte zur ökonomischen Zentrale der neuen Regierung werden, zwei entschlossene Keynesianer wurden als Staatssekretäre installiert – die allerdings bald schon auf den hinhaltenden Widerstand der Ministerialbürokratie stießen.

Winter des Missvergnügens

Die Monate nach der Regierungsbildung von 1998 wurden zum Winter des Missvergnügens. Von der Springerpresse bis zum Spiegel wurde Schröder als Opfer Lafontaines dargestellt. Das war er nicht, er verstand nur zu warten. In Großbritannien nannte die Sun den deutschen Finanzminister „den gefährlichsten Mann“ Europas. Die verlorene Landtagswahl in Hessen vom Januar 1999 – Roland Koch kam – traf auch den SPD-Chef.

Am 10. März schlug Schröder zu: Er griff im Kabinett die Minister Trittin und Christine Bergmann wegen angeblicher „wirtschaftsfeindlicher Politik“ an, gemeint war aber Lafontaine, und so stand es am nächsten Tag auch in Bild. Spätestens da muss der Finanzminister gemerkt haben, dass er auf verlorenem Posten stand. Vielleicht war auch Panik dabei: Er hatte zu lange mitgemacht, das Doppelspiel des Wahlkampfs 1998 war nicht ehrlich gewesen, er hatte sich da wohl auch selbst betrogen. Diese plötzliche Einsicht mag die Kopflosigkeit des nun überhasteten Rücktritts bewirkt haben. Die Börse antwortete mit einem Kursfeuerwerk.

Im Kabinett und in seiner Partei war Oskar Lafontaine inzwischen zum Vorturner ohne Riege geworden. Als er gegangen war, zeigte sich: Hinter ihm war in der SPD eine Leerstelle. Wer die sechzigjährige Leidensgeschichte der sozialdemokratischen Linken in Westdeutschland kannte, erlebte ein déjà vu. Bei allen Schwenks der SPD in die Mitte ließ sie jeweils links nicht viel zurück, denn friedens- und gewerkschaftlich geneigte Politik brauchte das Gewicht dieser Partei, auch wenn dies vor allem in der Mitte verankert war. Also blieb, wer weiter wirken wollte, Mitglied. Es lag nahe, dass auch die Montagsdemonstrationen ab 2004 folgenlos verlaufen würden.

Katalysator der Unzufriedenheit

Dass es nicht dazu kam, hatte zwei Gründe: Im Osten gab es die PDS als starke Regionalpartei. Im Westen hatten die Hartz-Reformen eine Menschengruppe hart getroffen, auf deren Unterstützung die SPD immer großen Wert gelegt hatte: Lohn- und Gehaltsabhängige, die jahrzehntelang in die Sozialversicherungen eingezahlt und sich darauf verlassen hatten, dass sie nicht mehr aus ihrem sozialen Status herausfallen würden. Jetzt konnten sie schnell auf eine Art Fürsorgeniveau absinken.

Lafontaine wurde zum Katalysator. Als er im Mai 2005 aus der SPD aus- und in die Wahlalternative Soziale Gerechtigkeit (WASG) eintrat, ermöglichte er einen neuen Start der PDS im Westen und rettete hadernde SPD-Linke vor dem Verschwinden in die innerparteiliche Resignation oder die sektenhafte Bedeutungslosigkeit außerhalb.

Aber es lag nicht allein an ihm. Als die Grünen Anfang der achtziger Jahre aufstiegen, hatten sie von der Entstehung einer neuen Schicht profitiert: der Intelligenz, deren Umfang und gesellschaftliche Bedeutung zugenommen hatte und die sich nicht mehr in das bisherige Parteienschema einpassen ließ. Der Erfolg der Linkspartei beruht auf einer weiteren Verwerfung der Sozialstruktur, jetzt durch die Entstehung des Prekariats.

Heute fehlt ihm die jugendliche Basis

Ob Lafontaine mit dieser seinen neuen Massenbasis sehr glücklich ist? Als SPD-Politiker war er immer auch Repräsentant der Facharbeiter und der Kernbelegschaften. Jetzt steht er eher für die Älteren unter ihnen, die den Abstieg schon erlebt haben oder noch fürchten. Dass er keinen breiten Zugang zur Jugend hat, müsste ihn beunruhigen.

Er hat in seiner Laufbahn immer wieder einmal zu früh Recht gehabt. Als er 1990 vor einer überhasteten Währungsunion warnte, sah er den Ruin der ostdeutschen Wirtschaft voraus. Das wollte damals niemand hören. Sein Entwurf als Finanzminister 1998/99 hatte Zukunft, aber keine Gegenwart.

Mit seinem Bemühen um eine kontinuierliche staatliche Nachfragepolitik und eine Stärkung der Massenkaufkraft auf dem Binnenmarkt hatte er fast alle gegen sich. Jetzt, in der Krise, muss die Öffentliche Hand nachholen, was damals versäumt wurde. Dies ist aber kein Erfolg Oskar Lafontaines, im parteitaktischen Sinn könnte es sogar zu einer Niederlage führen. Es könnte sein, dass bald andere das tun müssen, was er lange vor ihnen wollte, und dass ihm dann mitgeteilt wird, jetzt werde er dafür auch nicht mehr benötigt.

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