Von einem "deutschen Kino" zu reden, ist nicht der Mühe wert. Nicht etwa, weil es sich nicht lohnen würde, über Filme aus Deutschland zu sprechen. Sondern weil das, was die Filme ökonomisch, kulturell und ästhetisch miteinander verbindet, zu komplex und, sagen wir es ehrlich: zu verfilzt ist, um so etwas wie eine konsistente "Filmkultur" zu bilden. Auch der Versuch, ein Bild dieses Landes aus seinen Kinofilmen zu gewinnen, ist nicht so aussichtsreich, wie es das Medium nahe legt. Am meisten ist über ein Land sowieso von Künstlern zu erfahren, die Elemente von Fremdheit und Distanz mit einer vitalen Bindung verknüpfen können.
Fremdheit war das Material des deutschen Autorenfilms, eine vertraute Fremde, wie zum Beispiel das Deutschland, das in den Filmen von Rainer Werner Fassbinder zu sehen war. Die Nachfolger des deutschen Autorenfilms haben vielleicht an Professionalität, vielleicht auch an Selbstbeschränkung gewonnen, es ist diese Begabung zur Fremdheit, die den meisten von ihnen fehlt. Viele von ihnen scheinen schon mit irgendetwas in diesem Land einverstanden zu sein, bevor sie überhaupt begriffen haben, worauf dieses Einverständnis eigentlich beruht.
Wenn es in Deutschland einen Kino-Impuls gibt, der mit jener fremden Vertrautheit auf das Land sieht, mit der einigermaßen Genauigkeit erzielt werden kann, dann ist es ein "Kino der Métissage", ein Kino zwischen den Kulturen, das Kino, das die dritte Generation der Migranten in Angriff genommen hat, in Frankreich, England und schließlich auch in Deutschland.
Die Migrationsbewegung in Europa hat ein Modell von kollektiver und individueller Biografie geschaffen, das lange ohne Ausdruck in den medialen Hauptströmen blieb: Jemand kommt in eine andere Kultur, um in ihr, so oder so, zu überleben. In der Regel tut er oder sie das nicht freiwillig; in der eigenen Heimat kann man sich und seine Familie nicht mehr ernähren, politischer Druck zerstört die Zukunftsaussichten. In der fremden Kultur arbeitet und lebt der Migrant oft unter Umständen, die noch dem geringsten der Angehörigen seiner "Gastgeber" niemals zuzumuten wären, er trifft auf neue Ausbeutung und Gewalt, ist ein befristeter "Arbeitssklave", der nur einen Weg suchen kann zwischen der Bewahrung der eigenen Kultur und einer partiellen Anpassung: das Auslöschen der Biographie oder eine Praxis der Schizophrenie. Das "Leben in zwei Kulturen", für das die französische Sprache das Wort "métissage" geprägt hat, stellt die Person so sehr in Frage, wie dann die Familie, die in der zweiten Generation das Leben neu strukturierte, als sich die Politik der Gesellschaften der "Arbeitgeber" änderte und ein begrenzter Nachzug der Familien der Migranten gefördert wurde.
Das kleine Glück der Geborgenheit in der Familie wird teuer erkauft, denn nun muss gerade dieser Ort der "Heilung" zum Schau- und Kampfplatz zwischen den beiden Impulsen, Beharrung und Öffnung, werden. Die Jungen können nicht wollen, was die Alten wollen, die Frauen können nicht wollen, was die Männer wollen. Hatte man am Beginn in der Lager-Situation wenigstens noch Hoffnungen auf das Ende solchen Elends, so gelangt man in der zweiten Generation, in eine neuerliche, mehr und mehr "endgültige" Ghetto-Situation: die kulturelle vermischt sich mit einer sozialen Marginalisierung, und umgekehrt ist noch der bescheidenste Aufstieg nicht ohne Entfremdung zu haben.
Die dritte Generation, die sich weder in der Illusion der Rückkehr noch in der Enklave von Familie und Nachbarschaft ganz zurückziehen kann, erlebt diesen Widerspruch zwischen Identität und Anpassung besonders heftig. Aber sie hat einen entscheidenden Vorteil: Sie ist nicht mehr sprachlos. Sie benutzt die Kunst und die Formen der populären Kultur um das Leben in zwei Kulturen auszudrücken. Das Leiden, das sich daraus ergibt, aber auch die Möglichkeiten und Hoffnungen. Métissage - das heißt: Unterwegs sein, von der alten zur neuen Kultur, aber auch wieder zurück, heißt zugleich Nebeneinander und Ineinander, heißt zugleich Verstellung und Kenntnis. Was ist es, was da entstehen wird - Schmelztiegel oder Schlachtfeld?
