Selbst dem letzten Philosophenkönig wird nun der Prozess gemacht. Posthum steht Michel Foucault unter der Anklage, ein Neoliberaler gewesen zu sein. Eine Provokation – insbesondere für all jene kritischen Geister, die sich im Gefolge des französischen Theoretikers stets auf der richtigen Seite der Neoliberalismuskritik wähnten. Für dieses Kerngeschäft des widerständigen Denkens ist er weiterhin mit seinen in den 1970ern gehaltenen und in den nuller Jahren veröffentlichten Vorlesungen zur „Gouvernementalität“ ein maßgeblicher Stichwortgeber.
Mehrere französischsprachige Monografien haben das Thema bereits beackert. Eine internationale Debatte machte daraus aber erst der Herausgeber eines dürren Sammelbandes: der bis dahin unbekannte Soziologiedoktorand Daniel Zamora. Ende 2014 war ein Interview mit ihm auf der Online-Plattform des Jacobin, des theorieaffinen Zentralorgans der jungen US-Linken, erschienen. Darin warf er Foucault vor, in den 70ern neoliberale Argumente gegen Marxisten und Sozialisten ins Feld geführt zu haben. Schlimmer noch: Sein Einfluss habe die Linke bis zum heutigen Tage völlig desorientiert.
Kritik und Macht
Das Interview verbreitete sich viral, ein Aufschrei der Foucault-Experten folgte. Zumindest für Zamora und den Verkauf seines Sammelbands, dessen erweiterte englische Fassung jetzt unter dem Titel Foucault and Neoliberalism erschienen ist, dürfte sich dieser social media stunt aber gelohnt haben. Kürzlich sprach er auf Einladung des Hebbel am Ufer auch in Berlin. Die gesteigerte Aufmerksamkeit änderte aber nichts an der Substanz der vorgebrachten Argumente.
Keine bis dato unbekannten Quellen, nicht einmal eine systematische Auseinandersetzung mit Foucaults Schriften, sondern lediglich einzelne Aussagen werden als Beleg für Foucaults Flirt mit dem Neoliberalismus präsentiert. In der Sache erfährt man daher auch wenig Neues. In den 70ern unterstützte er punktuell die antimarxistischen nouveaux philosophes um André Glucksmann; in der Wohlfahrtsstaatsdebatte bezog er linksliberale Positionen, plädierte für kollektive Selbstverwaltung statt mehr Bürokratie und setzte sich daher auch mit neoliberalen Reformvorschlägen auseinander. Der Zamora-Band und die anderen Publikationen zum Thema machen also den notorisch flüchtigen Denker nicht als Neoliberalen dingfest, sondern leisten allenfalls einen Beitrag zu seiner Historisierung.
Sie demontieren ihn als Monument, auf das sich jeglicher widerständige Gedanke stützen könnte, weil sie den politischen Menschen Foucault und seine Analysen wieder in den Kontext der späten 70er rücken. Die Geschichte, an deren Beginn Foucault dabei einsortiert wird, handelt zugleich vom Aufkommen des Neoliberalismus als globaler Herrschaftsform und der Krise der Linken. Erzählt wird sie aus einer nostalgischen Perspektive, die sich ohnmächtig mit einer durchökonomisierten Gegenwart konfrontiert sieht und eine Renaissance linker Kritik durch traditionelle, von allen Zweifeln befreite Theoriebildung in Aussicht stellt.
Doch wenn die Geschichte der Gegenwart als allmähliche Totalisierung des Neoliberalismus erzählt werden muss, kann auch die Kritik nicht ihre Unabhängigkeit von ihm behaupten. Gerade diese Unschärfe, dieses intime Verhältnis von Kritik und Macht, dokumentiert Foucaults Auseinandersetzung mit dem Phänomen – ohne dass Zamora & Co dies erfassen würden. Für Foucault war der Neoliberalismus nämlich zweierlei: eine Kritik des Regierens, die den Markt als Wahrheitsregime inthronisiert, um staatliche Macht zu begrenzen, und eine Kunst des Regierens, die Freiheit als Kalkül einsetzt und marktkonforme Subjekte produziert. Eine Wiederbelebung der Linken ist heute daher nur in Auseinandersetzung mit Foucault, aber nicht ohne ihn zu denken.
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