Lichtspieltheater

Berlinale Mit den Filmfestivals stimmt irgend etwas nicht mehr. Aber was genau?
Ausgabe 07/2018
Jeder Preis ist untrennbar verschmolzen mit Aufmerksamkeitsökonomie und Markt: Berlinale-Bär in der Fertigung
Jeder Preis ist untrennbar verschmolzen mit Aufmerksamkeitsökonomie und Markt: Berlinale-Bär in der Fertigung

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Ich habe nichts gegen Filmfestivals. Was ist schon zu sagen gegen eine Menge Filme, ein bisschen Glamour, Begegnungen und Diskussionen, kleine Skandale und große Enttäuschungen, das eine oder andere echte „Wow“ und ein paar Gelegenheiten, sich die Nase zu befeuchten? Das ist doch ein wenig Schlangestehen, eine massive Erkältung, überhöhte Preise und ein Bombardement von klugen und nicht so klugen Statements wert, oder? Festivals sind Markierungsleuchten der Filmgeschichte. Geschmacks- und Diskursmaschinen und nicht zuletzt Karriere-Entscheidungen. Nimm die Festivals weg und wir wüssten gar nicht mehr, wohin es noch gehen könnte oder ob es überhaupt noch irgendwohin geht mit dem Kino. Aber irgendwas stimmt nicht. Mit den Festivals oder mit der Filmkultur. Oder mit beidem.

Das Filmfestival ist nicht nur Teil der Filmkultur, sondern stets auch, und vielleicht unter dem Strich mehr: ein Teil der politischen Ökonomie der audiovisuellen Produktion. Dieses Doppelgesicht macht es enorm schwierig, die Instanz zu kritisieren, auch und gerade von den Betroffenen, nämlich den Produzenten selber, also den AutorInnen, RegisseurInnen, SchauspielerInnen und so weiter, und natürlich von denen, die im Hintergrund, mehr oder weniger, diese Ökonomie bestimmen.

Erfindung des US-Militärs

Der Erfolg eines Filmes, so hat es mir ein Regisseur einmal erklärt, setzt sich aus drei Komponenten zusammen: Zuschauerzahlen, Festivalpräsenzen (möglichst mit Auszeichnung) und kritisches Echo. Wie es so geht, können solche Parameter einander unterstützen, sie können einander kompensieren (Beifall vonseiten der Kritik kann einen Film davor retten, durch die Abwesenheit von Publikum endgültig und spurlos zu verschwinden), sie können aber auch voneinander losgelöst sein: Ein Film, bei dem sich die Festivalbesucher um die Karten geprügelt haben, läuft wenige Tage später im Kino vor halb leeren Reihen.

Jede Kritik eines Filmfestivals lässt sich daher in drei Teilfragen aufspalten, nämlich, erstens, ob das Festival in sich funktioniert. Also ob es Publikum anzieht, ob man sich bei ihm wohlfühlt, ob es Presseresonanz erzeugt, ob es nachhaltige Erinnerungen generiert, ob Auswahl und Anwesenheiten überzeugen, ob es eine Struktur, eine Haltung, ein Milieu kreiert, ob es seinem sozialen und politischen Umfeld Nutzen bringt.

Zweitens, ob das Festival der politischen Ökonomie der Produktion nutzt, ob es Erfolge, Aufmerksamkeit, Präsenz und Dialog einbringt, künstlerische und ökonomische Allianzen erzeugt, Anregungen vermittelt und überhaupt kreative Feuer entfacht. Ob ein Festival über das eigene Funktionieren hinaus Impulse aussendet, der Filmkultur zu Leben verhilft, Debatten ermöglicht. Ob es den Filmen zu einem weiteren Weg verhilft und verhindert, dass die Füllung des Lichtspieltheaters zu Festivalzeiten nicht die andere Seite seiner Leerung zu „gewöhnlichen“ Zeiten ist.

Drittens, ob es einen Beitrag zur „allgemeinen“ Filmkultur leistet, zum Beispiel als Schnittpunkt der Debatten, was sich in gewisser Weise mit der ersten Anforderung beißt. Denn natürlich ist ein cineastisches Wohlfühlghetto etwas Feines; es tendiert aber zugleich dazu, den normalen Kinobetrieb zum Beispiel abzuwerten und auf eine vielleicht nicht unverhängnisvolle Weise das Kino als ein Event oder Spektakel zu definieren, demgegenüber ein „normaler“ Kinobesuch eher unbedeutend und enttäuschend ist. Der ständische und kulturelle Narzissmus des Festivals verhindert seine gesellschaftliche Relevanz.

Kurzum: Filmfestivals sind, vom Standpunkt eines normalen Bewohners der audiovisuellen Kultur gesehen, nur so gut, als sie Repräsentanten, Motoren und Reflexionen der allgemeinen Bilderkultur sind. Das Unbehagen an Festivals macht sich nicht daran fest, ob sie ein paar Besucher weniger als die Konkurrenz oder als im Vorjahr verzeichnen, nicht an der Anzahl roter Teppiche oder prominenter Gäste, vielleicht nicht einmal allein an der Qualität der präsentierten Filme, sondern an der Distanz des Events zur lebendigen Kultur.

