Barackes Welttheater

Unschuldsvermutungen Was der Zuschauer sieht, wenn er den (Vor)Wahlkampf in den USA anschaut

Die Inszenierung hatte so übersichtlich begonnen. Hier die Gute, da der Böse. Auftritt Schurke: George W. Bush, dessen Rollenprofil sich seit der knappen Wahl 1999 noch verschärft hat. Auftritt unschuldige Heldin: Hillary Clinton, die Ex-First Lady mit dem sozialdemokratischen Intellektuellentouch. Für die Strategen hinter den Kulissen war es ein Leichtes, sie als Gegenentwurf zu etablieren, zumal Clinton selbst ihre Präsidentschafts-Ambitionen mit der Kandidatur und Wahl zur Senatorin von New York zunehmend lesbar machte. In ihrer Autobiographie stellte sie sich als taffe Politikerin vor; ihr Mann konnte sich angesichts des schwächelnden Nachfolgers in seinem Buch als Präsidentenideal empfehlen. Während dieser acht Jahre andauernden Exposition steigerte Hillary Clinton den Rhythmus ihrer Präsenz, perfektionierte ihre Repräsentation als Symbol eines besseren Amerikas. Der Triumph der demokratischen Lichtgestalt schien nur noch eine Formsache. Doch dann betrat Barack Obama als jugendlichere Heldenausgabe die Bühne. So erhielt die Dramaturgie des US-Vorwahlkampfes eine kaum vorhersehbare Zuspitzung. Denn auf der Bühne gilt: Es kann nur eine geben.

Jedenfalls nur eine reine Unschuld in der Dramaturgie des Melodrams. Darum handelt es sich schließlich bei den Vorwahlen: Das mit großem Aufwand inszenierte Gefühls-Spektakel, in dessen Zentrum oft eine Liebesgeschichte steht, ist - nach langer Abstinenz von deutschen aufgeklärten Bühnen - in seiner seriellen Form, der Seifenoper, längst ins öffentliche Bewusstsein zurückgekehrt. So sind uns auch die Spielregeln des gerade in den englischsprachigen Ländern immer schon erfolgreichen Genres nicht fremd: Klar umrissene Charaktere, zwischen denen die Rollen eindeutig verteilt sind. Ein hochstilisierter und konventionalisierter Zeichencode, der das sofortige Erkennen der dargestellten Situation und Figuren ermöglicht. Quasi allegorische, nicht psychologisch motivierte Figuren, die pathetisch, überdeutlich agieren, um eine sofortige Interpretation der Vorgänge zu garantieren. Bei allem enormen Aufwand an Technik und Dekor bleibt die Handlung vorhersagbar.

Was es für das Publikum einfach macht, den Helden oder die Heldin zu erkennen und sie zu unterstützen. Es sei denn, es gibt zwei Charaktere, die um dieses Rollenschema kämpfen. Die lange schon besetzte Schattengestalt George W. Bush mit ihrem klaren Profil verleiht allen anderen von vornherein eine Aura der Unschuld - sogar John McCain. Doch daneben wird es für die verbleibenden Kandidaten für die Rolle der bedrängten Unschuld schwierig, die Rollenanforderungen mit einer klar lesbaren Aussage zu füllen. Barack Obama hat für sich die Allegorie des Wandels reklamiert, McCain die des traditionsbewussten, aber unabhängigen Bewahrers (in dieser Abgrenzung konnte er sich seinerseits gegen die republikanische Konkurrenz durchsetzen). Diffuser wurde und wird das Rollenschema Hillary Clintons wahrgenommen. Bis zum Auftritt Obamas repräsentierte sie nur sich selbst. Nun aber stellten sich die Zuschauer die Frage: Was verkörpert sie?

Seit dem Auftritt Obamas wurde Clintons Kandidatenrolle zunehmend mit ihrer jahrelangen Karriere als First Lady und Senatorin identifiziert und somit zur Allegorie des Alten, Überkommenen. Jetzt rächt sich die hohe Frequenz ihrer Präsenz. So wird es nichts mit dem Happy End, das dem Rührstück hätte folgen sollen - ginge es nach dem Regie-Bataillon, das hinter der Kandidatin steht: Hillary Clinton und das amerikanische Volk in leidenschaftlicher Liebe verbunden, mit Traumhochzeit am 4. November. Denn das demokratische Wahlvolk in seiner Doppelrolle als Zuschauer und als Retter scheint die reine Unschuld dank früherem Ja zum Irakkrieg und Nähe zur Macht weder rein noch unschuldig zu finden; Hillarys Dramaturgie scheitert.

Oder doch nicht? Amerika liebt Sieger, das Melodram Opfer. Die Deutungsmacht über ihre Rolle ist Clinton entglitten, und sie weiß nicht, wie sie die Inszenierung ihrer öffentlichen Person zurückgewinnen soll. Welche Eigenschaften der Unschuld hat Obama noch nicht besetzt, welche Gesten und Symbole sind erfolgreich und überschreiten nicht die Kompetenzen der Rolle? Im barocken Welttheater war alles übersichtlich. Gott war Spielleiter und einzig relevanter Zuschauer zugleich, das Ziel - das ewige himmlische Sein - klar definiert, die Spielregeln ebenso. Auch heute ist die Welt eine Bühne. Aber die Verteilung von Zuschauer, Regisseur und Regelmacher ist komplex geworden. Hillarys Publikum ist die mediale Öffentlichkeit, eine gesichtslose Masse, die der Regie der Medien und der Dramaturgie Obamas mehr Aufmerksamkeit schenkt als Clintons Inszenierungsversuchen und sie zudem durch Zwischenrufe stört.

Hillarys letzter Akt steht anscheinend unmittelbar bevor. Es sei denn, es geschieht ein Wunder. Dei ex machina gehörten von Anbeginn zum dramaturgischen Repertoire des Melodrams. Dumm nur, dass drei von ihnen bereits von Obama aufgebraucht wurden, zuletzt der konvertierte John Edwards. Wunder gibt es immer wieder, aber nicht in Serie. Vielleicht gelingt es Hillary aber auch, einen Rollenfachwechsel vorzunehmen. Das sähe die Dramaturgie zwar nicht vor, aber die veränderte Situation könnte für ein kleines Glück sorgen: zum Beispiel als Vizepräsidentschaftskandidatin an der Seite Obamas.

Ob es zum Showdown kommt oder zum versöhnlichen Finale, ob Clinton alleine stürzt oder ihren Konkurrenten mit sich reißt, es wird bei den US-Wahlen doch immer einen Sieger und somit auch immer ein Happy End geben. Was nach dem 4. November zwischen den Eheleuten Präsident und Volk/Nation geschieht, interessiert das Wahlkampf-Melodram nicht die Bohne. Das ist die Geschichte einer anderen, der nächsten Staffel. Fortsetzung folgt.

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