Sein Gesicht enthält keine Antwort ...

Aufklärung. Tragödie. Kino Constantin Costa-Gavras versucht sich an einer Verfilmung von Rolf Hochhuths "Der Stellvertreter"

Constantin Costa-Gavras war in den siebziger Jahren ein Regisseur, der politische Filme machte, heftig und parteilich, auf der Seite der Guten jedenfalls. Dabei war er gleichsam der Antipode von Jean-Luc Godard; er machte Filme mit politischen Botschaften und den Mitteln des Genrekinos - wenn seine Filme im Dienste der Aufklärung standen, so hatten sie jedenfalls vergessen, auch das eigene Medium zum Gegenstand der Aufklärung zu machen.
Einerseits also drang da ein Regisseur so tief in den Mainstream vor, sogar bis nach Hollywood, wie es sonst kaum einem gelang, der gegen Terror und Korruption argumentierte. Er erreichte vielleicht Kinozuschauer, die mit einem Godard-Film nie etwas hätten anfangen können. Aber andrerseits schrieb er die Geschichte des Kinos, die Geschichte der Wahrnehmung nach rückwärts, melodramatisierte und kriminalisierte Geschichte. Costa-Gavras-Filme zeigten immer viel und ließen nichts sehen. Der "Fall" Costa-Gavras für die Diskussion von Film und Politik schien sich dann von selbst zu erledigen, als der Regisseur von Z und Missing ein paar cineastische Schlafmittel drehte, die auch des Streits nicht wert waren. Das Problem freilich hatte sich damit nicht erledigt: Wie zum Teufel kann politische Aufklärung im Kino aussehen?
Irgendwie musste es also so kommen: Costa-Gavras verfilmt Rolf Hochhuths Drama Der Stellvertreter. In einem zeitgenössischen Medium (dem europäischen Subventionskino) begegnen sich zwei Klassiker einer beinahe vergessenen Kultur der ästhetischen Moral. Und man fürchtet schon vorher zu wissen, was einen da erwartet: die popularisierte Darstellung eines historisch-moralischen Thesenstücks.
Bei der Erstaufführung von Der Stellvertreter im Jahr 1963 wurde diese Diskussion mit heute nur noch zum Teil nachvollziehbarer Heftigkeit geführt. Die Frage der Schuld an den Verbrechen des Nationalsozialismus erweiterte sich vielleicht zum ersten Mal von den Taten auf das Wissen, von einer sehr klaren und eingegrenzten Gruppe der Täter auf übergrenzende Verflechtungen. Nicht nur ein Schweigegebot wurde durchbrochen - die Mitschuld der Kirchen im allgemeinen, des Vatikans im besonderen und des Papstes im besondersten betreffend -, sondern das Schweigegebot als Strategie.
Weniger das Brechen eines Tabus als diese Ausweitung der Schuld-Frage scheint der Grund dafür, dass das eher sperrige Bühnenstück als allgemeine Störung des Friedens empfunden wurde. "Durfte der Papst schweigen?" - so lautete damals der Untertitel einer vielbeachteten Sammlung von Stellungnahmen zu dem Stück. Es ist dabei übersehen worden, um wie viel mehr es darin geht. Denn selbst die Weiterung der Frage, die von der Schuld des Papstes, der Schuld der katholischen Kirche in Rom schließlich auf die Frage danach kam, warum die Christenheit als ganzes den Holocaust nicht verhindern konnte (und in Teilen den deutschen Faschismus nicht einmal verhindern wollte), wird dem widersprüchlichen Reichtum des Stückes nicht gerecht.
Es ist ein "christliches Trauerspiel", und das ist vielleicht auch zu übersetzen als eine Tragödie der Kirche in der Welt. Zweifellos arbeitet Hochhuth gelegentlich mit den Mitteln der rhetorischen Überspitzung, das Stück ist ein moralisch-kritischer Angriff auf eine Person, auf eine Haltung, auf eine Institution. Die konkrete Anklage ins Allegorische verschwimmen zu lassen, wäre genauso fatal, wie das Stück darauf zu reduzieren. Je genauer man es liest, desto mehr offenbart es von der Tiefenstruktur der Konflikte, die es behandelt.