Es liegt auf der Hand, dass der dritte Teil der Anforderungen an ein gelungenes Festival in den letzten Jahren erheblich verändert worden ist, und das, um es milde zu formulieren, nicht unbedingt zum Vorteil. Die Trennung von Festival- und Filmkultur bis hin zum regelrechten Widerspruch hat mehrere Ursachen.

Etwa den Aufmerksamkeitswettbewerb der Festivals untereinander. Im 40. Jahr des Bestehens des Toronto International Film Festival, das seit 1976 besteht, erklärte sein Direktor Piers Handling, sein Event sei „an seine Grenzen gelangt“, nämlich „was die Präsenz hochkarätiger Stars, Branchenvertreter und aussichtsreicher ‚Oscar‘-Aspiranten angeht“. Filmfestivals als Parodie von Wachstumsökonomie?

Vieles davon steckt als Geburtsfehler in den großen Festivals. Das erste Festival des Films fand 1932 in Venedig statt. Moskau folgte 1935. Es waren politische Installationen, die da durchgeführt wurden. Die Berlinale ist ein Kind des Kalten Kriegs, sie wurde gegründet als „Schaufenster der freien Welt“, auf Initiative des Film Officer der US-Militärregierung. Das Festival ist ein Versuch der Politik, den Film in seine Herrschaft zu nehmen. Natürlich, sagt man, habe sich das mittlerweile geändert, einerseits zu Vielfalt und Liberalität, ein Festival soll nun eben „Demokratie“ ausdrücken, andererseits durch den „freien Markt“.

Die große Zeit der Filmfestivals, die fünfziger und sechziger Jahre, brachte nicht nur einen Gründungsboom, sondern auch diese besondere politische Bedeutung für eine kulturelle Nachkriegsordnung. Sie drückten vor allem einen Wunsch nach einer universalistischen, friedlichen und dialogorientierten Welt aus: Auf Festivals sollten in Form von bewegten Bildern sich Kulturen miteinander austauschen, einander besser verstehen („Wege zum Nachbarn“) war der Impuls. In Wahrheit sehen wir heute nur: Die Sehnsucht nach universaler (Film-)Kultur ist der Hoffnung auf globale Vermarktung gewichen.

Die Utopie (oder Illusion), der die Filmfestivals bis in die späten achtziger Jahren folgten, nämlich Vorboten kultureller Vielfalt in einer geeinigten Welt zu sein, trägt längst nicht mehr. Der Zerfall in globale Finanzströme, neomerkantilistische Wirtschaftskriege und re-nationalisierte Ideologien und „Identitäts“-Kulte spiegelt sich gewiss in einzelnen Filmen wider, wird aber in der Festivalstruktur selber geleugnet beziehungsweise nun eben, so schließt sich ein Kreis, in der Betonung der Wettbewerbsdramaturgien bewusstseinslos wiedergegeben. Mit anderen Worten: Die Interessen von politischer Ökonomie, der Kunst und des Publikums gehen immer weiter auseinander, und die Mittel, dem Rechnung zu tragen, haben allesamt etwas Selbstzerstörerisches an sich.

Kinokultur in der Krise

Festival-Auszeichnungen dienen mithin nicht allein dem Sichtbarmachen eines Filmes und einem künstlerischen Wettbewerb (mag man von so etwas halten, was man will), sondern sie sind Teil der politischen Ökonomie, Teil von Zirkulationen von Kapital und „Wert“. Es sind Maschinen zur „Refinanzierung“ und zur Wertmessung des audiovisuellen Marktes auf dem Sektor, der durch alleiniges Marktgeschehen nicht zu amortisieren ist. Hier wird das gesellschaftliche Geld (mit-)verteilt, findet Austausch von politischen, ökonomischen und künstlerischen Interessen statt, und auf eine vertrackte Weise sind Filmfestivals auch so etwas wie indirekte Subventionen.

Das kann man positiv sehen: Hier geht es darum, die Zyklen des Bildertauschs der reinen Marktlogik zu entziehen. Man kann es aber auch andersherum sehen: Hier wird ein Parallelmarkt geschaffen und organisiert, auf dem sich alles Mögliche zeigt, aber gewiss keine ästhetische und politische Unschuld.

Die Frage also, ob Filmfestivals die Rettung einer krisenhaften cineastischen Kultur darstellen oder ob sie im Gegenteil die Krise eher noch verschärfen, kann so einfach nicht beantwortet werden. Das Problem freilich liegt in der Tatsache, dass man sich diesem Widerspruch einfach nicht zu stellen wagt. Denn jedes noch so bescheidene Segment der Filmkultur, vom Feuilleton bis zum prekären Kino-Job, rettet sich ein bisschen durch das Festival und sieht zugleich umso drastischer dem eigenen Niedergang zu.

Info

Die 68. Internationalen Filmfestspiele Berlin finden vom 15. bis 25. Februar 2018 statt

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