Rainer Werner Janssen

Biografie Horst Janssen war nicht nur der große Exzentriker. Sein Werk verarbeitete die Nachkriegszeit exemplarisch
Ausgabe 12/2016

War er ein großer Künstler? Ja. War er ein bedeutender Künstler? Äh, definiere „Bedeutung“. War Horst Janssen ein Künstler, der etwas geändert hat, in der Geschichte der Kunst, in der Gesellschaft, im Betrieb? Eher nicht. Vielmehr ist erstaunlich, wie ein Markt vergessen kann, was ihm nicht taugt. Und dass mehr die Erinnerung an eine bizarre Persönlichkeit bleibt als an einen Künstler, von dem der Kritiker Wieland Schmied das Treffende gesagt hat: Dass er nicht Gegenstände und Gesichter zeichnet, sondern das Zeichnen selber.

Auch ich habe, in einer zwischen Rebellion und Lähmung oszillierenden Kleinstadtjugend, Horst Janssen über den „verhängnisvollen“ Spiegel-Artikel kennengelernt, der uns, in einer Zeit, da Kunst cool, ironisch und irgendwie unberührbar geworden war, das versoffene, narzisstische und monströse Genie wiedergab. Endlich wieder ein besessener Künstler. Was für ein Bullshit. Und doch, ohne diesen Artikel wäre Janssen nie zu dem Image gekommen, das ihn wahrnehmbar machte für eine kunstaffine Öffentlichkeit. Und zugleich gefangen hielt in diesem Schwebezustand vergifteter Distanz zu Kunst und Gesellschaft seiner Zeit. Das alles erzählt sehr viel mehr über die Kultur- und Mediengeschichte der BRD in den 60er Jahren als über die Kunst von Horst Janssen.

Kaputtes Charisma

Die lag schon quer zum allgemeinen Trend. Es gab diesen einzigartigen Strich, der einen hier an Dürer erinnerte, dort Goya zitierte, aber doch in seiner drastischen Zartheit etwas ganz Eigenes hatte, eine fließende Verbindung von Bild und Text, das Filigrane und Überfüllte, das an überraschenden Stellen ins Leere und Verschwindende übergeht. Und es war ausgerechnet die so vollkommen aus der Mode gekommene Kunst des Selbstporträts, die Janssens Eigenartigkeit zeigte.

Andererseits war sein Aufscheinen im deutschen Kunstbetrieb auch Symptom für einen Übergang. Zwischen der kühlen Abstraktion, die als Synonym für moderne Kunst schlechthin galt, und der aus der Zeit gefallenen, engagierten figurativen Kunst, zwischen dem Beginn von Happening und Fluxus und der sarkastischen Verweigerung der Minimal Art machte Janssen sein eigenes Ding.

Jetzt also die große Janssen-Biografie von Henning Albrecht. Mit ihr kann man nun einmal unter den Teppich der Masken und Mythen schauen, den nicht nur der Betrieb, sondern auch der Künstler selber gewoben hat, und unter den so manches gekehrt wurde. Ist so etwas notwendig? Schwer zu sagen. Faszinierend ist es allemal. So wie ja jedes Leben, wenn man es richtig erzählt, Schönheit und Erkenntnis generiert. Aber der Autor warnt zu Recht gleich am Anfang: Ein kohärentes Bild wird das nicht geben. Am ehesten wird so etwas wie ein kaputtes Charisma deutlich.

Und dann: ein deutsches Leben. Ein unehelich geborenes Kind, frühkindliche Entbehrungen und problematische Identifikation. Nach einer „paradiesischen“ Kindheit bei den Großeltern und dem Leben im Oldenburger Kleinbürger- und Arbeiterviertel folgt die Nazizeit; die gehassliebte Mutter begeisterte Anhängerin des neuen Regimes. Aus solcher Herkunft machte Janssen ein Programm: „In mir (…) triumphiert hämend Verachtung für die verfluchten, blutleeren, fleischlosen, lahmarschigen, glattzüngig zelebrierenden Geister der Metropolen.“

Es soll eine radikal anti-großbürgerliche Kunst werden, die aber sub-kleinbürgerlich keine rechte Klassenidentität hat. Weil das nicht gelingen kann, wird die Kunst die eines Solitären, eines Menschen, der verachtet und verachtet wird.

Die „psychologische“ Deutung und die Beziehung zur Kunst mag immer mal wieder übertrieben, konstruiert erscheinen. Aber Janssen hat in der Tat selber viel zu seiner Deutung aus den Verletzungen der Kindheit heraus getan, und dieses Material wird auch ausgiebig zitiert. Ganz nebenbei könnte man erfahren, dass aus Horst Janssen auch ein passabler Schriftsteller hätte werden können, was im Umkehrschluss bedeutet: Der Kerl, wenn er über sich selbst spricht, lügt wie gedruckt. Über weite Strecken ist das Buch eine Überprüfung, Ergänzung und Korrektur, der Versuch, hinter der Janssen’schen Fabulierlust die Wahrheit zu erkennen, ohne diese Fabulierlust des Künstlers zu denunzieren.