Schließlich enthält das Stück eine Geschichtstheorie, die dem Hauptstrom der "linken" Bearbeitung des Faschismus damals widersprach. Hochhuth erinnerte in einer Zeit, in der man vor allem an Systeme, Strukturen und (ökonomische) Interessen dachte, an die Verantwortung des einzelnen. Es ist eine komplexe Gleichung oder Ungleichung zwischen Biographie und Geschichte, die er aufmacht. Wir sind unterwegs von einem wirklichen Leben zu einem Mysterienspiel und umgekehrt, und dazwischen liegt auch die Geschichte der Ideen zur Menschen-Repräsentanz in einem ästhetischen Raum, dem der Bühne. Jede seiner Gestalten, selbst die Nebenfiguren, die uns bei den Aufführungen als bloße Stichwortgeber erscheinen müssen, zeigen zugleich historisch belegbare wie fundamentale Weisen, mit dem Bösen in der Geschichte zu leben (und zu sterben). Das Böse, das für Riccardo (den anderen "Stellvertreter") in der Gestalt des "Doktors" nichts anderes als der Teufel selbst und damit zum negativen Gottesbeweis geworden ist, muss ihm am Ende auch als Person gegenüberstehen. Bemerkenswerterweise geht Riccardo ins KZ nicht für die Opfer und nicht gegen seine Kirche, sondern als Opfer für seine Kirche: "Gott soll die Kirche nicht verderben/ nur weil ein Papst sich seinem Ruf entzieht". Wenn wir zwischendurch Der Stellvertreter mit Piscator auch als "episches Theater" verstehen können, spätestens im fünften Akt offenbart es sein Wesen als christliches Mysterienspiel. Sein Skandal liegt nicht darin, dass es ein anti-kirchliches Stück wäre, sondern darin, dass es ein christliches Stück ist. Aus der Position der radikalen Aufklärung kann Der Stellvertreter deshalb nicht nur als Versuch der Diagnose, sondern auch als Symptom erscheinen. Das Stück ist, wahlweise, an seinem christlichen Gegenstand erkrankt oder von ihm erleuchtet.
Der Plot, wenn man so will, ist denkbar einfach: Kurt Gerstein, der wegen seines christlichen Widerstands im KZ war, ist als Chemiker und dann als SS-Mann an der Herstellung des Giftgases für die Vernichtungslager beteiligt. Er versucht zum einen durch Sabotage- und Verzögerungsakte die Anwendung von Zyklon B zu verhindern, zum anderen will er mit Kontakten zur Nuntiatur erreichen, dass die Welt, vor allem schließlich der Vatikan, die Verbrechen des Völkermordes öffentlich benennt. Seinen Verbündeten findet er in dem Jesuitenpater Riccardo, der durch seinen Vater über Verbindungen im Vatikan verfügt. Unter Einsatz aller seiner Mittel versucht Riccardo, den Papst dazu zu bringen, sein Schweigen zu brechen. Als alle seine Bemühungen gescheitert sind, hegt er sogar den Plan, den Papst zu ermorden und die Schuld der SS zuzuschieben, um die Welt aufzurütteln. Und als dies nicht durchzuführen ist, heftet er sich den Judenstern an und geht mit den Deportierten ins Konzentrationslager, um dort zu sterben. Riccardo ist die erfundene Figur in diesem Spiel (auch wenn er in Pater Maximilian Kolbe und dem Dompropst Lichtenberg in Berlin seine historischen Vorbilder hat), das Zentrum der eigentlichen Tragödie.
Auch die politisch-moralische Aussage scheint auf den ersten Blick einfach: Papst Pius XII hat vor der Geschichte und womöglich vor dem Auftrag des Christentums versagt, weil er keinen ernsthaften Versuch unternommen hat, die Deportierung und Ermordung der Juden in Europa zu verhindern. Es sind nicht nur verschiedene Personen dieses Stückes, es ist das Stück selber, das Pius XII. zum Sprechen bringen will. Doch der Papst dieses Stücks hat nicht nur eine Idee seiner Kirche, sondern auch eine Idee seiner Welt, hinter der der Mensch beinahe vollständig verschwindet: "Gewiss, der Terror gegen Juden ist ekelhaft,/doch darf er Uns nicht so verbittern,/dass Wir vergessen, welche Pflichten/den Deutschen auch als Schirmherren Roms/in nächster Zukunft auferlegt sind." Um eine Balance der Nationen geht es, die das Böse nicht ausschließt. Die Einheit der Kirche ist verbunden mit der Spaltung der Welt. Und an diesem Punkt wissen wir: Dieser Papst drückt nicht nur die moralische Unfähigkeit einer Person aus, sondern auch die moralische Unfähigkeit einer Institution. Die ästhetische Reaktion auf diesen Tatbestand ist der Umschlag vom epischen Theater zur Tragödie.
