Ist das Penthouse echt?

Semiotik Nicht nur mit dem Stinkefinger, auch mit seiner Homestory für „Paris Match“ ist Yanis Varoufakis offensichtlich in eine Zeichenfalle geraten
Ausgabe 13/2015
Der Widerspruch der Luxushemdsärmeligkeit setzt sich hier, gefährlich, ins Intime und Territoriale fort
Der Widerspruch der Luxushemdsärmeligkeit setzt sich hier, gefährlich, ins Intime und Territoriale fort

Foto: Baptiste Giroudon/Paris Match/Contour by Getty Images (Ausschnitt)

In den 70er Jahren sprach die US-amerikanische Kritikerin Pauline Kael hinsichtlich der Hollywood-Produktion von einer „Vietnamisierung der Bilder“. Sie meinte damit den direkten und indirekten Einfluss, den die Wahrnehmung dieses unerklärten Kriegs auch auf Bilder ausübte, die motivisch gar nichts mit ihm zu tun hatten. Es war die Zerrissenheit, die unerträgliche Rohheit, das visuelle Chaos aus Elementen des Überdeutlichen und des Unsichtbaren, was die Vietnamisierung der Bilder von Reportagen und Dokumenten ausweitete in Actionfilme, Kunst, Werbung und Comics. Verletzte Bilder reagierten auf die Bilder der Verletzungen.

Was unsere Gegenwart anbelangt, so könnten wir mittlerweile vielleicht von einer „Islamisierung der Bilder“ sprechen. Damit ist nicht nur eine neuerliche Reaktion der Bildwelten der populären Kultur hierzulande auf die Terrorbotschaften des IS, wie vordem auf die Folterbilder von Guantánamo, gemeint, sondern eine direkte und chaotische Begegnung von Bildern und Bilderverboten. Das islamisierte Bild entsteht aus Hysterie und löst Hysterie aus: Welche Kränkung enthält es? Welche Reaktion löst es aus? Welche visuelle Kriegserklärung stellt es dar? Das islamisierte Bild stellt nicht nur Gewalt dar, sondern ist schon selbst Teil einer Gewaltkette.

Im Wesen bereits Un-Bilder

Und wie einst bei der Vietnamisierung des Bilds, so ist auch bei der Islamisierung des Bilds die ikonografische Kettenreaktion unbegrenzt und der Vorgang offensichtlich unumkehrbar. Es scheint nahezu unmöglich, zumindest öffentliche Bilder ohne diese Kränkungshysterie zu betrachten, die sich längst vom eigentlichen Geschehen etwa im Kampf zwischen satirischer Bilderlust und psychotischem Bilderverbot unabhängig macht. Selbst die überbordende Produktion mehr oder weniger privater Bilder, selbst das Selfie aus dem Mobiltelefon sind vor einer solchen Islamisierung nicht mehr sicher. Was es darstellt, ist zweitrangig gegenüber seinem Gehalt an Okkupation und Angriff. Und spätestens hier bemerken wir, dass „Islamisierung“ ein so irreführender, wenngleich im historischen Moment vielleicht treffender Ausdruck für einen iconic turn ist, wie es seinerzeit „Vietnamisierung“ war. Der Funktionswandel der Bilder ist sogar nachhaltiger, als es das historische Gedächtnis sein wird.

Als ein Musterbeispiel eines islamisierten Bilds schon weit jenseits dieses historischen Bilderkonflikts lässt sich wohl das „Stinkefinger“-Foto des griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis bezeichnen. Es wird bis dato behandelt, als hätte man auf die möglicherweise in ihm enthaltene Kränkung, die visuelle Kriegserklärung, nur gewartet. Und erst durch die Kränkung wird ein ideelles Gut („Deutschland“) auch in seiner materiellen Konkretion (Deutschland) „heilig“. Die Islamisierung des Stinkefingerbilds – für sich genommen allenfalls eine Stilfrage wert wie das Tragen von Krawatten – scheint nicht nur einen Konflikt zu nationalisieren, der in Wahrheit ein Konflikt zwischen Kapital und Menschen ist, sie bestätigt indirekt auch, dass es Dinge gibt, die auch uns heilig sind (DEUTSCHLAND). Durch den Stinkefinger, sozusagen das neonationalistische Pendant einer Mohammed-Karikatur, wird negative Identität geschaffen.

