Der Musikjournalist Jens Balzer schreibt, wenn ich mich nicht irre, an einer Gesamtschau der Pop-Geschichte als „work in progress“. Seine neuesten Bücher beschreiben die beiden Pole von Geschichte und Gegenwart: Das entfesselte Jahrzehnt: Sound und Geist der 70er (Rowohlt) ist eine Geschichte der Popkultur der Dekade, die auf Bruch und Neubeginn um 1968 folgte, beginnend mit den mythischen Ereignissen von Mondlandung und Woodstock, endend mit einem kolossalen Auseinanderdriften der liberalen, genderoffenen und kosmopolitischen Aspekte des Pop und der maskulinistischen, nationalistischen, satanistischen und schließlich mehr oder weniger faschistoiden Reduktionen. Es ist Balzers Verdienst, dabei nicht einfach auf eine Dualität zu setzen, die Guten gegen die Bösen, der falsche gegen den richtigen Pop, sondern eine Dialektik zu entwerfen: Im Pop-Raum treffen sich Thesen und Antithesen in einer dieser Kultur immer noch eigenen Ambivalenz. Ein Grund zur Entwarnung ist das nicht.
Das zweite Buch nämlich sieht sich den aktuellen Rechtsruck in den Musik- und Jugendkulturen genauer an. Pop und Populismus (Edition Körber) handelt, so der Untertitel, von „Verantwortung in der Musik“. Die Untersuchungsgegenstände sind auch hier klar gegliedert: der (migrantisch geprägte) Gangsta-Rap und seine Botschaften, der Antisemitismus in der Popkultur, die Ambivalenz des „Heimatrock“, und auf der anderen Seite: die sexuelle Befreiung und der Kampf gegen sexuelle Gewalt und Missbrauch, um schließlich ans Wesentliche zu gelangen: „Die Utopie der Gegenkultur und die Perspektive der Solidarität“. Unnütz zu sagen: Spätestens hier kann es nicht anders sein, als dass klare Analyse in vage Hoffnung übergeht. Denn der liberale, kosmopolitische und utopische Teil der Popkultur steht dem anderen, dem militanten, rechten, homophoben und regressiven Teil ja nicht einfach gegenüber, sie scheinen sich vielmehr in verschiedenen Welten abzuspielen, deren Bewohner füreinander nur Hass und Verachtung empfinden. Und die einander doch zugleich auch bestehlen und befruchten.
Bowies Fascho-Chic
Liest man dies zusammen mit Das entfesselte Jahrzehnt, so wird klar, dass es durchaus Wurzeln für diesen Rechtsruck gegeben hat. Man kann sie finden in der Regression in Fantasy-Welten, dem Satanismus, der gelegentlich vom simplen Spiel mit der Provokation zu blutigem Ernst wurde, aber auch in Elvis Presleys Schulterschluss mit Richard Nixon, im Post-Hippie-Hang zur Esoterik und dem Flirt mit dem Fascho-Chic. Diesem erlag seinerzeit auch David Bowie, was die gewöhnliche Pop-Kritik so sehr in Erstaunen zu setzen scheint, dass man die Frage kaum unterdrücken kann: Habt ihr damals gepennt? Beinahe noch schlimmer nimmt sich da Eric Claptons Nähe zur rassistischen extremen Rechten aus: Weiße Männer, die der schwarzen Kultur das Idiom und die Tradition entnommen hatten, kotzten sich hämisch und bösartig als Herrenmenschen aus.