Wenn man von der Anklage gegen den Papst absieht, stellt das Stück die Frage danach, wer "Recht" hat in dieser Auseinandersetzung um den Kampf gegen das Böse: Der pragmatische Humanist Gerstein? Der zynische Machtpolitiker, der die Bosheit der Menschen zu lenken vermeint, der Kardinal? Der Papst, der vor allem an die Einheit und die (durchaus auch: ökonomische) Macht der Kirche denkt? Oder Riccardo, der "Heilige", der an der Stelle des Stellvertreters das Martyrium auf sich nimmt? Hochhuth lässt wohl keinen Zweifel daran, wem seine Sympathien gelten, den verantwortlich handelnden Einzelnen, die in der Tat und im Wort gegen ihre Institutionen zeugen. Aber er gibt nicht vor, dass die Fragen damit beantwortet sind. Das Opfer Riccardos steht nur für sich, nicht mehr für einen Erfolg in der Geschichte. Und so viel belastendes Material der Autor auch gegen das Schweigen des Papstes anführt, er kann und will nicht beweisen, dass ein anderes Auftreten des Papstes wirklich Menschenleben gerettet hätte.
Überdies enthält Hochhuths Stück auch eine Theorie des Theaters, eine Theorie, mehr noch, zum Verhältnis von Kunst und Geschichte. Er wählte, wiederum sehr vereinfacht gesprochen, die Form des dramatischen gegen das epische Theater, es war ein Theater nach Brecht und in manchen Aspekten vielleicht sogar gegen Brecht, ganz zu schweigen davon, dass es gegen das "absurde Theater" gerichtet war (nur Samuel Beckett nahm Hochhuth von seiner gewiss nicht unberechtigten Kritik des "Reaktionären" in dieser Darstellungsform aus, ein Theater, das den Menschen in Ohnmacht und Willkür entlässt). Der Stellvertreter löst den Konflikt zwischen epischem Theater und klassischem Drama nicht, das Stück formuliert ihn, in der Charakterisierung der Personen (sein Gesicht "enthält keine Antwort" heißt es in der Beschreibung der Rolle des Nuntius), oder in der Öffnung der Regieanweisungen. Im zugleich problematischen und furiosen 5. Akt droht das Stück an diesem Widerspruch sogar regelrecht zu zerbrechen. Es sind nicht nur die Aussagen und die Formen in diesem Stück, die seinen Rang ausmachen, es sind die Spannungen, die darin ausgehalten sind.
Nun endlich wäre die Frage zu stellen, ob der Film von Costa-Gavras dem Stück von Hochhuth gerecht wird. Könnte er ihm etwas hinzufügen, es auf angemessene Weise popularisieren, in das andere Medium fortsetzen? Hochhuths Stück wird von einer Form des kontrollierten Zorns zusammengehalten. Costa-Gavras ist vor allem guten Willens; er möchte es uns nicht so schwer machen, das Wesentliche des Konflikts beibehalten, aber uns die letzten Konsequenzen nicht zumuten. Costa-Gavras´ Riccardo geht nicht so weit, den zu den Verbrechen schweigenden Stellvertreter Christi als "Verbrecher" zu bezeichnen, wie es Hochhuths Riccardo tut, und er nimmt auch die konsequenteste Idee des Widerstands, nämlich die Idee, den Papst zu ermorden und die Schuld dafür der SS anzulasten (eine Kette des Verbrechens, die vollends klare moralische Modelle zerstört) zurück.