Zur Vollendung des islamisierten Bilds gehört schließlich noch der Diskurs der Fälschung. Immer muss an diesen Bildern etwas Maskiertes, etwas Unaufgelöstes, etwas unendlich Deutbares sein, das den Betrachter in eine gnadenlose Authentizitätsfalle führt. Bilder dieser Art können nicht mehr gesehen, sondern nur noch dechiffriert werden; es sind im Wesen bereits Un-Bilder.

Das Gegen- oder Parallelbild zum Stinkefinger, wie man es nimmt, ist das einer Selbstinszenierung, die Homestory für die Illustrierte Paris Match, die Varoufakis zusammen mit seiner Ehefrau Danae Stratou, zufällig „Visual Artist“ eben bei Paris Match, im Penthouse über Athen zeigt. Es sind Bilder, die auf den ersten Blick superidyllisch wirken, als würden sie für eine Lebensversicherung oder für Immobilien werben. Traumschiff und Schöner Wohnen, Selbstbildnis des griechischen Finanzministers als junger urbaner Besserverdiener mit dezent luxuriösem Geschmack.

Die visuelle Strategie dieser Bilder ist nur zu klar (fast könnte man über ihre Naivität schon wieder so gerührt sein wie über die offensichtliche Unbeholfenheit der beiden Hauptdarsteller dieses Glückstraums): Man möchte sich zwar um jeden Preis gegen den übermächtigen Gegner, die Krawattenträger aus Berlin und Brüssel, positionieren, natürlich auch gegenüber den traditionellen Repräsentanten der ökonomischen Elite, aber auf keinen Fall als Vertreter der Loser gelten. Diese Bilder grenzen sich ab von einer als erfolglos, proletarisch, nostalgisch empfundenen „alten“ Linken und setzen auf das exemplarische Rollenmodell einer jungen, dynamischen, erfolgreichen und (post-)bürgerlichen Schicht, die alles zum Besseren wenden wird, nicht obwohl, sondern gerade weil sie um die mehr oder weniger kleinen Freuden des Lebens weiß. Hedonismus links.

Die Politik der Brioni-Träger

Hier nun freilich sieht man, erneut als scheinbar positive Spiegelung des negativen Stinkefingers, dass die Subjekte dieser Inszenierung nicht wirklich mit der eigenen Ikonografie umgehen können. Erinnern wir uns an die Amtsantrittsphase der rot-grünen Regierung in Deutschland, mit ihrer öffentlichen Lust an teuren Anzügen, gefolgt von Rudolf Scharpings nun in der Tat peinigenden Bildergeschichte mit Swimmingpool und Gräfin.

In der Geste der Übernahme von Macht- und Luxussymbolen jener Klasse, die eine „linke“ Regierung eigentlich in die Schranken hätte weisen sollen, steckte bereits das gnadenlose Scheitern (oder sollen wir doch sagen: der Verrat?) dieses grün-linken Projekts: Machtlust und Eitelkeit ließen sich in den Bildern, die damals produziert wurden, kaum hinter halbherzigen Versuchen der Ironisierung verbergen. Und dann machten diese „new boys“ – denn in der Tat blieb ja auch dieses rot-grüne Projekt der Machtübernahme durch und durch männlich – wirklich genau die Politik, die man von Brioni-Trägern erwartet. (Nur Scharping hatte es mit seiner Bunte-Story, die ihn als vor Stolz und Eitelkeit platzenden Emporkömmling denunzierte, indem sie genau seinen Traum illustrierte, übertrieben und musste geopfert werden. Oder war es, mythopoetisch gesehen, noch einmal anders: Hatte dieser Scharping den closed shop einer vatermordenden Männerclique, die nur durch inneren Zusammenhalt zu verbergen vermochte, wie sehr sie nichts als Vaterkarikaturen waren, durch seine allzu dreiste Bilderöffnung empfindlich gestört? Wie auch immer: Der Bilderkrieg war damals jedenfalls verloren.)

