Irgendwie und irgendwann muss er doch gehen, auch wenn sein Abtreten an Würde- und Respektlosigkeit noch seinen Antritt übertrifft. Aber Abschied von Donald Trump zu nehmen, ist auch für jene gar nicht so leicht, die sich, von einer unbewiesenen Unterstellung über die nächste Sottise bis hin zum Flirt mit Rassisten und Faschisten, nur empören konnten: ein Desaster nicht nur für die amerikanische Demokratie. Und was er hinterlässt!
Zieht man aber die merkwürdige Öffentlichkeitsarbeit einer doch ziemlich bizarren Persönlichkeit ab, den kaum noch für möglich gehaltenen weiteren Verfall der politischen Sitten und der Sprache, die skurrile Vorliebe für Autokraten und Diktatoren, das nepotistisch-kindische Hire-and- Fire-Spiel und – mein Gott! – die Frisur, dann war die Amtszeit von Donald Trump auch nicht viel schlimmer als die vorangegangener Präsidenten. Die schmutzigen Kriege, die Unterstützung von faschistischen Regimes, die blanke Erfindung von „Massenvernichtungswaffen“ als Erklärung für einen Krieg, die Geheimdienstaktivitäten, die überfüllten Gefängnisse mit ihrem überproportionalen Anteil an People of Color … Schon vergessen? Nur weil ein Präsident bei seinen Lügen, Tricksereien, Wirklichkeitsverweigerungen und Propagandamärchen nicht über das sprachliche Niveau eines Vorschulkindes hinauskam?
Sogar mehr Chaos war möglich
Für die USA war Donald Trump gewiss eine echte Kulturkatastrophe. Alles, was dem liberalen, aufgeklärten, demokratischen und progressiven Bürgertum in und an diesem Land zuwider ist, das drängte während der Trump-Jahre nach vorn und wurde vom Präsidenten gefördert: der bigotte Provinzialismus, die Evangelikalen als expansive politische Religion, der verdruckst strukturelle und der soziale Rassismus, dazu der aktive Redneck- und Proud-Boys-Rassismus, der obszöne Antifeminismus, die Polizeigewalt und der Waffenfetischismus, Auflösung der politischen Kultur in Entertainment und Korruption, ideologische Verblendung, die bei einer Krankenkasse für alle den Sozialismus am Werk sieht, nationalistische Überheblichkeit, Anti-Intellektualismus, Kapitalismus als Volksreligion, einschließlich einer Bewunderung für besonders rücksichtslose Protagonisten, Unwissenheit und Desinteresse gegenüber allem, was anders und außerhalb ist. All das hat Donald Trump repräsentiert, aber er hat es nicht erzeugt. Man sagt, er habe den Graben zwischen den beiden Teilen der Gesellschaft in Postdemokratie und Neoliberalismus vertieft. Wer weiß? Was man sicher sagen kann: Er hat ihn sich zunutze gemacht. Und: Er hat ihn sichtbar gemacht.
Damit wurde er, wie man so sagt, zum mächtigsten Mann der Welt. Und entlarvte diesen Mythos ziemlich gnadenlos. Er hätte die Welt ins Chaos stürzen können, Kriege entfesseln, die Geschichte umschreiben können. Und man hätte unter uns Realsatirikern darauf wetten können, dass er es aus lauter selbstverliebter Blödheit getan hätte. Den besagten Realsatirikern wird gerade Beruhigung zuteil: Würde Donald Trump etwa Schreckliches mit den Geheimnissen anstellen können, die ein Präsident der Vereinigten Staaten nun mal erfahren muss? Nö! Ein Donald Trump liest eh nicht gern und merkt sich nur, was seine Person anbelangt. So rasch wird aus der Erzählung einer gefährlichen Dummheit die von einer entlastenden Ignoranz. Im Moment also einigen wir uns darauf, dass wir uns von einem Täter, der dann eigentlich doch nicht viel getan hat (hauptsächlich Unsinniges wie die Mauer zu Mexiko, Destruktives wie im Bereich der Klimapolitik, manchmal aus Versehen sogar Gutes: Truppenabzüge sind doch ganz okay), relativ erleichtert verabschieden. Schwerer fällt der Abschied von einem Symptom.
