Weltfrauenkörper

Image Die US-Schauspielerin Angelina Jolie zieht als „Maleficent“ die Massen ins Kino, macht Politik und wird von der Queen geadelt. Die Geschichte einer Befreiung
Ausgabe 26/2014

Ernst Kantorowicz hat einst das Modell vom doppelten Körper des Königs aufgestellt, von einem natürlichen und einem politischen Körper. 2009 hat Kristin Marek dieses Modell erweitert: Man müsse von einem dreifachen Körper sprechen, vom natürlichen, vom politischen und vom heiligen Körper.

Angelina Jolie gehört nicht nur zu den bestbezahlten US-amerikanischen Schauspielern, sie ist auch die am meisten auf Zeitschriftentiteln abgebildete Frau der Welt. Zusammen mit ihrem Mann Brad Pitt und ihren sechs Kindern (drei eigene, drei adoptierte) bildet sie eine reale, politische und heilige Familie. Wenn jeder Mythos aus Widersprüchen zusammengesetzt ist, dann ist Angelina Jolie, weiß der Himmel, ein Mythos: einerseits die Tochter des Schauspielers Jon Voight und daher schon früh über rote Teppiche gelaufen; andererseits als Scheidungskind lange ein leidendes Mädchen, das mit Trotz und Selbstverletzung auf eine bösartige Umwelt reagierte. Drogen und Depressionen begleiten sie bis in die ersten Jahre des Erfolgs.

Zu Beginn der neunziger Jahre begann die Karriere bescheiden mit Auftritten in Musikclips und Studentenfilmen; der erste richtige Film war Cyborg 2 (1993), ein B-Movie, vom Trashgenius allenfalls gestreift; vielleicht aber auch einer der besten Angelina-Jolie-Filme, die je gedreht wurden: als Essay über einen weiblichen Körper, der nur zum Teil real ist.

Am Rand des Bilds

Dieser Körper ist mehr als ein Männertraum, eher eine Frage als eine Antwort. Jolies Sexiness ist immer reine Oberfläche, ein Abbild, das dabei ist, das Original zu vergessen. Als Cyborg eben oder als eine junge Frau, die ihre Sexiness taktisch einsetzt (und die nicht zufällig Eleanor Rigby heißt, von der die Beatles sangen, dass sie in einem Traum lebe), in Desert Affairs (1996), einer sonderbar-irrealen Reise in den white trash der amerikanischen Wüsten. In Hackers (1995) ist Angelina Jolie vor den Bildschirmen und in den Netzen noch verschlossener als ihre Mitstreiter. Angepisst von einer Welt, der sie nicht wirklich angehört. Spielen ist besser. Und so wird Jolie zum Weltstar als Spielfigur Lara Croft.

Natürlich sah sie in Lara Croft so aus, wie man in einer Gameverfilmung aussieht: Angelina Jolies Körper steckte nicht in einem Dress, er war ein Dress: mit der Oberfläche ist alles gesagt. Diese Botschaft musste diskursiv reaktionär wirken. „Dicke Brüste, enge Shorts und eine Knarre in der Hand“, charakterisierte sie die Kollegin Sigourney Weaver, die sich unter weiblicher Emanzipation in männerdominierten Genres etwas anderes vorgestellt hatte.

Angelina Jolie spielt nicht zufällig immer wieder Frauen mit Doppelexistenzen, in Masken und Dressen. Sie ist die verdoppelte Frau, und sie spielt eben nicht das Original, sondern das Double, anfänglich sogar in den ersten Mutterrollen wie in Oliver Stones Alexander (2004), als Olympias, Mutter des Helden, die ihn zum Gottgleichen aufbauen will. Die Kälte, die oft um sie ist, macht schaudern. Männer und Frauen verhalten sich in Angelina-Jolie-Filmen nicht nur insgesamt, sondern auch zueinander wie ferngesteuert. Mr. & Mrs. Smith, der Brad-Pitt-Angelina-Jolie-Film, handelt von einem Ehepaar, in dem beide Partner zugleich Middle-Class-Bürger und Auftragskiller sind, die schließlich auf einander angesetzt werden. Das globale Metapaar im frühen 21. Jahrhundert entsteht aus einer wechselseitigen Mordfantasie. Liebe ist: einander nicht umzubringen.

In den Nebenrollen, die Jolie in der Zeit spielt, geht es eigentlich immer darum, die verlorene Menschlichkeit wieder zu (er)finden. Aus der Welt der Comics und Masken zurück in die Wirklichkeit, das Medium dazu ist Geschichte: In Robert De Niros The Good Shepherd (2006), in Ein mutiger Weg (2007) von Michael Winterbottom und in Clint Eastwoods Der fremde Sohn (2008) geschehen Rückwärtsannäherungen an die Opferrolle. In allen Filmen versucht Jolie, zurückgenommen zu spielen, selten besetzt sie die Mitte der Bilder, sie beschränkt die eigene Präsenz künstlich.

