Narziss minus Goldmund

HipHop Einst war er der Lieblingsrotzlöffel des deutschen Feuilletons. Jetzt hat Eminem ironische Distanz gelernt und verbindet seine Selbstbezogenheit mit Humor und Romantik

Wenn Pop aufs Feuilleton trifft, zerfällt er in Soziologie und Kunst. Das ist mal spannend und oft langweilig, immer aber prekär. Denn Pop ist immer zugleich mehr und weniger als Soziologie plus/minus Kunst. Daher rächt sich Pop häufig am Feuilleton, indem es dessen Sprache infiziert. Und das wird peinlich.

Eminem aber, den wir, wäre der Titel nicht schon anderweitig vergeben, den whitest boy alive nennen könnten, der sich mit Hilfe „schwarzer“ Musik vorläufig das Leben rettete, Eminem machte es uns leicht, indem er beides, die Soziologie seines Familienromans und die Collage-Techniken seiner apropriierten Hip-Hop-Kunst, bereitwillig auf den feuilletonistischen Seziertisch legt. Das große, zähe Scheitern seines Lebens, die stete Wiederkehr von Paranoia und Droge, wird auf einigermaßen direkte Weise in Kunst verwandelt.

Die einfache Geschichte dazu: Da ist ein weißer Junge aus dem Trailer Park, aus dysfunktionalen Familienverhältnissen, der schaut sehnsüchtig über die Straße, zum schwarzen Ghetto. Dort aufgenommen zu werden ist nicht nur der größte Wunsch, sondern die einzige Überlebenschance. Denn der white trash im Trailer Park, die Leute, die hier gestrandet sind, weil ihre kleinen Unternehmen pleite gingen, die Familien zerbrachen, Krankheit, Drogen oder kriminelle Verfehlung eine Rückkehr in die ordentliche Nachbarschaft unmöglich machen, haben sich nicht einmal in ihrem Elend eingerichtet. White trash, das ist narzisstische Gekränktheit, endloses Lamentieren, die Idee, dass man nicht hierher gehört. Die anderen vielleicht. Drüben, im schwarzen Ghetto, geht man anders mit dem Elend um. Da gibt es pride, respect, juice. Und die bessere Musik.

Mütterliche Drogen

Auf den ersten Blick ist der Rapper Eminem mit dieser Erzählung groß geworden: Schwarze Daddies haben ihn aufgenommen und ihm zu der Musik verholfen, mit der er sein Lebenselend und seinen Zorn gegen die „anständigen Leute“ herausschreien konnte. Darunter steckt etwas anderes, die Gegengeschichte: Das schwarze Idiom wurde zum Trägermedium für ein sehr weißes Lamento, das durch Alltagsbeobachtungen, Obszönitäten und fast schon klassisch surrealistische Sprachtechniken perforiert ist. Kunst eben, wenn auch im gleichsam ewigen Zustand der „Unreife“, Pubertät als Schicksal und als Haltung: In diese Gesellschaft hinein will ich nicht erwachsen werden. Vielleicht kann ich es aber auch nicht. Hilfeschrei und Hasstirade. Kein Wunder, dass Eminems neue Platte Relapse mit einem therapeutischen Gespräch und dem Hörbild eines Zusammenbruchs/Erwachens beginnt.

Kein Wunder auch, dass jemand wie Eminem bei eben jenen den größten Erfolg hatte, die vom Trailer Park so weit entfernt sind wie vom Ghetto, bei den weißen Mittelstandkids. Für einen kulturhistorischen Augenblick war Eminem wohl der authentischste Ausdruck der Revolte in allen Transitionen, zwischen den Generationen, den Ethnien und den Klassen. Dann war er im Feuilleton und bekam seinen biografischen Film, 8 Mile, der seine Geschichte noch einmal als blauschimmernden Mythos erzählte. Damit schien erst einmal alles gesagt, Marshall Mathers (M=Eminem) zog sich weitgehend aus der Öffentlichkeit zurück und kämpfte mit einer künstlerischen Krise und mit den Drogen. Dass sie bei ihm weder die Form der Spritze noch des Rauches, sondern die Form der Pille haben, ist Teil der Story (eine „mütterliche“ Droge, über die sich früher die Rolling Stones lustig machten und deren familiäre Wirkmacht Eminem auf dem neuen Album im Track Mom beschreibt).

Beinahe also hätten wir ihn schon vergessen, den kleinen weißen Scheißer, der mit Hilfe seiner schwarzen Wahl-Daddys und eines Gespenstes namens Slim Shady eine musikalische Biographie aus der Kultur des white trash ablieferte, und zu dem nichts weniger passte als die Rolle eines saturierten Rockstars. Das Video We made you parodiert denn ausgiebig Rock- und andere Stars, mixt Star Trek und Transformers mit Porno und Politik, lässt die verschmierte Amy Winehouse im Gefängnis mit Eminem rummachen, das ganze: Studentenfilm meets kalkulierte Geschmacklosigkeit meets Trash. Beinahe schon anrührend der Schluss: Als die Musik aus ist, steht Eminem allein vor der Kamera, und geht mit einem Schulterzucken, halb verlegen, halb ratlos ab.