Die Kultur der Métissage setzt sich aus unzähligen Geschichten und Bildern zusammen, und auch in ihr wird neue Abgrenzung und neue Unterdrückung produziert. Und davon handeln, zum Beispiel, die Filme der türkisch-deutschen Regisseurinnen und Regisseure: Von der Geschichte der Entfremdung, von der Sehnsucht nach Freiheit und nach Heimat, aber auch davon, dass auch in der Kultur der Unterdrückten Unterdrückung entsteht.
In den siebziger Jahren begann sich das neue deutsche Kino um die "Gastarbeiter" und ihr Schicksal zu kümmern, in einer Mischung aus Solidarität, Neugier und einer Prise fürsorglicher Ignoranz. Nur wenige Filme versuchten damals schon, die Spaltung in der Selbstidentifikation nachzuvollziehen. Helma Sanders zum Beispiel erzählt in Shirins Hochzeit (1975) von einem Dorf in Anatolien, wo die junge Shirin mit dem Gutsbesitzer verheiratet werden soll. Shirin flieht nach Deutschland zu Mahmud, der hier als Gastarbeiter lebt. Sie gerät in die klassische Falle: ohne Arbeit keine Aufenthaltserlaubnis und ohne Aufenthaltserlaubnis keine Arbeit. Schließlich trifft sie in Köln auf den Zuhälter Aida, und willigt ein, für ihn zu arbeiten. Eine persönliche Leidensgeschichte als Modell, gewiss. Noch kann sich der Film nicht völlig frei machen von den Kopftuch-Klischees, und am Ende ist er vor allem eine Geste gegen männliche Gewalt.
In Sohrab Shahid Saless´ In der Fremde (1974) scheint der Vorgang umgekehrt: die Geschichte des türkischen Gastarbeiters Husseyin, der in einer heruntergekommenen Gemeinschaftswohnung in Kreuzberg lebt und mit der deutschen Kultur zwar in Kontakt, aber zu keiner Verständigung kommt, ist Bild einer radikalen Entfremdung, die eigentlich nur das Verlöschen übrig lässt, das Verschwinden des Traums von der Rückkehr. Es ist, wie der Regisseur sagt, ein Film "über das Wort Elend, das ursprünglich einfach im anderen Land leben bedeutete, dann in der Fremde hieß und einen immer schlechteren Klang bekam".
Gegen das Elend protestieren: dies war der Impuls einer Reihe von deutschen Filmen zu dieser Zeit, wie in Die Kümmeltürkin geht (1985, Jeanine Meerapfel): Melek Tez hat 14 Jahre in Berlin verbracht und passt kein bisschen ins "Gastarbeiter"-Klischee, leidet aber trotzdem unter den Abgrenzungen ihrer Umgebung. Nun beschließt sie, in die "Heimat" zurückzukehren, obwohl sie auch dort eine Atmosphäre der Fremdheit erwarten muss. So wenig die Utopie der "Integration" zu verwirklichen ist, so wenig lässt sich der Traum von einer Heimkehr erfüllen. Die einzige Chance ist es tatsächlich, Teil einer "Kultur der Métissage" zu werden. Das reicht bis hin zur Romeo und Julia-Paraphrase in Jugendfilmen à la Hark Bohms Yasemin (1988): die eindringlichste Figur hinter dem türkisch-deutschen Liebespaar ist hier der Vater. Er, der so gern liberal und fortschrittlich gewesen wäre, der seiner Tochter Aufstieg und Emanzipation in der neuen Kultur ermöglichen wollte, muss sich, als er sich enttäuscht fühlt, als besonders tyrannisch und gewalttätig zeigen.
