Down Understanding in München

Bühne Es gibt einen Moment in der Inszenierung von Down Understanding, der nicht im Skript von Schorsch Kameruns neuem Stück steht: Kurz bevor der ...

Es gibt einen Moment in der Inszenierung von Down Understanding, der nicht im Skript von Schorsch Kameruns neuem Stück steht: Kurz bevor der Wolpertinger, die Hauptfigur, in einem Monolog die Absurditäten des Einbürgerungstestes hinterfragt, gibt Kamerun die aktuelle Meldung wieder, dass sich die EU-Mitgliedsstaaten nach jahrelangem Streit auf gemeinsame Abschiebe-Regelungen geeinigt haben. Dazu Peter Altmaier, CDU-Staatssekretär im Innenministerium: "Wir haben im Sinne Deutschlands erreicht, dass die Abschiebungen von denen, die wir loswerden wollen, in Zukunft leichter werden." Oft lässt die Wirklichkeit einen sprachloser zurück als jede noch so kraftvolle Bühnenerzählung.

Im Neuen Haus der Münchner Kammerspiele gibt sie sich immerhin alle Mühe, mit polleschartigen Assoziationsketten und theatralen Registern zu überwältigen. Kameruns Uraufführung des eigenen Textes, die vorletzte Premiere der beeindruckenden Kammerspiel-Saison zum Thema Migration, ist eine gute Stunde lang vor allem eine strukturelle Überforderung. Vor der Publikumstribüne steht eine milchige Plexiglaswand; was sich dahinter befindet, lässt sich erahnen. Und manchmal auch sehen: drei Flachbildschirme hängen davor und zeigen in wechselnden Überwachungskamerabildern, was im "Transitraum" vor sich geht; hin und wieder geraten die Zuschauer ins Visier. Dazu schrummelt eine als griechische Folkloretruppe verkleidete Gypsy-Band ihre Weisen; manchmal singt dazu Kamerun, Kopf der Punk-Band Die Goldenen Zitronen.

Aus der nur bedingt chronologischen und abbildenden Textcollage schält sich allmählich die Geschichte eines Australiers, der nach einer durchzechten Oktoberfestnacht im Polizeigewahrsam landet, "kein Geld, keine Papiere, kein Status", wie Kamerun als Erzähler anmerkt. Bernd Moss spielt diesen mit allerhand weißblauen Festsouvenirs behängten Typen vor der Plexiglaswand als freundlich-hilflos grinsenden Typen von nebenan, der nicht weiß, wie ihm geschieht. Im Transitraum flüstert Tabea Bettin einer Schar von Kindern aus ihrem Leben als georgische Nanny auf dem globalisierten Markt vor, wählen Ausbilder Security-Personal aus, werden Immigranten kaserniert, sprechen die Schauspieler ein Befindlichkeits- und Weltanschauungspotpourri der Anything goes-Gesellschaft ins Mikro. Frau Weber (Sylvana Krappatsch) und Herr Erich (Lasse Myhr) als Beamtenkarikaturen verhören den Australier und die Nanny und tauschen sich über die überwachten Lidl-Mitarbeiter aus.

Mit der Etablierung der Charaktere lässt sich zumindest einzelnen Szenen folgen, die selten in einer Handlungslogik stehen. Erst als das Publikum in der letzten Viertelstunde zum griechischen Fest unters Dach des Neuen Hauses gebeten wird, gewinnen Text und Inszenierung an Kontur. Bei Ouzo und Oliven, zwischen Schauspielern in weiß wallenden Gewändern mit goldkränzendem Kopfschmuck dämmert einem allmählich, warum der Wolpertinger aus Down Under ausgerechnet aus Griechenland stammen will. Die Wurzeln unserer Demokratie, die Quellen von Humanismus und des klassischen "Guten, Wahren, Schönen" liegen hier. Sie sind nichts wert, wie die Demontage des abendländischen Schmierentheaters um die Menschenrechte zeigt: Auf einem Podest präsentiert die Nanny das von ihr einstudierte Kinderstück. Staatsanwalt und Verteidiger mit winzigen Perücken und pittoresken Roben halten in phantastisch-vorgestrigem, mit Rassismen gespicktem Deutsch ihre Plädoyers. Der Angeklagte Kinder-Wolpertinger hat nichts zu sagen und muss zum Schluss zurück in den Transitraum.

Der Wolpertinger ist übrigens ein bayerisches Fabelwesen, ein Hase mit Hörnern, Flügeln und Schwimmhäuten. Eine ähnlich phantastische Nationalitäten-Mischung sind wir alle. Aber solche Argumentationen gehen selten auch in nicht-babarjuwarische Bürokratenhirne hinein.

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