Auch was das betrifft, darf man sich also getrost von einem „Früher war alles besser“ verabschieden. Auch das entfesselte Jahrzehnt lieferte schon genügend Tendenzen im Pop, sich von den weltoffenen, pazifistischen und „linken“ Parametern zu trennen. Allerdings fanden sowohl der elitäre Yukio-Mishima-Faschismus des Pop wie der vulgäre völkische Rassismus im Rock nur eine marginale politische Echowirkung. David Bowie spielte denn auch bald wieder eine andere Rolle, und Eric Clapton bekannte sich reumütig zu den schwarzen Wurzeln seiner Musik. Echter und eindeutiger Nazi-Rock entstand erst mit dem Auftreten militanter Skins in Verbindung mit der politischen Organisation von Blood & Honour. So jedenfalls will es eine vereinfachte, lineare Pop-Geschichte, die wir mit Balzer zu bezweifeln lernen. Denn die 70er waren das Jahrzehnt der ersten Transformation vom Wir zum Ich. Und an dieser Transformation hatten sowohl „linke“ als auch „rechte“ Personen, Projekte, Tendenzen und Ideen ihren Anteil.
Verantwortung im Pop und Verantwortung in der Pop-Kritik kann also nur auf der Basis einer gewissen Kenntnis der Geschichte und der Semantik der populären Kultur entwickelt werden, die vom traditionellen Feuilleton seit jeher mit einer bizarren Mischung aus Panik und Umarmung behandelt wurde. Gerade hat man noch vor dem faschistischen Gehalt einer sehr erfolgreichen Science-Fiction-Heftserie gewarnt, da jazzt man auch schon einen rassistischen und sexistischen Rapper zum exemplarischen deutschen Lyriker hoch. Verantwortung, so viel geht aus Balzers Arbeit zweifelsfrei hervor, geht anders.
„Um das Verhältnis von Pop und Politik in der Gegenwart zu beschreiben, kann man sich also nicht auf die Korrespondenzen zwischen Pop und dem rechten Populismus beschränken“: Das ist eine der zentralen Thesen des Buches. Ein Ausgangspunkt ist der „Skandal“ um die Echo-Verleihung 2018 an die Rapper Kollegah und Farid Bang, die durch homophobe, rassistische und gewaltverherrlichende Texte berühmt und berüchtigt wurden. Wie es dazu kommen konnte, dass kaum jemand die brutale und unmenschliche Sprechweise wenigstens als nicht preiswürdig erkennen konnte, ist eine Frage, die schließlich direkt zur Frage nach der Verantwortung in der Musik führt. Ist Verkaufszahl und Clickmenge wirklich alles, was zählt.? Spiegelt Pop nur wider, was in der Gesellschaft geschieht, sozusagen als „unschuldiges“ Messinstrument?
Balzer zeigt, dass der Verlust von Verantwortung genau nach den gleichen Mustern wie beim politischen Rechtsextremismus verläuft, die einen haben es dann ja nicht so gemeint, die anderen haben damit nichts zu tun, auch hier sind dann die anderen, die Journalisten der „Lügenpresse“, das „Establishment“, die Linksgrünen und so weiter schuld, und sobald man angegriffen wird, wechselt man von Täter-Zynismus zu Opfer-Larmoyanz.
Vielleicht ist es wichtig, die „neue Maskulinität“ in der Politik wie im Pop von der alten, von der man sich verabschiedet hat, zu unterscheiden: Der Patriarch, wie immer man ihn beurteilen mag, ist einer, der „dominant“ sein mag, gerade weil er dafür auch die Verantwortung übernimmt (so waren unsere Helden eben, von Humphrey Bogart über Dirty Harry bis Captain Kirk); der Maskulinist der neuen Rechten dagegen stilisiert sich immer wieder als Opfer; ist er im einen Augenblick ein zynischer Sadist, so im anderen ein Jammerlappen, den man gerade attackierte. Der neue Maskulinismus kennt weder den Begriff der Tapferkeit noch den der Verantwortung. Der „Dreischritt“ (Balzer), Provokation, Relativierung und Selbstviktimisierung, funktioniert bei einer Reihe von Musikern seit dem Millennium. Was die Industrie anbelangt, gibt es einen vierten Schritt, die scheinheilige Sühne: Bertelsmann trennt sich von den „Skandalrappern“ und leistet eine Ablass-Spende zum Kampf gegen Antisemitismus. Pop ist immer auch Industrie, ist immer auch Kapitalismus.