Die griechische Regierung, die einen harten und notwendigen Kampf für ihre Gesellschaft und ihre Menschen gegen die Interessen der Banken und der neomerkantilistischen Politik zu führen hat, steckt, was ihre öffentlichsten Vertreter anbelangt, in einer ikonografischen Falle, um die sie wahrlich nicht zu beneiden ist. Sie müssten nicht nur ein Bild der besseren Zukunft entwerfen, sie müssten ein solches Bild auch sein.

Statt die Brionis und Armanis zu okkupieren, entschied man sich für eine widersprüchliche Art des Hedonismus, eine Art Luxushemdsärmeligkeit, an der aber, je genauer man hinsieht, desto weniger „Natürliches“ oder Selbstverständliches bleibt. Und wie er sich mit dem Stinkefinger in die islamisierte Kränkungsfalle begab, auch wenn er ihn im Kontext seiner Rede eben gerade als verworfene Option darstellte, so begab sich Varoufakis mit seiner Homestory in eine Klassenfalle: Ist er wirklich so ein Schnöselpromi, der dauergrinsend auf der Dachterrasse sein perfektes Dinner mit seiner perfekten Frau in perfekter Beleuchtung bereitet?

Oder offenbart jedes einzelne Bild das Gestellte, das Falsche, das Usurpierte dieser ikonografischen Selbstaussage? Wenn Mr. Varoufakis da wirklich lebt, was die billige Werbeästhetik der Fotos allerdings nicht hergibt, dann ist er keiner von uns; gehört er da aber nicht wirklich hin, dann hätte er die Macht schon verspielt. Der Widerspruch der Luxushemdsärmeligkeit setzt sich hier, gefährlich, ins Intime und Territoriale fort. Aus zwei falschen wird nur in sehr seltenen historischen Momenten ein richtiges Zeichen.

Die Islamisierung der Bilder reduziert diese auf ihren Signalcharakter. Bilder dürfen nur noch etwas repräsentieren, aber nichts mehr erzählen. Bilder werden nur noch als Reiz- und Kampfmittel eingesetzt. Wenn in der Vietnamisierung die Trümmer in die Bilder flogen, sind Bilder nun selbst Trümmer, die kaum noch verraten, in welchen Zusammenhängen sie einst entstanden. Bemerkenswerterweise begegnen sich da allerdings zwei Formen der Fetischisierung, denn auch im kapitalistischen Realismus des Neoliberalismus findet eine solche Reduzierung der Bilder statt. So ist das Stinkefingerbild genauso falsch wie das Homestory-Bild. Wie das eine von einer kränkenden Aggression erzählt, die niemals stattgefunden hat, konstruiert das andere eine Idylle der Versöhnung von Revolte und Reichtum, die es nicht geben kann. Wir kennen das nicht nur aus Hollywood-Filmen: Die Revolutionäre vergiften sich an ihrer Beute, und an ihrer Eitelkeit erstickt jeder soziale Elan.

Wer ist „schuld“ an diesen falschen Bildern, die möglicherweise das Scheitern der so dringend benötigten Revolte gegen das neomerkantilistische Diktat und den aufgezwungenen Bürgerkrieg schon vorwegnehmen? Und kann es wirklich sein, dass Stinkefinger- und Penthousefotos schon mehr entscheiden als Diskurs und Debatte? Vielleicht entkommen wir noch einmal der Bilderfalle. Und dann?

So wie das vietnamisierte Bild einst ein Bild war, das von Gewalt und Angst so viel zeigte, dass es nicht mehr lesbar war, ist das islamisierte Bild ein Bild, das Gewalt und Angst so lesbar macht, dass es nichts mehr zeigen kann. Und dasselbe gilt für das Gegenbild, jene Inszenierung, die die Lösung verspricht, das Glück, das uns blüht. Es ist nur noch Text, Chiffre, Reklame. Bei den Varoufakis gibt es heute (am 8. März des Jahres 2015, um genau zu sein) gebackenen Fisch, Meeresfrüchte, Gemüse, Salat und Käse, dazu ein Gläschen Weißwein und eine Menge Brot verschiedener Sorten. Wer zum Teufel soll das alles essen, in der Mittagssonne über den Dächern von Athen, wenn nicht die Bildermacher von Paris Match?

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