Dramaturgisch gibt es eine Reihe von Vereinfachungen, die nicht alle glücklich sind. Überall dort, wo im Stück klar wird, dass ein moralisches Versagen dazu führt, dass auch auf der anderen Seite moralisches Handeln unmöglich wird, scheut Costa-Gavras zurück. Und immer wieder arbeitet der Regisseur, wie in seinen so kontrovers diskutierten Filmen der siebziger Jahre mit den Mitteln des Spannungskinos. Zu oft verwandelt er, was im Stück Entscheidungsketten sind, in einfach gestrickten cineastischen Suspense. Die Spannung bei Riccardos Geste, sich den Judenstern anzuheften, entsteht durch eine assoziative Verbindung mit einer unvermittelten spektakulären Szene einer öffentlichen Selbsttötung am Anfang und enthält dadurch nicht die Möglichkeit jenes konkreten und durchdachten Attentats, die im Stück erwogen wird. Bei der Unterredung Riccardos mit dem Kardinal und seiner Familie so angelegentlich auf das Langusten- und Erdbeeren-Essen der Würdenträger zu schneiden, während die Pläne der Vernichtungslager herumgereicht werden, ist eine indiskutable Form der Denunziation, die auch durch das Recht auf bildhafte Polemik nicht gedeckt ist. In Einstellungen wie dieser ahnen wir: Auch im Kino heiligt keineswegs der Zweck die Mittel, und Aufklärung ist auch hier ganz gewiss nicht mit anti-aufklärerischen Methoden zu erzielen.
Auf der andern Seite weiß der Regisseur sich durchaus mit Respekt dem Problem der Darstellbarkeit des Holocaust zu stellen. Er muss nicht die schnarrenden Nazi-Karikaturen bemühen, die wir im Kino so grauenhaft gewöhnt sind, er verzichtet, anders als Steven Spielberg, auf jedes Nachspielen des Grauens. Das erschrockene Zurückweichen Gersteins beim Blick auf die Vernichtung und das rhythmisch wiederholte Bild der Güterzüge, einmal mit geschlossenen, das andere Mal mit geöffneten Türen, gibt genügend Anschauung. Und wieder andrerseits versteht der Film nicht, wie wichtig es für Hochhuth ist, den Opfern Gesicht und Stimme zu geben; der Film hakt das am Ende als illustrative Episode ab.
Costa-Gavras verzichtet auf die möglichen Privatisierungen und Melodramatisierungen, der Film ist ganz frei von der furchtbaren Vilsmaierei des deutschen Kinos; dass der Regisseur die Tragödie nicht an das Melodram verraten hat, ist immerhin ein Verdienst. Er begegnet dem Stoff wie dem Stück mit Respekt. Und verliert dabei die Spannungen und den Zorn von Rolf Hochhuth.
Das alles ist auch eine Frage der Zeit. Der historische Diskurs befindet sich, in gleichsam abgekühlter Form, in Bearbeitung. Der ästhetische Diskurs ist weitgehend dispensiert, das Theater hat derzeit offensichtlich andere Sorgen, das Kino mag nicht über sich selbst nachdenken. Den historisch-moralischen Diskurs will sich die neoliberale Gesellschaft nicht zumuten. Der ästhetisch-moralische Diskurs ist weitgehend auf die Frage nach der Darstellbarkeit des Holocaust reduziert.
Und der Diskurs von Kirche und Religion? Die Macht des Vatikan mag erhalten geblieben sein, seine Autorität ist es nicht. Die Institutionen "Kirche" sind selber in der Krise; ihre neuerlichen Anpassungen an den Neoliberalismus drohen wieder einmal zum Projekt der Selbstaufhebung zu geraten.
Man hat nicht ganz zu Unrecht darauf hingewiesen, dass Riccardo eigentlich eine sehr "protestantische" Figur ist (gestaltet von einem sehr protestantischen Autor, nebenbei). Tatsächlich scheint er dem Wesen "seiner" Kirche fast fremd zu sein. Aber auch dieses einfache Modell löst sich im fünften Akt vollkommen auf. Auch Riccardo fühlt sich als "Stellvertreter"; die "protestantische" Unmittelbarkeit seines Opfers steht ihm nicht zur Verfügung. Der Kampf um den Menschen ist ein Kampf um die Kirche, der von innen eine Tragödie ist, von außen aber auch eine blutige, narzisstische Farce.