Vaterlosigkeit, prekäre Mutterbeziehung, die Erfahrungen in der Nationalpolitischen Erziehungsanstalt: „All das prägt sein Verhalten anderen gegenüber, seinen Stolz und seine Minderwertigkeitsgefühle, seine Liebesbedürftigkeit und seine Angst sich auszuliefern, seine Befehlslaunen und seine Depressionen; es fließt in seine Unberechenbarkeit, seine verquere Sexualität, seinen sozialen Sadismus, seine Süchte“, schreibt Henning Albrecht. Vielleicht. Wir haben jedenfalls ein Doppelbildnis vor uns: hier einen begnadeten, wenn auch etwas aus der Zeit gefallenen Künstler, der jeweils seine ganz persönliche Ausdrucksweise fand, und dann aber immer weiter, aus Angst vor der Routine und der Selbstwiederholung, etwas ganz anderes versuchte, dabei mögliche Marktpositionen wieder verspielte. Und da die Borderline-Person, alkoholkrank und von einem unverzeihlichen Hang zur Gewalt gegen die Nächsten, gegen die Geliebten vor allem, getrieben, zugleich ein Verführer und Manipulator. Dieser Horst Janssen war, je nachdem, wie man es sieht, ein sehr kranker Mensch oder einfach auch ein Riesenarschloch. Das Tückische ist, dass – wie sein Biograf betont – der eine Janssen nicht ohne den anderen zu haben ist, der Künstler nicht ohne die Borderline-Person und umgekehrt.

Mit der großen Ausstellung, die in der Kestnergesellschaft in Hannover 1965 beginnt und dann durch die Bundesrepublik tourt, ist der „eigentliche Durchbruch“ geschafft. Da ist aber schon die Kluft entstanden zwischen dem Künstler und der Mediengestalt. Der Blick auf seine Arbeit ist erschwert durch die Sensationen. Janssen ist nicht nur ein Produkt des Spiegel, sondern auch der Bild-Zeitung und der Illustrierten. So etwas bleibt nicht ohne Folgen. Und dem Künstler blieben die Attribute des „Nackten“, des „Schonungslosen“, des „Sezierenden“ und so weiter. Ein unglücklicher Vergleich in einer Eröffnungsrede, in der Rembrandt vorkam, wurde zum journalistischen Selbstläufer. Ab 1965 konnte man kaum von Janssen lesen, ohne dass der Name Rembrandt vorkam. Und kaum einmal kamen nicht Suff, Sex und Gewalt vor. Der seltsame Pakt mit der Schweinepresse vergiftete auch die Kritik. Aber auch nach den größeren Erfolgen kommt es zu einer neuen Krise, der Furcht vor der Selbstwiederholung. Danach die Wendung zur Landschaft und zurück zur Radierung.

Es ist ein lebenslanger Kampf um Annäherung und Befreiung vom Ich. Und in dieser Frage nach dem Subjekt ist Horst Janssen wesentlich „moderner“, als es seine Kritiker wahrhaben wollten. Das Spiel mit den Zitaten von Zitaten und mit den Identitäten (die Vorbilder der Kopien treten schließlich selber in den Arbeiten auf) verlangt nach einer intensiveren Lektüre der Bilder. Der Künstler ist nicht nur Nachfahr, sondern auch Partner und dann auch (Wieder-)Geburtshelfer seiner Vorgänger. Man könnte hier auch wieder sehen lernen oder „kucken“, um mit Janssen zu sprechen.

Vor dem Vergessen bewahren

Aber entstammt dies alles nur der Neurose, dem Alkohol, dem gefährlichen Methamphetamin? Janssens Werk wäre nur halb so interessant, wenn es nicht auch die Chronik des Nachkriegslebens, der Kampf um die Freiheit und zugleich die Kontrolle in der restaurativen Adenauer-Zeit und in den mehr oder weniger swingenden 60ern und 70ern bis in die kühl hysterischen 80er wäre. Denn so psychologisch intensiv sein Leben war, so war doch auch vieles daran exemplarisch für eine entwurzelte Klasse des Kleinbürgertums, das um Leben und Würde kämpfte und dabei keinen wirklichen inneren Halt mehr fand.

In der deutschen Nachkriegskultur ist dieser manische, vaterlose, liebesbedürftige und boshafte, der zerstörerische und selbstzerstörerische, von Drogen und Schlaflosigkeit gequälte Mensch nur mit einem zu vergleichen: mit dem Filmemacher Rainer Werner Fassbinder, der ähnlich einen Zirkel um sich scharte, den er manipulierte, kränkte, gegeneinander ausspielte und doch brauchte. Selbst der Blick ist ähnlich, die Arbeitswut sowieso.

Müsste ich zugleich Krankheit und Kunst der Nachkriegszeit beschreiben, ich begänne mit Fassbinder und Janssen. Gegenstand der Zeichnungen von Horst Janssen, wie gesagt, ist nicht der Gegenstand, sondern das Zeichnen selbst. Und ganz ähnlich waren Fassbinders Filme nicht bloß Filme über etwas aus dem Leben, sondern das Leben selbst. Unvorstellbar diese Hitze im Film und in der Kunst unserer Gegenwart.

Ganz nebenbei ist auch etwas vom Wandel in der politischen Ökonomie in der Kunst in diesem Künstlerleben mitzubekommen. Janssen war wohl Zeit seines Lebens auch finanziell on the edge, es war seine Idee, seine Kunst erschwinglich und verbreitet zu machen, doch damit zwang er sich auch eine intensive Arbeitsweise ab, die dafür sorgte, dass auch weniger Gelungenes auf den Markt kam. Janssen ist zwar populär, aber nie „teuer“ geworden, und wie der Betrieb heute funktioniert, ist das schon fast ein Urteil zum Vergessenwerden. Wenn wir also den Mythos eines monstre sacré brauchen, um seine Kunst vor dem Vergessen zu bewahren – dann soll es so sein.

Info

Horst Janssen. Ein Leben Henning Albrecht Rowohlt 2016, 720 S., 29,95 €

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