Gegen die Widersprüche zwischen den Kulturen wurde im Namen einer zugleich individuellen und abstrakten Menschlichkeit protestiert. Dabei mussten freilich beide Kulturen mehr oder weniger unsichtbar bleiben. Das deutsche Kino-Publikum konnte eine Reise in ein anatolisches Dorf unternehmen, wie in Gülibik (1983) von Jürgen Haase, es konnte in der Dokumentation über Günter Wallraffs Camouflage als türkischer Gastarbeiter die Menschenverachtung sehen, die sich als "Arbeitsplatz" verkleidete, aber das Ghetto, die Familie blieben weitgehend verborgen. Ein Dokumentarfilm wie Verländert (1983 - Regie: Michael Lentz) zeigt, wie dies eine Frage des Überlebens wird: Das junge türkische Mädchen Tina integriert sich in der Schule und Nachbarschaft und macht ihren Abschluss an der höheren Handelsschule, als ihre Eltern beschließen, zurückzukehren und ihr in der Türkei einen Mann zu suchen. Sie verweigert sich diesem Zwang und entflieht ihrem Elternhaus, verfolgt vom Vater und von den Brüdern. Der Bruch kann nur so radikal sein, wie er auch unter anderen Vorzeichen für die Helden von Spielfilmen aus dem nächsten Jahrzehnt wie Kutlug Atamans Lola und Bilidikid (1998) sein muss, die ein vollkommen anderes Lebensdesign entwickeln und den Bruch mit ihren Eltern (und weniger mit ihrer Kultur) als Narbe zurückbehalten.
Leichter als Luft (1984, Hans-Henning Borgelt, Lienhard Wawrzyn) erzählt davon, wie eine Familie nach Kurdistan zurückkehren will, nachdem der Vater seine Arbeit verloren hat. "Deutschland macht uns nicht reich, es macht uns krank", erkennt man. Aber für die neunjährige Aysel sieht das ganz anders aus, sie wird fremder noch in der Heimat, ihr bleibt nur das Träumen. Auch die Jungs haben, gelegentlich inflationär, ihre Gangster-Träume im Ghetto der Métissage, wo die Droge, die Waffe, die Non-Mainstream-Sprache und das Gang-Outfit sich zugleich "authentisch" bilden und künstliche Identität aus der popular culture sind. Spürbar lässt der Druck in den neunziger Jahren nach. Nicht, dass es den Konflikt zwischen der alten und der neuen Kultur nicht mehr geben würde; aber die Macht der Eltern lässt nach; insbesondere der Vater der Métissage-Familie tritt in den Filmen in den Hintergrund, Kompromisse werden möglich.
Zwischen den Kulturen werden Menschen auch zerrieben, und am härtesten trifft dieses Schicksal die Frauen. 40 m2 Deutschland, Tevfik Basers erster Spielfilm, wurde weit über die Grenzen Deutschlands bekannt. Er erzählt von der jungen Turna, die von Dursan nach Deutschland als Frau geholt wird, der hier als Gastarbeiter lebt und der deutschen Gesellschaft zutiefst fremd gegenübersteht. Deshalb sperrt er seine Frau ein und unterbindet jeden Kontakt mit der Außenwelt. Sie sieht nur einen schäbigen Hinterhof durch ihr kleines Fenster; nur mit einem gelähmten Mädchen gegenüber gibt es eine stumme Kommunikation. Die Hauptdarstellerin Özay Fecht meint: "Für mich ist die Problematik nicht spezifisch türkisch. Unterdrückung von Frauen gibt es überall". In der Tat scheinen die ersten türkisch-deutschen Filme eher Gleichnisse als Beobachtungen. In Abschied vom falschen Paradies setzt Baser dieses Motiv fort in der Geschichte einer türkischen Frau, die ihren tyrannischen Ehemann umgebracht hat und in einem deutschen Gefängnis auf Abschiebung in die Türkei wartet. Alle diese Filme sprechen von der Erfahrung von Enge, und ihre einzigen Hoffnungsbilder sind, wie in 40 m2 Deutschland, solche, die ein Aufgehen der Türen zeigen.
Die dritte Generation hat sich dagegen mehr Bewegungsfreiheit erkämpft; ihr Problem ist im Gegenteil eine wenig versprechende Weite, ein Niemandsland zwischen den Kulturen. Die Menschen der dritten Generation leben in einem doppelten Zwiespalt: nicht nur in zwei Kulturen, der einen, die "zu Hause" bewahrt wird und der anderen auf der Straße und bei der Arbeit, sie leben auch zwischen den Traditionen der jeweiligen Kulturen. So erzählen die neueren Filme nicht nur davon, was es heißt, als Außenseiter behandelt zu werden, sondern auch davon, wie notwendig zur Selbstbehauptung es sein kann, mit den Vorstellungen der Elterngeneration zu brechen. Für viele Helden der türkisch-deutschen Filme ist das zugleich Tragödie und Chance. Es sind Rebellen in eigener Sache; sie müssen nicht nur die Macht der Familie durchbrechen, sondern zugleich auch verhindern, ihr Leben dabei unter das Zeichen des Verrats zu stellen.