Scheinbar kommt die Rückkehr der Rotznase nach dem Beginn der Ära Obama irgendwie unzeitgemäß. Wollten wir uns jetzt nicht irgendwie alle einig sein? Ärmel aufkrempeln und für Neuanfang, politische Vernunft und soziale Gerechtigkeit sorgen? Und der Kerl rappt weiter, immer noch diese scharfe, rattenhafte Stimme, von seiner Drogensucht, von kaputten Beziehungen, nennt seine Tracks Insane und Bagpipes from Baghdad. Er hat das Erwachsenwerden genau so verpasst wie den Wechsel der gesellschaftlichen Parameter. Deswegen gehört zu seiner Performance offensichtlich nach wie vor das alte Spiel von Provokation und Reaktion.

Sarah-Palin-Bindeglied

Wieder wird die Propagandamaschine zwischen Pop-Provokation und den erzreaktionären Medienvertretern angeworfen. Den Part auf der Seite der, na ja, Konservativen übernimmt Talkshow-Host Bill O’Reilly. Ausgerechnet, hat doch die Art, wie er in seinen Sendungen die Gäste bloßstellt, einen gehörigen Trash-Faktor. O’Reilly bietet dasselbe wie Eminem, nur von der anderen Seite her: als Entrüstungsobszönität alter, bigotter weißer Männer gegen alles, was jung, schwarz und weiblich ist. Ausgenommen sind gute Mütter und gute Republikanerinnen wie Sarah Palin; sie gelten in dieser Welt als Gegen-Pin-Ups. Und Sarah Palin ist das Bindeglied für das gegenseitige Pushing: Dass in Eminems Video die Hauptdarstellerin des Mock-Porno Nailin’ Sarah wieder in ihrer Rolle zu sehen ist, reichte – von kotzenden Eskimos abgesehen – aus, um mit den gegenseitigen Beschimpfungen wieder zu beginnen.

Das hat seinen Unterhaltungswert und könnte vergessen machen, dass auf beiden Seiten nicht viel Neues geschehen ist in den letzten Jahren. Ein wenig durchsichtig ist das Ringen um Authentizität schon: Eminem darf seinen Fans wieder zeigen, was einer der alten Establishment-Säcke von ihm hält, („die niederste Form von Unterhaltung in unserem Land“), und Bill O’Reilly kann seinen Fans vor Augen halten, wie wichtig jemand wie er ist, solange es noch Leute wie Eminem gibt.

Das Schauspiel von Provokation und Reaktion und das neue Album von Eminem könnten auch auf etwas ganz anderes hinweisen. Darauf, dass die neue Epoche des amerikanischen Gesellschaftsvertrags vorläufig nichts weiter als eine Hoffnung ist und die alten Kräfte weiter wirken. Eminems Verweigerung gegenüber dem Obamismus und seiner Art von nüchternem Optimismus könnte mehr sein als das Herumreiten auf einer Verkaufsmasche. Wer als ein gekränkter Narziss nie von seinen Problemen loskommt, der könnte auch skeptisch genug sein gegenüber einer „allgemeinen Stimmung“. Relapse, das Album und seine Vermarktung, ist einerseits wie der Titel verspricht ein Rückfall: in die Drogen, in die antisozialen Manieren, ins Trashige und Pubertäre, ein Rückfall in die alte Rolle. Es ist aber auch ein Rücksturz in die eigene Jugend, in die Zeit der Bush-Ära.

Wenn man nun hinhört, wird man feststellen, dass Eminem genauer geworden ist. Vielleicht ist mehr ironische Distanz im Spiel, als sich beim ersten Hören zeigt. Die Figur, um die es im work in progress des verdreifachten Künstlers (Marshall Mathers, Eminem, Slim Shady) geht, mag nicht „reifer“ geworden sein. Und nach wie vor geht es um genau das, was beim Gang vom Trailer Park ins Ghetto auf der Strecke bleiben sollte: um die Angst des allein gelassenen Kindes. Reifer geworden ist aber die Sprache, die sich in selbstreferentiellen Spiralen entwickelt. Der Lyriker Eminem („in my shoes, just to see what it’s like to be me“) verbindet Narzissmus mit mehr Humor und Romantik, als das Genre verspricht. Soziologie und Kunst, wie gesagt.

Und die Musik? Beinahe hätte ich geschrieben: Recht hübsch. Doch derart wollte ich Eminem nicht beleidigen. Es steckt eine abwechslungsreiche „Hörbarkeit“ in diesem Album. Eminems Rap ist Teil einer Pop-Collage, die sich noch weiter von den schwarzen Wurzeln entfernt hat. Die Geschichte vom weißen Jungen, der unbedingt schwarz sein wollte, ist nach wie vor die Grundierung seiner Performance. Doch Eminems Lyrik trifft hier auf so raffiniert durchscheinend produzierte Musik, als ginge es um die Rotznasen-Version eines Sgt. Pepper’s-Album.

Es ist, irgendwie, „schön“.

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