Zerbrochene Kontinuitäten Die Ausstellung "Verlorene Nähe" zeigt Bilder aus der Sammlung Bunte und gibt uns nebenbei eine schöne Lektion in ästhetischem Gedächtnis
Das ist schon als Voraussetzung ein interessanter Aspekt: Eine Sammlung von Bildern jener Vertreter der modernen Kunst, die von der Entwicklung an den Rand gedrückt wurden - von der Politik, vom Krieg, aber auch von den Strömen von Geschmack und Wahrnehmung. Die "zweite Generation" der Moderne, die in den zwanziger Jahren ihre Arbeit begann und schon zehn Jahre später von den Nazis wieder unterdrückt, verboten und verfolgt, zum Schweigen gebracht wurde. Viele von den Überlebenden dieser zweiten Generation in Deutschland verpassten dann nach dem Krieg den Weg in die Mitte, denn die Kunst dieser Zeit war die Abstraktion - vielleicht nicht zuletzt, weil sie keinen schmerzenden Inhalt transportieren musste und sich vorzüglich in die Selbstdarstellung des aufstrebe
ebenden neuen Bürgertums fügte, das sich als durch und durch "modern" verstand. Aber vielleicht sind wir gegenüber der Abstraktion dieser Zeit mittlerweile so ungerecht, wie man in den fünfziger Jahren ungerecht gegenüber jenen war, die sich vom Figurativen nicht trennen wollten.Die Sammlung von Hermann-Josef Bunte versammelt in 620 Beispielen diese "Verlierer" unserer Kunstgeschichte, und allein das ist eine Entdeckung wert, auch wenn gewiss nicht gleich unsere Lehrbücher neu geschrieben werden müssen. Die Sammlung Bunte ist dabei noch einmal spezialisiert auf den Umkreis von Hamburg, Schwerpunkt sind Maler der Hamburger Sezession in den zwanziger Jahren und der Gruppe ZEBRA in den Sechzigern und Siebzigern, in der sich die "Neuen Realisten" fanden.Zuerst im Schleswig-Holsteinischen Landesmuseum Schloss Gottorf (wo ein Teil der Bilder aus der Sammlung als Dauerleihgaben zu sehen sind), dann in der städtischen Galerie in der Reithalle, Paderborn und schließlich im Kunsthaus Kaufbeuren ist eine Auswahl dieses Sammlung unter dem Titel Verlorene Nähe zu sehen (gewesen). 130 Exponate zeigen so etwas wie eine (Wieder-) Annäherung an den Versuch der Malerei, ein Bild des Menschen zu entwerfen, konkret in der Geschichte und in der Gesellschaft.Was die Ausstellung zu einem so erfreulichen Erlebnis macht, könnte man wohl zuerst einmal ihre "Altmodischkeit" nennen. Weder wird man mit den großen Namen und den nie vorher gezeigten Quantitäten überwältigt, noch sind die Arbeiten der Künstler in ein so enges thematisches Konzept gezwängt, dass man das Gefühl haben muss, nicht das einzelne Kunstwerk, sondern das Ausstellungskonzept sei die eigentliche Sensation des "Events". Das Konzept ist vielmehr offen genug, um den Besucherinnen und Besuchern die eigenen Seh-Erfahrungen zu lassen.Mittlerweile hat die Sammlung Bunte ihren Platz im Bewusstsein der Öffentlichkeit, zumal nach den großen Ausstellungen in Halle und Berlin. Was hier zu beobachten ist, das ist nicht zuletzt eine Kontinuität der künstlerischen Arbeit, die Übergänge und Kommentare zwischen den Jahrhundertwerken, ein Fließen der Bilderproduktion - nicht das Explodieren der Talente; Kunst als das Suchen, nicht als das Gefundene. Und zugleich ist in den Einzelschicksalen der Künstler und in den Problemen der Gruppen zu sehen, wie sehr solche Kontinuität auch gesellschaftlich vernichtet werden kann - durch den Krieg, die Politik oder die ästhetische Diktatur, aber auch durch eine Geschmacksbildung wie dem Event-Charakter der Kunst in der Spaßgesellschaft. Zu entdecken sind einige einzelne: Hermann Stenner, der im Alter von 33 Jahren sein Leben im Ersten Weltkrieg verlor und von den Faschisten als "entartet" geadelt wurde, die Vertreter der Hamburger Sezession wie Karl Kluth oder Rolf Nesch, Karl Ballmer, der 1937 von den Nazis Malverbot erhielt und in seine Schweizer Heimat zurückkehrte, exemplarische Biographien einer kranken Geschichte. Wie schnell ist unsere Kunstgeschichte über das Schicksal von Männern und Frauen hinweggegangen, die für ihren Beitrag an der Moderne unter den Faschisten gelitten, von ihnen vertreiben, mit Malverbot belegt, in den Tod getrieben wurden, und die nicht zu den ganz großen gehören. Unser politisches Gedächtnis ist schon nicht sehr ausgeprägt. Unser ästhetisches allerdings auch nicht.Was es hier zu entdecken gibt, ist im Allgemeinen tatsächlich das gute Werk aus den Linien und Seitenlinien der modernen Kunst in Deutschland. Um das sehr Gute, das Großartige geht es nicht, und das gibt uns eine Chance von den beiden Todsünden der Kunst-Wahrnehmung zur Zeit abzusehen: Von der bedenkenlosen Privatisierung, die nicht nur den Besitz von Kunst, sondern sogar auch die Definition dessen, was Kunst sei, und wie man sie zu präsentieren habe, in die Hände weniger gibt. Und zum anderen vom Immer-mehr-, Immer-größer-Aspekt der Event-Ausstellungen, die sich konzentrieren auf die Sensationen und Höhepunkte. In dieser "neuen" Präsentation und Wahrnehmung spiegeln sich nicht zuletzt die aggressiven Impulse von Ökonomisierung und Medialisierung. Die Kunst, das ist eine Produktionsweise, die vor allem und immer wieder damit beschäftigt ist, sich aus ihren Fallen zu befreien, um sogleich in die nächste zu geraten. Ihre Schönheit besteht darin, dass sie diesen Kampf nie aufgeben kann, nicht in ihrer aktuellen Produktion und nicht in ihrem Gedächtnis und seiner gesellschaftlichen Organisation. Daher brauchen wir nicht nur immer neue Kunst, wir brauchen auch immer neue Kunstgeschichte, und eine gute Ausstellung ist immer auch ein Beitrag, die Kunstgeschichte anders zu schreiben.Die Falle, in der sich die Kunst augenblicklich befindet, ist die der neoliberalen Mediokratie, eine Falle zwischen privatem Besitz und öffentlicher Inszenierung, in der es kaum Möglichkeiten von Konfrontation und Entdeckung gibt. Auf diese Weise verliert die Kunst ihr Bewusstsein. Und so zerbricht die ästhetische Produktion in den hemmungslosen Kitsch der Massenproduktion und den Geschmacks-Besitz der ökonomischen Eliten, dem sich die Reste des "Bildungsbürgertums" und der kulturelle Mainstream allzu bereitwillig anschließen. Was uns fehlt, ist die Fähigkeit, der Kunst bei ihrer Entstehung, beim Kämpfen mit der Welt, bei der Produktion jener Schönheit zuzuschauen, die bei der Überwindung ihrer Widersprüche zustande kommt, mal mehr, mal weniger, manchmal gar nicht und manchmal in einem Maße, dass man es kaum aushalten kann. Was uns fehlt, ist die Neugier nicht auf Kunst, sondern auf das Werden von Kunst.Die "verlorene Nähe" wiederzugewinnen, das bedeutet also nicht nur, die verlorene Nähe des Bildes zum Menschen wiederzugewinnen, sondern auch ganz direkt unsere Nähe zur Kunst, die im ökonomischen und medialen Kannibalismus zu verschwinden droht. Daher ist es notwendig, immer wieder den Blick zurück zu wenden - aber auch zwischen die längst zu Tode reproduzierten und gefeierten Schlüsselwerke und -künstler der Moderne.So sehen wir in dieser Ausstellung hier und da ein vergessenes Meisterstück, ein paar Zwischenstationen und Nebenwege, einige anrührende Augenblicke der Wahrheit (mein ganz persönliches Erlebnis: das Bildnis Frau Weiß von Karl Kluth aus dem Jahr 1930, ein Bild so voller Leben und voller Geschichten, wie es in der deutschen Nachkriegsgeschichte höchst selten wieder entstehen sollte). Wenn man die Bilder der Ausstellung unter ein anderes Motto stellen wollte, so wäre es vielleicht der Kampf um die Würde des Subjekts. Dieses Subjekt, das Maler wie Karl Kluth oder Fritz Flinte in den dreißiger Jahren in der Erscheinung, in einer gerade noch vor dem Verglühen bewahrten Gegenwart des autonomen Subjekts aus den späten, realistischen Umformungen von Impressionismus und Expressionismus gewinnen, ist 40 Jahre später, bei den Malern wie Heiner Altmeppen oder Dieter Asmus, nur noch als Errettung des subjektiven Augenblicks denkbar. Aber was heißt "nur"? Der Mensch der dreißiger Jahre konnte sich dem malerischen Blick aussetzen, weil er ein Verbündeter des Künstlers bei der Suche nach dem eigenen Wesen war. Eine solche Porträtkunst kann es nicht mehr geben, Versuche in dieser Richtung, wir kennen das aus gewissen Politiker-Porträts, werden nicht selten unfreiwillig komisch. Stattdessen können wir nun den Moment als Schnitt im Leben eines Menschen festhalten: Der unverwechselbare Mensch kann seines Bildes nicht mehr habhaft werden, stattdessen kann er versuchen, den Augenblick als unveräußerbaren Besitz zu erhalten. Und so könnte man mithilfe einer solchen "kleinen" Ausstellung, noch einmal eine andere Geschichte der Moderne in der Kunst schreiben. Nicht nur als Emanzipation des ästhetischen Ausdrucks von Gegenstand und Konvention, sondern auch als Auseinandersetzung um das Subjekt. Am Beginn der Moderne wurde das Subjekt so radikal, dass es nur die Wahl zwischen der Tyrannei oder dem Verschwinden hatte. Am Ende der Moderne (oder am Ende ihres ersten Versuches, wer weiß) offenbart es sich, tückisch, wie man gesagt hat, nicht mehr im Raum, sondern in der Zeit. Die Kunst hat sich vom seienden zum geschehenden Subjekt gewendet. So etwas oder so etwas ähnliches könnte man denken, während man durch die Ausstellung Verlorene Nähe geht. Aber natürlich kann man genauso gut einfach nur Bilder ansehen, wie Mädchen mit rotem Badeanzug zum Beispiel, oder die Maskengruppen von Willem Grimm. Was macht da das tückische Subjekt? Es lebt in aller Maskerade, in aller Trivialität fort. Es kann sogar glücklich sein. Aber täuschen wir uns nicht: Verlorene Nähe zurückzugewinnen, ist keine ungefährliche Angelegenheit.Die Ausstellung ist im Kunsthaus Kaufbeuren noch bis zum 9. Juni zu sehen. Der Katalog, herausgegeben von Hilke Gesine Möller und Andrea Wandschneider, erschien im H-und S-Verlag, Paderborn.
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