Module

Erfahrungsbericht Mit Creditpoints und Bachelor auf du und du

Ich hätte es wissen müssen. Schon vor Semestern gab es erste Anzeichen: auf den Leistungsnachweisen befanden sich plötzlich Felder für ECTS-Grade und ECTS-Anrechnungen. Es folgten eigenartige Angaben in den Vorlesungsverzeichnissen, die sich auf Nachfrage als "Creditpoints" und ERASMUS-Fächerschlüssel herausstellten. Schließlich kamen im Winter die Streiks und Demos, wo auch den weniger Engagierten allmählich dämmerte, dass sich etwas ändern würde in der deutschen Hochschullandschaft, und zwar bald. Nur was, das schien niemand so genau zu wissen und erst recht nicht erklären zu können.

Es ist gar nicht leicht, den Überblick zu behalten. Das von der PDS gerade wieder kassierte Studienkonten-Modell von Bildungssenator Thomas Flierl etwa ähnelt in manchen Punkten dem Prinzip eines Girokontos. Zu Beginn des Studiums erhalte ich vom Staat eine Gutschrift. Damit "bezahle" ich meine Seminare und Vorlesungen. Diese Gutschrift ist so hoch, dass sie für ein gebührenfreies Studium reicht, solange ich in der Regelstudienzeit bleibe. Sollte ich allerdings auf die Idee kommen, einen zusätzlichen Sprachkurs zu belegen, mein Studienfach zu wechseln oder nebenbei ein Kind aufzuziehen, könnte es eng werden. Ist die Gutschrift erschöpft oder wurde die Regelstudienzeit um mehr als zwei Jahre überschritten, müssen pro Semester 500 Euro auf das Konto eingezahlt werden, um weiter studieren zu können.

So weit wird der Durchschnittstudent, der sich nun mit Bachelor und Master herumschlagen muss, wohl gar nicht kommen. Die neuen Abschlüsse lassen sich entfernt mit dem heutigen Grund- und Hauptstudium vergleichen. Der Bachelor ist allerdings wesentlich verschulter und umfasst sechs Semester, in denen der neue Student so genannte "Module" absolviert. Er wird mit einer Prüfung abgeschlossen, nach der man sich reif fürs Berufsleben fühlen soll. Oder aber man verspürt den Drang zur Wissenschaft, dann darf man seine Kenntnisse noch zwei weitere Jahre lang vertiefen und schreibt schließlich seine Masterarbeit.

Bislang wurde mir geraten, möglichst breit zu studieren, mal über den Tellerrand des Studienfaches zu blicken und auch fachverwandte Veranstaltungen zu besuchen. Zukünftig wird das genauso wenig möglich sein wie außeruniversitäres Engagement. Die Module zwingen die Studierenden dazu, nicht nur einzelne Seminare und Vorlesungen, sondern ganze Veranstaltungsblöcke, die sich auch über mehrere Semester erstrecken können, zu wählen. Wer zwischendurch merkt, dass ihm das Thema oder der Dozent nicht liegt, sollte die Zähne zusammenbeißen. Bricht man ein Modul ab, gehen einem die darin erreichten Leistungen und Credits verloren. Die drei Jahre des Bachelors sind sehr lernintensiv und entsprechen eher einer Ausbildung. Wer eigenverantwortliche Recherche und Forschung schätzt, kommt erst in den zwei Masterjahren zum Zug.

Bis zum Ausbruch der schönen neuen Unizeit werde ich mich weiterhin mit alten Problemen herumschlagen. Die Sprechstunden meiner Professoren sind bis zu einem Monat im Voraus belegt. In jedem Semester gibt es lediglich zwei Wochen, in denen man sich zur Zwischenprüfung anmelden darf, ein bürokratisches Verfahren, das zu bestehen es mehr Glück und Schmeichelkunst als Facheignung bedarf. Hauptseminare werden wegen Überfüllung in Hörsäle verlegt, wo Diskussionen beinahe unmöglich sind. Alternativ erschweren Teilnehmerbeschränkungen die Fortsetzung des Studiums.

Eines hat die Ankündigung der neuen Studienordnung und das drohende Damoklesschwert der Gebühren schon jetzt erreicht. Wie zahlreiche Kommilitonen werde auch ich nun alles daran setzen, fertig zu werden und das sinkende Schiff zu verlassen. Einstige Pläne, an der Uni zu bleiben, habe ich wegen des Einstellungsstopps im Mittelbau längst begraben. Und die vielgepriesene Juniorprofessur ist eine Insel der Seligen nur für die wenigen, die eine der freien Stellen ergattern. Die gestrichenen Doktoranden- und Postgraduiertenstellen können sie nicht ersetzen.

Was ich nach meinem Studium machen will? Ich folge dem Trend und gehe in die USA. Dort soll man sich noch für die Förderung sogenannter "postgraduates" interessieren. Und wenn ich dann irgendwann einen Preis bekomme oder eine Professur antrete, werde ich in der Dankesrede auch meine Wurzeln an der FU erwähnen - ein bisschen wehmütig, ein bisschen traurig und mit der Gewissheit, zum richtigen Zeitpunkt gegangen zu sein.

Georg Kasch studiert Neuere deutsche Literatur und Theaterwissenschaft im 10. Semester an der FU Berlin.


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