Ein Kino der Métissage wie das türkisch-deutsche steht immer in Gefahr, hinter der Absicht die Kunst zu verlieren. Das allzu Gutgemeinte in Emanzipationsfilmen wie Anam (2001) von Buket Alakus führt schnell wieder zu neuen Klischees: die türkische Putzfrau, die, während sie sich mit anderen Frauen zusammentut, um ihren Sohn aus dem Drogensumpf der Métissage zu holen, ihre eigene Freiheit entdeckt, ist eine Kino-Figur, die in ihrer Mutmacher-Funktion ein entscheidendes bisschen zu weit von der Wirklichkeit entfernt angesiedelt ist. Fatih Akin zum Beispiel hat dagegen eine unnachahmliche Leichtigkeit und Stilsicherheit entwickelt, die seinen Gangsterfilm Kurz und schmerzlos ebenso trägt wie den Kurzfilm Getürkt oder die an Martin Scorseses Italianamrerican erinnernde Dokumentarstudie über die eigene Familie Wir haben vergessen zurückzukehren.
Thomas Arslans Dealer, Mittelteil einer Trilogie, ist mehr als ein Bild vom Leben zwischen den Kulturen, sondern der Schlüssel einer umfassenderen Fremdheit, die Berührung von trancendental style und Métissage-Kino: Can ist ein kleiner Dealer auf den Straßen von Berlin-Schöneberg. Er leidet an seinem schäbigen Alltag ebenso wie an den Vorhaltungen von Yale, der Mutter seiner dreijährigen Tochter. Hakan, der kleine Boss des Reviers, stellt ihm in Aussicht, die Führung einer Bar zu übernehmen. Aber Yale verlässt ihn, und Hakan wird vor seinen Augen erschossen. Can muss seine Hoffnungen begraben und versucht es mit legaler Arbeit. Doch die Tätigkeit als Küchenhilfe erscheint ihm so entwürdigend, dass er sehr schnell wieder da ist, wo er nicht mehr hinwollte: auf der Straße. Dann gerät Can in eine Polizeirazzia, wird verhaftet, verurteilt und soll nach vier Jahren Haft in die Türkei abgeschoben werden.
Niemand ist nur Täter, niemand nur Opfer, aber alle Menschen sind hier Teil eines Systems der Abhängigkeiten und des Misstrauens. Nicht so sehr das soziale Milieu ist es, was den Regisseur interessiert, sondern "die Beschreibung eines mentalen Zustandes, den es produziert". So werden Arslans Filme im allgemeinen, Dealer aber ganz besonders, zu philosophischen Reflexionen eines fatalen Zustandes zwischen Fremdheit und Eingepasstsein.
Dealer ist zwar keine direkte Fortsetzung von Arslans Film Geschwister, aber doch, wie der Regisseur sagt, "ein Weiterarbeiten an einem verwandten thematischen Feld". Während Geschwister zwei Möglichkeiten einer türkisch-deutschen Biographie eröffnet, bürgerliche Anpassung oder soziale Dissidenz, verfolgt Dealer die letzte Möglichkeit bis zum Ende. Er beschreibt das kleinkriminelle Milieu als eine "Mischung aus Vitalität und Fatalismus, eine ganz eigentümliche Konfusion". Die Einflüsse von Robert Bresson und Martin Scorsese sind gewiss nicht zu übersehen, aber aus deren Vorbild hat Arslan einen ganz eigenen, strengen Stil entwickelt. Weder gibt es die folkloristische Zeichnung des türkischen Hintergrunds, noch das tough guy-Bild des Métissage-Krimis. Und schließlich wird auch keine Mythologie des sozialen Opfers entworfen. Wir erkennen eine "Krankheit" der Welt, in der Can und Menschen wie er leben. Sie gibt dem Menschen zwar keinen Halt und keine Heimat, sie engt aber trotzdem seinen Handlungsspielraum radikal ein.
