Adam und Eva im Biologieunterricht? Eine Moschee in Köln? Der Scientologe Tom Cruise als Stauffenberg? Und jetzt auch noch der Dalai Lama in Hamburg. Wer behauptet, dass das Thema Religion heute keines ist, hat etwas verpasst. Ebenso wie diejenigen, die nicht wahrhaben wollen, dass der Hass auf Homosexuelle wächst. Jede Kleinstadt hat heute ihren CSD, aber ebenso jeder Schulhof sein meistgebrauchtes Schimpfwort: schwul.
In Zeiten eines konservativen Rollbacks ist es erfrischend, im Münchner Haus der Kunst auf den Bildtitel War Jesus heterosexuell? aus dem Jahr 2005 zu stoßen, der die Beweislast umkehrt. Das Bild zeigt die Künstler Gilbert und George als Patronatsfiguren unter großen Kruzifixen aus Röntgenbildern. Grell flammen die Primärfarben auf, ei
8;rfarben auf, eine Anhäufung von kleineren Kruzifixen bildet neogothisch anmutende Muster. War Jesus heterosexuell? ist Teil der Serie Sonofagod, mit der Gilbert und George zu ihren Themen Religion und Intoleranz zurückkehren, die sie bereits Anfang der achtziger Jahre bearbeitet haben. Wie in Gott finden von 1982, das an der anderen Seite des Saales hängt, darauf ein nackter Mann, ein Dornenkreuz und in der Mitte, vor schwarzweißem Hintergrund, fallende oder schwebende Männerköpfe in Orange. Im selben Raum ist Sperma Blut Pisse Scheiße Spucke (1996) zu sehen, zwei aufrechte Stücke Kot in braun, die eine runde, rote Fläche und einen Speichelfleck vor gelbem Hintergrund mit weißen Flocken flankieren. Würde der Titel nicht so dezidiert auf die Ursprünge des Dargestellten verweisen, könnte es sich um eine formale Spielerei handeln oder um die schematisierte Darstellung eines heidnischen Heiligtums. Womit das Bild wieder sehr gut in den langen, hohen Raum passt, der von religiösen Motiven dominiert wird, von absurden Kirchenfenstern in verstörender Farbgebung, vergifteten Paradiesgärten, in denen trotz aller Buntheit das Schwarz herrscht. Auch in den Räumen rechts und links, Seitenschiffen dieses kirchenartigen Raums, finden sich die zentralen Themen des britischen Künstler-Paares versammelt: Sex, Religion, Tod.Wegen dieser Motive und der Art ihrer Umsetzung haben die Kuratoren von Gilbert George im Münchner Haus der Kunst am Eingang eine Tafel aufgestellt, die darauf hinweist, dass das religiöse Empfinden von Besuchern verletzt werden könnte und Kinder unter 16 Jahren nur in Begleitung der Eltern eintreten sollten. Gilbert und George, ein Paar in der Kunst wie im Leben, gelten seit Jahren als große Provokateure und werden zugleich von der Kunstwelt hofiert. Das war nicht immer so. Als sich die beiden 1967 in der Bildhauerklasse der St. Martin´s School of Art in London begegneten und privat wie künstlerisch ein Paar wurden, stand ihnen zunächst eine Durststrecke bevor. Als wegweisend erwies sich ihr Einfall, sich selbst zu "lebendigen Skulpturen" zu erklären. So zeigt George the Cunt and Gilbert the Shit von 1969 die beiden jungen Männer freundlich in die Kamera lächelnd, im Einreiher, mit Einstecktuch und Rose am Revers. Das einzig Befremdliche sind die etwas ungelenkt ausgeschnittenen Buchstaben, die mit Stecknadeln an der Kleidung befestigt sind und die George als Fotze, Gilbert als Stück Scheiße bezeichnen - ein Kommentar auch zur Situation der Künstler in der Gesellschaft.Einige Jahre hielten sie an dem Begriff der "lebenden Skulpturen" fest, auch, als es sich bei ihrem Werken schon längst um Bilder handelte, so die auf die englische Romantik verweisende Kohlezeichnungen, die die beiden Männer in der Natur zeigt. Ironische Limericks machen die selten gezeigte, sechsteilige Papier-Skulptur Da waren zwei junge Männer von 1971 zu einem der witzigsten Werke der Ausstellung. Die siebziger Jahre waren darüber hinaus von sozialen Themen wie Alkohol, Depression, Verlassenheit geprägt; zerborstene Fenster, verlassene Straßen, perspektivlose Menschen vor Graffitiwänden finden sich auf zahlreichen Bildern. Damals begannen Gilbert und George, Farbe in ihre schwarzweißen Fotoarbeiten zu bringen.Ihr Anspruch ist es, "Kunst für alle" zu machen. Um ihn nicht durch verwirrende Begriffe zu konterkarieren, gaben sie die Skulptur-Bezeichnung auf. Doch bleiben sie ihrer Idee treu, verewigen sich weiterhin in den Bildern und betrachten sich als Teil ihrer Kunst. Wer die beiden je erlebt hat, etwa zur Eröffnung der Ausstellung vor zwei Wochen, der mag sich gewundert haben über ihre stets kontrollierten Züge, ihr unscheinbares Auftreten - auch bei großer Hitze tragen sie Einreiher, Hemd und Krawatte. Leben ist ihnen Kunst, Kunst Leben. Das wirkt spleenig, entstammt romantischen Grundsätzen und wird von den beiden konsequent gelebt. Als eindimensionale Skulpturen wachen sie zudem wie Schutzheilige über ihre Ausstellung: Links und rechts des Eingangs hängen frühe Kohlezeichnungen, die sie voneinander angefertigt hatten.Gilbert und George setzten sich schon mit den Religionen auseinander, als sich kaum ein anderer Künstler dafür interessierte. Mullah bildet aus Holzmaserungen ein grimmiges Gesicht und stammt ebenso aus dem Jahr 1980 wie Leben mit der Angst, das daneben hängt. Dass selten etwas Gutes dabei herauskommt, wenn man Homosexualität und Religion zusammendenkt, zeigt Spit Law von 1997: Die nackten Hinterteile der Künstler werden von biblischen Verboten aus dem Pentateuch flankiert, darunter das folgenschwere, nicht bei einem Manne zu liegen wie bei einem Weibe.Dennoch behaupten Gilbert und George, das Kategorien wie "schwul" und "heterosexuell" für sie nicht von Interesse wären, dass Kunst ein Mittel sei, Gott nahe zu sein, und haben für junge Künstler den Rat bereit: "Macht Kunst, verdient Geld, und zahlt eure Steuern!" Sind die beiden, deren Wohnung jüngst im Hochglanzmagazin Architectural Digest als Heimstatt zweier gealterter Dandys präsentiert wurde und deren Werke mittlerweile Höchstpreise erzielen, nicht längst Teil des konservativen Rollbacks? Oder sind diese Äußerungen und ihre zur Schau gestellte Bürgerlichkeit nur eine weitere Provokation? Es wäre die gelungenste.Gilbert George. Die große Ausstellung. Haus der Kunst, München, noch bis zum 9. September, Katalog, Hatje, Cantz, 24, 80 EUR
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