Schwarz auf weiß

Theaterideologische Wende Die Comédie Française spielt ein Stück einer schwarzen zeitgenössischen Autorin - »Papa muss essen« von Marie N´Diaye

Die Comédie française, auf der Welt bekannt als Hort sowohl des künstlerischen wie des sprachlichen Traditionalismus, hat in der Person von Marcel Bozonnet kürzlich einen neuen Direktor bekommen. Seine Ernennung wurde von der Öffentlichkeit beifällig aufgenommen und jetzt wird bei Durchsicht des kommenden Spielplans wie auch bei der neuen personellen Zusammensetzung der Truppe klar, dass es mit Klassikern, die auf hergebrachte Weise gespielt werden, sein Bewenden nicht haben wird.

Dieser Tage ist in der Tat etwas geschehen, was in der vielhundertjährigen Geschichte des Hauses bislang undenkbar war. Texte, die dort auf die Bühne kamen, hatten bis dato männliche Urheber und nur selten solche, die lebende Zeitgenossen waren. Nun erscheint eine Autorin auf dem Programmzettel: die 35-jährige schwarze Marie N´Diaye. Dass eine Frau, eine Farbige, und obendrein noch zu Lebzeiten auf dieser beispielgebenden Bühne Einzug hält, das stellt ein absolutes Novum dar. Nach ihrem Tod war Marguerite Duras ein flüchtiger Gast in dem ehrwürdigen Haus gewesen, aber in Wahrheit beschränkte sich die Ehre, die ihr zuteil wurde, auf ein Gastspiel auf der zweiten Bühne. Obendrein hatte ein männlicher Autor ihren Text fürs Theater bearbeitet.

Natürlich macht das Geschlecht des Autors noch nicht seine schriftstellerische Qualität aus. Das Entscheidende im aktuellen Fall von Marie N´Diaye ist der Zeitbezug ihres Werkes. Papa muss essenlautet der Titel, der auf eine Unersättlichkeit der Hauptperson hinweist, die nicht nur physischem Hunger entspringt, sondern mindestens ebenso sehr einer Gier nach Aufstieg auf der sozialen Leiter.

Ihr nachzuleben, dafür hat Papa vor zehn Jahren seine Familie verlassen. Seine zwei Kinder und seine Ehefrau überließ er sich selbst, ehe er nun in einen eleganten Zweireiher gekleidet an der Wohnungstür klingelt. »Papa ist zurück«, ruft er triumphierend aus und streckt sein Arbeitsköfferchen den Kindern vor die Augen. Steinreich, so gibt er vor, kehre er in die Pariser Vorstadt Courbevoie zurück. Für das kleinbürgerliche Ambiente und die geschmacklose Aufmachung hat er jetzt nur Spott übrig.

Doch alles dies ist nur Vorspiegelung. Zehn Jahre Abwesenheit brachte ihm nur eine imaginäre Karriere ein. Kein Geld ist im Köfferchen, der elegante Anzug ist geliehen, das einzig Reale, das er vorzuweisen hat, ist der verkrüppelte Säugling, den er mit einer anderen Frau in der Zeit zeugte.

Diese Geliebte wird ihn, den Lug und Trug durchschauend, mit einem Messer in der Wange traktieren - in ihrer Rache genauso ungeschickt und ergebnislos, wie ihr bisheriges Leben in dem abgeriebenen Hotelzimmer, in dem das Paar bislang hauste, verlief. In dieser Situation explodieren Wut und Frustration der ewig Hintangesetzten. Verlassenheit und mit Füssen getretene Liebe zeichnen in Papas Worten ein Bild von der Aussichtslosigkeit nicht etwa von Einwanderern, nein der waschechten Einheimischen, für die es keine Probleme mit dem Pass gibt.

Aus dem schwarzhäutigen überseeischen Frankreich stammt Marias Vater; ihre Mutter ist eine Weiße. »Ich bin zurückgekommen,« ruft er aus, »mit all meinem Zorn und Frust, dem Gefühl der Schwäche und der Unterlegenheit, mit jener Bitterkeit und undefinierbaren Scham, die sie mir bezahlen sollen. Ganz Frankreich soll mir dafür bezahlen.«

Ganz anders, nämlich eindeutig rassistisch klingt es von Seiten der Großeltern. War schon der Eheschluss mit dem »Neger« eine »Katastrophe« gewesen, wie sie jetzt wissen, dann ist ihm seine Flucht anzukreiden und vor allem eines: »Er war wie ein Tier einer unbekannten und widerlichen Art.« Je mehr sich die sitzen gebliebenen alten Jungfern aus der Familie der Ehefrau in Wut ereifern, umso deutlicher zeichnet sich die Verführungskraft dieses »widerlichen Tieres« ab, die die älteren Damen nur gerade andeuten und schleunigst übergehen wollen.

Seiner Tochter gegenüber gibt Papa so etwas wie eine animalische Überlegenheit zumindest über das weibliche Geschlecht zu verstehen. Seine Schwäche garantiert zugleich seine Stärke; dies erkennt er bei allem Zorn über die erfahrene Herabsetzung. »Meine Haut ist von unüberbietbarer Schwärze, ein so spiegelndes Schwarz, in dem meine dunkeln Augen gleichsam verwaschen erscheinen. Wisse mein Kind, dass diese absolute, unabweisbare Hautfarbe meine Überlegenheit ausmacht.«

Einem vergleichbaren Zusammenstoß von hochmütiger Herabsetzung und uneingestandener Gier begegnete das französische Theater der letzten Zeit nur bei Koltès. Damit leuchtet das Theater gesellschaftliche Probleme an, die sich in der Wirklichkeit stellen und die ein Unbehagen erzeugen. Einen bestehenden Zustand zu feiern, ist die Comédie française in ihrer heutigen, modernen Fassung offensichtlich nicht mehr willens.

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