Schon während der Dreharbeiten zum ersten Lara Croft-Film in Kambodscha begann ihr soziales und politisches Engagement. Das hing mit der Erfahrung zusammen, erstmals die USA verlassen und die Grenzen einer beschränkten (Selbst-)Wahrnehmung überschritten zu haben. Das politische Erwachen war zweifellos auch eine persönliche Befreiung, Teil einer Gesundung, ein Schlüssel für die Beziehung von magischer und realer Biografie, und selbst belanglosere Jolie-Filme werden ab da anders gelesen. In den Jahren darauf war sie etwa UN-Sonderbotschafterin für das Hochkommissariat für Flüchtlinge.

Und dann geschieht etwas Drittes. 2012 gab Jolie die prophylaktische Mastektomie wegen einer Mutation bekannt, die das Risiko einer Brustkrebserkrankung auf über 80 Prozent erhöht hatte. Das ist nicht nur persönliches Leid, sondern ein medizinpolitisches Signal: die Zahl der Vorsorgeuntersuchungen wächst. Der private, der politische und der heilige Körper drängen immer mehr ineinander. Die Welt adoptiert diese Frau und ihren realen, leidenden Körper, Angelina Jolie war der bedeutendste öffentliche Frauenkörper der Welt geworden. Die Welterzählung des Wandels von der autodestruktiven Außenseiterin, die fremd im eigenen Körper ist, über die technisch-ästhetische Erfindung eines unempfindlichen zweiten Cyborg-Bodys hin zu einer Mutter, die durch Adoptionen und den Bruch mit dem Vater klar machte, dass Familie ein sich selbst generierendes System und Mutter eine soziale mehr als eine biologische Funktion ist, mag am Ende wirksamer erscheinen als die Emanzipationsgeschichte von Sigourney Weaver.

Und was ist sie nun? Die schöne, böse Hexe aus dem Märchen, die in Wirklichkeit gar nicht böse ist. Jolie ist in Maleficent – die dunkle Fee dem Cartoon entsprungen, eine Kreation des Maskenbildners, und zugleich ist es die Geschichte einer Frau, die am Ende die wirklich Gute ist, auch wenn man ihr so vieles Böses zutrauen durfte, nein, es geht um mehr, darum, dass aus einer kalten eine warme Figur wird, aus einer verletzten eine mütterliche Frau. Wer außer Angelina Jolie hätte das spielen können?

Die Suche nach dem richtigen Körper ist damit (vielleicht) beendet. Und dabei übermalt Jolie als Maleficent die falschen Mütter, die sie gespielt hat in Alexander oder bei Eastwood. Wie heißt es über die böse Fee aus der Dornröschengeschichte? Dass sie ihren Frieden gefunden habe. Das scheint auch für Jolie zu gelten: „Ich hatte eine wundervolle Karriere“, erklärte Jolie bei der Pressekonferenz zum Film. „Ich bin sicher, dass es noch mehr Filme gibt, aber ich möchte mich aufs Schreiben und die Regiearbeit konzentrieren und vor allem auf meine UN-Arbeit.“ Fast ein Abschied. Jedenfalls einer von einem falschen Körper. Oder mindestens von einem von ihnen.

Auf dem Gipfel

Nachdem Jolie 2007 mit einem Dokumentarfilm die Seiten beim Filmemachen gewechselt hatte, präsentierte sie mit In the Land of Blood and Honey 2010 ihr Regiedebüt. Ein zweifellos ehrbarer Versuch, sich mit der sexuellen Gewalt im Krieg jenseits von Hollywoodkonventionen auseinanderzusetzen, eine fiktive Erweiterung des Diskurses, den Angelina Jolie in ihrer politischen Aktivität zu einem Schwerpunkt gemacht hat. „Es ist ein Mythos, dass Vergewaltigung ein unausweichlicher Teil von Konflikten ist; es ist eine Kriegswaffe gegen Zivilisten, die nichts mit Sex zu tun hat, sondern nur mit Macht.“ So erklärte Jolie beim Gipfel gegen sexuelle Gewalt, den sie mit dem britischen Außenminister William Hague in diesem Monat in London initiierte. Kurz darauf wurde sie von der Queen zur Dame ernannt.

Das Drama in Maleficent beginnt vielleicht nicht zufällig mit einer Szene, die man als Vergewaltigung deuten kann: Der Prinz, den die Fee doch so liebte, hat sie betäubt und ihr Gewalt angetan, weil er nur das eine von ihr wollte, ihre Flügel. In das Böse wird diese Frau durch die Männer gestürzt, davon befreien kann sie sich nur allein. Der natürliche, der politische und der heilige, der lebende, der metaphorische und der imaginierte Körper, sie kommen in solchen Bildern zueinander. Und sind erstaunlich widerspenstig.

Maleficent – Die dunkle Fee Robert Stromberg USA 2014, 97 Minuten. Ist bereits angelaufen

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