Schöne Rumania

JÜDISCHE KULTURTAGE In romantisch-komödiantischer Verkleidung ist der italienische Zweig einer großen Familie zu Gast

Herbstliche Kälte lässt Zwischenräume in der Stadt sichtbarer werden. Das jüdische Gemeindehaus in der Fasanenstraße wirkt in der Kälte wie ausgeschlossen. Die dauernde Polizeipräsenz zieht eine vorsorgliche, zwiespältige Grenze. Als gäbe es drinnen, was draußen nicht sei. Nach vier Stunden Zugfahrt wirkt die Stadt hier wie eine Kulisse - die Umgebung des Bahnhofs, die S-Bahn, die Straßen im Berliner Westen. Auf dem Bürgersteig vor dem Ballroom warten die Gäste. Ein Familienbesuch, darin eingebettet ein Abend halb aus Reden, halb aus Musik. Mit den Reden verbinden sich Namen, mit der Musik eine Gegenwart, die weit fort ist, in Italien, in einem Osteuropa, das in Amerika weiterlebt. Denn Piazza Italia heißt das Motto der 14. Jüdischen Kulturtage in Berlin.

Ein bisschen erinnern Programm und Publikum an diesem Eröffnungsabend an eine Hochzeit: zwei große Familien, hier die jüdische, dort die italienische, beide zum Teil verschwägert. Und dann die Gäste, die teils der einen, teils der anderen wegen im Haus des Brautvaters erschienen sind. Die Reden sind zum Teil langweilig, zum Teil prätentiös wie die des Bürgermeisters, den Kultursenator Stölzl gibt, mit einfühlsam geschürzten Lippen. Die Braut ist schön - und so gibt er zu verstehen, dass auch er sie hätte heimführen mögen, wenn er denn noch zu haben wäre.

Noch ist die Braut verschleiert, die jüdische Kultur, die sich - so wünscht es Brautvater Nachama - in der Stadt vermählen möge. Amos Luzzato, der Präsident der jüdischen Gemeinden in Italien, lüftet den Schleier ein wenig. Sein Deutsch, das er der Mehrheit der Gäste zuliebe spricht, ist wagemutig, ein wenig altväterlich: Er spielt gleichsam den Onkel der Braut. Auch der Islam - sagt er - gehöre nach Europa. Auch die Juden in Europa seien betroffen, wenn Muslime angegriffen würden. Denn Europa habe vielfältige, nicht allein christliche Wurzeln; eine Leitkultur - da gibt es spontanen und großen Beifall - kenne dieses Europa nicht.

Zur Hochzeit gehört Musik. Aus Italien, denn so will es das Thema der Kulturtage. Aber Italien ist ein weites und fruchtbares Feld. So bekommen die Festgäste also jiddische und nicht italienische Lieder zu hören, Klezmer-Musik, gesungen von Moni Ovadia aus Mailand, dessen Eltern kurz nach dem Krieg aus Bulgarien emigrierten, und gespielt von einer Gruppe lustvoll abenteuerlicher Virtuosen.

Aber wie in Deutschland, so spielen auch in Italien im Gespräch über jüdische Kultur neben wenigen jüdischen vor allem nichtjüdische Akteure eine Rolle. Jüdische Kultur in Italien wird dabei gelegentlich ein wenig zum Modeartikel - in den vergangenen zehn Jahren, früher nicht. Wie in Berlin, könnte man sagen, wo deutsch-jüdische Gegenwart und Stadtschloss verdächtig ähnliche Gefühle wecken. Um Rekonstruktion kann es im ersten Fall nicht gehen, sagt Stölzl, es geht um eine Zukunft. Vielleicht hätte er das bei dieser Gelegenheit auch über das Stadtschloss sagen sollen, um ganz glaubwürdig zu sein.

Immer geht es im Gespräch über jüdische Kultur um Parallelität und um die rechten Winkel einer Gesellschaft. Mit komischem und zugleich didaktischem Ernst machen die schauspielernden Musiker aus Mailand dabei in ihren Liedern und Stücken eine parallele Vergangenheit zu ihrer eigenen lebendig - kein Zufall, dass ihnen auch das ganze Repertoire der klassischen Linken zur Verfügung steht. Das Publikum Moni Ovadias und seiner Gruppe weiß dies zu schätzen, denn diese Verkleidung lädt dazu ein, gleichfalls sich anzueignen, was nicht das Eigene ist. In Berlin ist ein Höhepunkt in dieser Beziehung ein Sehnsuchtslied, in dem das ferne, schöne, ach so unerreichbare Rumänien beschworen wird: das der ottomanischen Zeit.

Die komödiantische Verkleidung steht für eine Offenheit, die Herkunftsgrenzen überwindet, und damit in einem doppelten Widerspruch. Denn die Leitbilder, die für Moni Ovadia in der eigenen, sephardischen Familiengeschichte zu finden wären, aber auch der neuhebräische Horizont der israelischen Kultur liegen mit einer solchen Offenheit im Streit. Für Amos Luzzato aber ist diese Offenheit das eigentliche Kennzeichen des italienischen Judentums. Was die Kulturtage davon nach Berlin bringen, entspricht freilich nicht dem Italienbild deutscher Toskanafahrer.

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