Auf die Berlusconis und Trumps dieser Welt folgen in aller Regel nur besser erzogene und moderatere Vertreter des Weitermachens; eine Marine Le Pen oder Giorgia Meloni hält man gerade einmal mit fantasielosen Musterknaben auf Abstand. Von Donald Trump wird bei der Beschreibung von Systemen der Trumpismus als besonders vulgäre Form der rechtspopulistischen Übernahme schwacher demokratischer Strukturen bleiben. Und bei der Beurteilung von politischen Persönlichkeiten wird ein „Trump-Faktor“ bleiben. Narzissmus, Empathielosigkeit, Skrupelbefreiung, Hetze und Wirklichkeitsverlust etwa. Altweißmann-Sexismus, Verbindung von politischer Macht und eigenem ökonomischen Vorteil, kulturelle Ignoranz. Was hat eigentlich Friedrich Merz für einen Trump-Faktor? Na, man fragt ja bloß. Hinter den sieben Dingsda erkennen wir einen, der mit einem sagenhaften Trump-Faktor aufwartet: Bolsonaro, der Donald in jedem einzelnen Feld über-Trumpen kann.
Aber zurück zur mitteleuropäischen politischen Alltäglichkeit. Der Trump-Faktor soll hier moderiert werden. In der deutschen Regierungsmannschaft (die natürlich auch eine Frauschaft ist) ist der „Trump-O-Mat“ je nach Region und Partei zwischen 25 und 50 Prozent eingestellt. Verkehrs-, Innen- und Verbraucherministerium weisen naturgemäß einen höheren Trump-Faktor auf als, sagen wir, das Außenministerium. (Schon weil „außen“ dem Trumpismus an sich als seltsam und gefährlich erscheinen muss.) Aber wie jede*r Kreativwirtschaftler*in weiß: Ohne Trump-Faktor wirst du nichts mehr in Politik, Medien und Irgendwas-mit-Geld.
In seiner Amtszeit hat Donald Trump nur gelogen und getrickst. Was aber, wenn er selbst eine Wahrheit war? Eine Wahrheit über den Zustand einer Gesellschaft, eine Wahrheit über den Zustand der westlichen Welt? Dann wären ja seine Nachfolger, die weniger lügen und weniger tricksen, eigentlich die größere Lüge.
So wie es eine vertrackte Liebeshass-Beziehung im Trump-Lager gibt, gibt es auch eine Hassliebe-Beziehung bei seinen Gegner*innen. Gegen die Eliten sind wir doch irgendwie auch. Lospoltern und persönlich/antidiplomatisch werden, ist das nicht auch eine Befreiung? Und spricht da nicht „das Volk“? Hätten wir nicht gern einen Trump von links?
Nach dem Trumpismus und dem Trump-Faktor wird also das Erbe der Trumpisierung bleiben, die auch – Achtung: negative Dialektik – jene bestimmen wird, die sich ihre politisch-moralische „Identität“ gerade durch den Widerstand gegen Trump erwarben. Ist nicht jede*r, die*der sich so positioniert, in Gefahr, sich wieder den alten Eliten anzunähern, dem Hillary-Clinton-Faktor, dem mit oder ohne Zutun seiner Protagonistin die Ehre zukommt, das andere Schreckgespenst zu sein? Der Trumpismus hat doch gerade die Menschen begeistert, wie es scheint, die Subjekt der politischen Transformation werden sollten. Sagen wir eben: das Volk.
Gemeinsam lügen ist geiler
Sagen wir mal: der Mensch. Vermuten wir einmal, vorwissenschaftlich, wie wir nun mal drauf sind, dass die Mehrzahl der Fan-Base von Donald Trump seine Lügen nicht etwa eins zu eins geglaubt hat, sondern es vielmehr absolut okay fand, dass und wie da gelogen wird. Gemeinsam zu lügen ist einfach geiler, als einsam der Wahrheit zu folgen. Da Donald Trump von seinen Anhängern nicht in der Art eines Staatsmannes, sondern in der eines Medien-Stars verehrt wurde und wird, muss er demnach Symptom nicht nur eines gesellschaftlichen Zustands, sondern auch eines subjektiven Befindens sein. Donald Trump ist der ideale Mensch, der sich in Postdemokratie und Neoliberalismus durchsetzt, ein Rollenmodell für alle Subsysteme, aber noch mehr, eine Art semantischer Verdichtung. Was Elvis Presley für die erotischen Sehnsüchte der Jungen in den 1950er Jahren, das ist Donald Trump für die ökonomisch-sozialen und eben auch sexuellen Sehnsüchte der Alten in den späten 2010er Jahren. Womit wir übrigens wieder bei den Haaren sind. Donald Trumps orange Welle und Elvis’ Tolle haben der Welt mehr gesagt als tausend Worte. Deshalb wohl lässt Trump am Ende seiner Karriere auch seine Haare sprechen, er selbst kann es nicht. Donald has just left the building. Und hinterlässt eine Schar von Menschen, die als „homo trumpiensis“ den weiteren Niedergang von Kapitalismus und Demokratie als Verschwinden einer Gottheit erleben. Donald war nichts. Donald war alles.
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