Rechts bleibt impotent
Damit ist man bei Balzers Schwachpunkt. Er beschreibt alle Phänomene vorwiegend als kulturelle Hervorbringungen. Aber Pop ist nun eben nicht nur ein semantisches Feld (auf dem sich Meinungen, Geschmäcker und Dispositionen begegnen), sondern auch ein soziales Feld (auf dem es am Ende immer auch um Kapital- und Klasseninteressen geht). Pop ist nicht nur Ausdruck und Manipulation, sondern auch ein Herrschaftsinstrument. Es spiegelt nicht nur den Widerspruch zwischen links und rechts (oder mittlerweile: demokratisch und anti-demokratisch), sondern auch den Widerspruch zwischen Ökonomie und Politik. Dass die meisten rechten Acts sich am Ende dennoch nicht vollständig auf die Seite der rechten politischen Organisationen stellen, hat nicht nur damit zu tun, dass damit ein Mainstreampublikum verloren gehen könnte, das eine rechte Disposition verspürt, aber kein Bekenntnis abgeben will. Die rechte Organisation findet keine wirklichen musikalischen Propagandisten, paradoxerweise aus der eigenen inneren Logik der Verantwortungslosigkeit heraus.
Die Rechten brauchen keine genuine Popkultur, es genügt aber vollkommen, die Popkultur nach demselben Schema zu „bearbeiten“, wie man die politischen Medien bearbeitet, die Mainstreamkultur, die Bildungseinrichtungen, die „Lügenpresse“ und so weiter, in einer rechtsgramsciistischen „Hegemonie“-Strategie, welche die Hybridität des Pop in die eigene Richtung lenkt. Schon im historischen Faschismus funktionierte das, wenn man den Vertretern der als notwendig erkannten „Unterhaltung“ ein Minimum an Freiheit ließ, um ein Maximum an „Nützlichkeit“ zu erzielen. Dass die Rechte, wie Balzer zu Recht diagnostiziert, ja selber nicht produziert, zu keiner Neuerung fähig ist und letztendlich so ideen- wie kunstlos ist, macht sie gerade dazu fähig, sich dieses Instruments zu bedienen. Die Hybridität der Popkultur ist ihre Stärke und zugleich ihre Schwäche. Popkultur kann niemals vollkommen und total „rechts“ oder gar „faschistisch“ werden, aber sie ist auch nicht in der Lage, sich gegen die semantischen Verstärkungen des Rechten und die Durchsetzung mit rechten Impulsen und Begriffen und Fantasien zu immunisieren.
Jens Balzer macht am Ende klar, dass es eine einfache Gleichung von Pop (Musik) und rechter Politik nicht gibt; selbst die dezidiert rechten Musiker wie der „Volks-Rock-’n’ -Roller“ Andreas Gabalier oder die Südtiroler Gruppe Frei.Wild oder die rechten Rapper, die kaum einen Hehl aus ihrer Gesinnung machen, sträuben sich, sich direkt in den Dienst rechter Politiker zu stellen. Aber dasselbe gilt auch für die linken Gruppen und Musiker; als Kunst der Ambivalenz und der Selbstermächtigung bleiben die politischen Elemente und die Allianzen locker. Auch die Gefahr, unter dem Druck der „political correctness“ und dem Verbot der „cultural appropriation“ die Kraft von Amalgam und Subversion zu verlieren, ist nicht von der Hand zu weisen. Was soll uns Pop, wenn er nicht mehr unverschämt sein kann?
Die Grenzen zwischen Verantwortung und Freiheit sind stets schwer zu bestimmen. Dem Rechtsruck einen zivilgesellschaftlichen Dogmatismus gegenüberzustellen, ist für die Kunst so problematisch wie für die Popkultur. So hilft zunächst einmal nur Aufklärung und Selbstaufklärung, und für die hat Jens Balzer entschieden wertvolle Hilfe geleistet.
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