Der Eine will die Kirche retten, der Andere will den Glauben retten. Was die beiden dafür opfern, ist furchtbar genug. Aber dieses doppelte Wesen der Religion, nämlich zugleich weltliche Macht und transzendentale Kraft zu sein, macht sie nicht nur zu einer Institution, in der sich immer wieder die Führung korrumpieren lässt, sie ist Medium der Korruption durch die Macht. Der Film leistet sich eine Schlusspointe, die es so im Stück nicht gibt, nämlich dass sich der Doktor wieder durch eben jene Institution retten lässt, deren Widersacher er war. Hochhuths Stück - und in der abgemilderten Form schließlich auch der Film - machen vielleicht etwas schlimmeres als nur eine Kritik der Kirche in der Geschichte, sie weisen auf das Fortwirken dieses Konflikts hin. Sie setzten auch die Heiligenlegende, das Mysterienspiel fort. Die Kirche selbst rettet den Teufel, auf dass er in der Welt bleibe und die Frage immer wieder aufs neue stelle. In dieser paradoxen Inversion treffen sich dann doch wieder das christliche, das epische und das absurde Welttheater.
Es gibt zwei Komplexe des "Was wäre wenn" in diesem Fall. Was wäre, wenn der Papst nicht geschwiegen hätte? Hätten die Verfolgten gerettet, oder wäre umgekehrt, wie manche annahmen, der Todesgenuss der faschistischen Massenmörder nur angestachelt worden? Wie Hochhuth die Faschisten seines Stückes zeigt, ist das keineswegs eine Antwort auf diese Frage, auch wenn sie den "Freibrief" des Vatikans für ihre Untaten durchaus goutieren. Und was hätte es für die Konstruktion des Vatikans - eine durchaus besondere Form der "Kirche in der Welt" - für Folgen gehabt, den weltlichen Teil ihres Wesens durch eine solche Geste aufs Spiel zu setzen? Auch darauf gibt es keine Antwort. Aber die Fragen selbst machen das unglückliche Bewusstsein der Kirche deutlich: Die weltliche Seite der Kirche ist nicht nur Medium ihres transzendentalen Inhalts, sie ist auch sein Widersacher, eine eingeschriebene Form der Negation, eine Institution, die nicht einmal, sondern unentwegt historische Schuld produziert. Weil und insofern sie Macht ausübt und erhalten will, ist jede Kirche auch ein Ort der Verdammnis. Nur Heilige können sie retten, die ihren eigenen Teil der Verdammnis auf sich nehmen. Die Daseinsberechtigung der Kirche also wird nur durch die Produktion von "Heiligen" gerettet, die sie im Zweifelsfall noch selbst auf den Scheiterhaufen bringt, vor denen sie jedenfalls zurückschrecken muss wie Dostojewskijs Großinquisitor vor dem schweigenden Heiland. Nicht nur in einer Hölle wie Auschwitz nehmen sie die Verdammnis auf sich, sondern auch in sich selbst. Denn es sind nicht die Menschen, es ist die Kirche, die ihr Opfer annimmt. Am Ende wäre Der Stellvertreter dann doch wieder als absurdes Theaterstück zu schreiben gewesen. Aber was immer man gegen Hochhuth einzuwenden haben mag: Er ist einer der tapfersten Autoren, die wir haben. Und er hätte einen wenigstens mutigeren Film verdient.
Costa-Gavras´ Film, das ist nach ein paar Minuten Filmzeit klar, lässt sich auf keines der unlösbaren Probleme des Stücks ein, einigen von ihnen versucht er mehr oder weniger redlich aus dem Weg zu gehen, andere, wie den Widerspruch zwischen der offenen und der geschlossenen Form des Dramas, scheinen Drehbuch und Regie gar nicht erst zu verstehen. Eine "Filmkritik" zu Costa-Gavras´ Hochhuth-Versuch also würde wohl, wenn nicht "vernichtend" so doch eher negativ ausfallen müssen. Und ich bezweifle, ob es ein Filmemacher als großes Kompliment ansieht, wenn man ihm bescheinigt, er habe sich im Großen und Ganzen mit Anstand aus der Affäre gezogen. Einen der schönsten Sätze zum Stellvertreter hat wohl Karl Jaspers gesagt: "Hochhuth verlangt von uns: offen sein, Fragen ganz ernst nehmen, und zwar angesichts Gottes, der Transzendenz". Mein Gott, was hätte das für ein Film werden können! Aber das ist schon wieder eine andere Frage: Warum er nicht zustande kommen kann, in unserer Filmkultur, in unserem Verständnis von Geschichte und Aufklärung.

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