Wir werden wahrlich noch zu tun haben mit diesem neuen Rassismus, der zugleich der alte und doch ein in Nuancen veränderter ist. Zur notwendigen Arbeit dabei gehört auch der Umgang mit dem kulturellen und popkulturellen Erbe. Leicht ist das nicht immer. Als ich dieser Tage den Lebensbericht von Klaus Mann wieder las, stolperte ich über das N-Wort. Dabei ist es bei Klaus Mann doch nie anders als im Kontext von Bewunderung zu finden; er nahm ausdrücklich die „people of color“ von den Vorwürfen der Bigotterie und Oberflächlichkeit aus, die er der Gesellschaft seines amerikanischen Exils nicht ersparte. Ich aber denke bei dem Wort nicht an Kunst, wie es im Buche steht, sondern an Hass, Gewalt und Erstickung. Muss also das N-Wort auch aus dem Klaus-Mann-Text getilgt werden? Ich weiß es nicht. Niemand sagt, dass der Umgang mit Rassismus so einfach wie Erbsenzählen ist. Aber zu einer Kultur der Mitmenschlichkeit gehört es, sich kritische Gedanken über kulturelle und mediale Erbschaften zu machen. Auch, zum Beispiel, über Filme.
Gone with the Wind ist das perfekte Beispiel für strukturellen und verdeckten Rassismus, ein Lehrbeispiel, wenn man so will. Eine „kommentierte“ Ausgabe scheint daher durchaus sinnvoll, nicht so sehr, weil man auf diese Weise Menschen von rassistischen Empfindungen abhalten könnte, sondern vor allem, weil es verdeutlichen kann, wie Rassismus in die Tiefenstruktur von Erzählungen und Bildern eindringt.
In alten Tom-&-Jerry-Cartoons wird, wenn sie neu ausgestrahlt werden, durchaus zu Recht auf die rassistische Konnotation hingewiesen, wenn wieder einmal als Hausdienerin die (dicken) Beine einer Schwarzen gezeigt werden, die sich über den Kater im singenden Tonfall beschwert, den man Afroamerikanern vor allem aus dem Süden zuschreibt. Es wird aber nicht gesagt, worin die Diskriminierung liegt. So bleibt die Rassismus-Kritik in einem abstrakten Rahmen und bewirkt möglicherweise genau das Gegenteil von dem, was man erreichen wollte, nämlich eine Sensibilisierung gegenüber den rassistischen Strukturen, die in der Sprache und der Ikonografie tief verankert sind.
Schöne Ordnung
Die Tom-&-Jerry-Episode mit der ewig das Haus fegenden und dabei ewig lamentierenden schwarzen Hausdienerin zeigt, dass es einmal „normal“ war, ein solches Klischee zu gebrauchen, und diese Normalität des Rassismus lässt sich nicht aus der Welt schaffen, indem man Worte oder Bilder zensiert oder „historisiert“. Ein solcher Kommentar zu dem Mega-Film Vom Winde verweht wäre eher Alibi als Aufklärung.
Steckt der Rassismus des Films wirklich nur in einer Verharmlosung der Sklaverei, wie es nun heißt? Zunächst ist das Melodrama nicht zu denken, ohne es als Pre-Text einer Darstellung vom Untergang einer feudalen, sklavenhalterischen Gesellschaft zu sehen. Eine „schöne“ Ordnung wird am Anfang gezeigt, in der auch das schwarze Hauspersonal zur Stabilität beiträgt. Es wird auf diese Weise indirekt der zum Teil auch bewusst organisierte Widerspruch zwischen den Haussklaven (die sich mit den Interessen der Herrschaft identifizieren und zu Hütern der alten Ordnung werden) und den Feldsklaven inszeniert. Die Paradoxie der Rolle der schwarzen Mama in Gone with the Wind ist exemplarisch; sie setzt das Gezeigte gewissermaßen in die Produktionsgegenwart des Films fort: Hattie McDaniels, die perfekt die Rolle dieser weichherzigen, kümmernden und zuweilen resoluten schwarzen Mama spielt, war die erste „farbige“ Darstellerin, die einen Oscar erhielt. Subjektive Emanzipation durch Bestätigung des Systems blieb ein verheerendes Merkmal in den Karrieren schwarzer Künstler, und es bedurfte immer wieder der Rebellion gegen diese Zwickmühle, von Miles Davis über Muhammad Ali bis Spike Lee.
Nach dem Sieg der Union verfällt das Land in Chaos. Hier gibt es ein bösartig rassistisches Bild in der Einstellung auf ein paar Schwarze, die sich geckenhaft als neue Herren aufspielen. Aber selbst wenn man diese denunziative Szene herausschneiden würde, bleibt auf der Ebene der ikonischen Strukturen die Aussage unmissverständlich: Die Befreiung der schwarzen Sklaven war ein großer Fehler, sie hat eine Kultur vernichtet und Unordnung gebracht.
Verstärkt wird dies durch die Figur eines weißen Helden, der sich mit diesem Zusammenbruch seiner Welt nicht abfinden mag. Er verschwindet nur gelegentlich aus dem Gesichtsfeld der Kamera, und wie die Protagonisten so macht auch der Film aus seiner Aktivität ein offenes Geheimnis: Er ist offensichtlich an einem Akt der „Rache“ und an einer Blaupause für den Ku-Klux-Klan beteiligt. Ein rassistischer Gewalttäter, der im Film als tragischer Held erscheint, dargestellt vom auf solche Rollen spezialisierten Leslie Howard (der einst als „Scarlet Pimpernel“ die Sache des Adels in der Französischen Revolution vertrat).
Nicht nur die Haus-, sondern auch die Feldsklaverei wird in Gone with the Wind als ebenso glücklicher wie notwendiger Zustand beschrieben. Es ist ein Meisterwerk des strukturierten Wegschauens; eine Schule des weißen Sehens, in der man lernt, die Welt so zu sehen, dass der Rassismus unsichtbar und zugleich präsent bleibt. Während die Feldsklaven sich in eine brutale Horde verwandeln, die mit der neuen Freiheit nichts Gescheites anfangen kann (das zukünftige schwarze Proletariat, das man schon hier zu verachten lernt), bleiben die Haussklaven loyal zu ihren Herren auch im Untergang und in der Gefahr. Darin steckt sozusagen ein „Angebot“ und eine Forderung: Gone with the Wind ist ein Modell für die Modernisierung und die Kontinuität des Rassismus. Nach der Ankündigung von HBO schnellten die DVD-Verkaufszahlen des Films rasant in die Höhe.
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