Die Tragödie der schweren Ankunft führt gelegentlich zu einem Versuch der Rückkehr, die nicht schon deswegen weniger grausam für die Betroffenen ist, weil sie manchmal die Form einer Groteske annimmt. Auf eine eher milde Weise beschäftigt sich Vatanyolu - Die Heimreise (1988) von Enis Günay und Rasim Konyar mit diesem Motiv: Der Familienvater Yusuf Koc packt seine Familie, obwohl zumindest die Kinder viel lieber in Deutschland blieben, um in die Türkei zurückzukehren. Aber unterwegs zwingt ein Achsenbruch sie zu campieren; buchstäblich zwischen den Zuständen Dableiben und Fortgehen gefangen, ist diese Métissage-Familie gezwungen, sich vor allem einmal mit sich selbst zu beschäftigen. "Ich wollte euch wie Weinblätter in der Dose konservieren" muss der Vater schließlich einräumen und akzeptieren, dass seine Kinder ihren eigenen Weg zwischen den Kulturen zu suchen haben.
Die Hoffnung in der Kultur der Métissage ist so einfach wie radikal: Was zählt, ist der einzelne Mensch. In den neunziger Jahren gab es so etwas wie eine "Neue Welle" unter den türkisch-deutschen Filmemachern, die sich nicht nur durch ein neues Selbstbewusstsein und eine stärkere Vernetzung der Arbeiten untereinander auszeichneten, sondern auch durch einen stilistischen und thematischen Wandel. Um es mit den Worten von Thomas Arslan zu sagen: Statt das Klischee entweder in guter Absicht zu erfüllen oder es unter allen Umständen zu vermeiden, versuchte man "durch das Klischee hindurch und auf tiefere Schichten der türkisch-deutschen Identität" zu gelangen. Kurz und schmerzlos von Fatih Akin, Dealer von Thomas Arslan, Aprilkinder von Yueksel Yavuz oder Lola und Bilidikid von Kutlug Ataman, so unterschiedlich sie ansonsten auch sein mögen, verbindet eine Ästhetik der Furchtlosigkeit im Umgang mit Bildern und Selbstbildern.
Dabei treffen politische auf künstlerische Problemstellungen. Die Frage ist scheinbar einfach: Wie konstruiere ich ein filmisches Subjekt, das in der Art seiner Darstellung die gleichzeitige Perspektive verschiedener Kulturen (und damit verschiedener Traditionen von Bild und Blick) wiedergibt. Dieses Problem beginnt mit dem Stereotyp, das man weder einfach nur "vermeiden" kann (denn es ist Teil der Wirklichkeit), noch ebenso einfach "bedienen", wie es die Hersteller von mehr oder minder wohlmeinenden Fernsehserien tun (in denen, zum Beispiel, türkische Väter immer Gemüsehändler und türkische Gymnasiastinnen immer Einser-Schülerinnen sind). Auch wenn er es geradezu panisch vermeiden will, entwickelt der Film seine Bilder (gerade aus dieser Grammatik heraus) zum Klischee. In den Métissage-Filmen stehen keineswegs nur die Einwanderer der verschiedenen Generationen in der Gefahr, zum Klischee zu erstarren, sondern umgekehrt auch die "Ureinwohner": der "hässliche Deutsche", der "gute Deutsche", der "komische Deutsche", etc. Die große Chance des Métissage-Films besteht in einer Art der cineastischen Selbstbefragung - vielleicht einer der Gründe dafür, dass türkisch-deutsche Filme nicht nur die manchmal zärtlichsten deutschen "Heimatfilme" sind, sondern auch Filme von höchst entwickelter Selbstreflexion. Sie können nahe an ihrer Realität sein, und zugleich setzen sie ihr Potential an "Fremdheit" in einer Ästhetik der Distanz, der Ambivalenz um.
Das türkisch-deutsche Kino erlaubt in seiner Mischung aus Vertrautheit und Fremdheit, aus Verständnis und Eigensinn, jenen genauen Blick auf die soziale Realität des Landes, den das deutsche Kino in seiner Mitte zu verlieren droht. Falsch ist es, darin nur die Teile des Problems zu sehen; die Kultur der Métissage ist vor allem ein Teil der Lösung. Jedenfalls, wenn man in der Lage ist, das zu sehen. Und das Kino ist eine der besten Arten, das Hinsehen zu lernen.
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