Bauchschmerzen machen!

wieder Weltflüchtlingstag Der Weltflüchtlingstag der UN ist ein Aktionstag, es reicht nicht einfach nur zu gedenken!

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Heute ist Weltflüchtlingstag. Der 20. Juni wurde von den Vereinten Nationen vor 14 Jahren ins Leben gerufen, als ein Aktionstag – nicht als ein Gedenktag. Noch immer sind in diesem Jahr geschätzt 50 bis 60 Millionen Menschen vor gefährlichen, lebensbedrohlichen und unwürdigen Lebensumständen auf der Flucht. Mit diesen Zahlen zu hantieren hat auch immer etwas völlig sureales, denn Zahlen verschleiern die eigentliche Tatsache, auf die man zu mindestens an diesem Tag weltweit aufmerksam machen will – dass jede einzelne Person auf der Flucht und ohne Asyl eine Person zu viel ist!

Das es sich aber um einen Aktionstag und nicht um einen Gedenktag handelt, sollte die Frage aufwerfen; „Was kann ICH an diesem Tag tun?“.

Mit der großangelegten und visonären Aktion „Die Toten kommen“ ist dem Zentrum für politische Schönheit ein Anstoß gelungen, der das gewohnte Weltbild erschüttert. Dadurch ist erstmals eine Frage ins Zentrum gerückt worden, die sonst völlig vernachlässigt wird: Was geschieht mit den ertrunkenen Menschen? Dass man sich dabei erwischt, diese Frage selbst nicht gestellt zu haben, legt offen, wie sehr man selber beinflusst ist von einer medial gespeisten Kultur des Wegschauens, einem kümmerlichen Mitgefühl für andere Menschen und der unzureichenden Anteilnahme.

„Der politische Stunt“, wie Georg Diez die Aktion in seiner Spiegel Kolumne bezeichnet, holt eine Realität – von der wir uns lange ferngehalten haben - direkt zu uns. Mit jedem Leichnam der in Deutschland beigesetzt wird, wird bewusst, was die Entscheidungen die hier getroffen werden, täglich bewirken. Der Streit darum, welche Seite sich hier pietätlos und würdeverletztend verhält, zeigt nur den Anfang einer übermäßig verspäteten Diskussion. Es klingt seltsam von einer neu geschaffenen Realität zu sprechen, aber diese morbide Nähe ist wohl für viele Menschen mit einem male etwas Neues. Dabei ist dieser Anfang nichts weiter als das Ende einer viel zu lang aufrecht erhaltenen Beschönigung der Realität.

Leichname vor dem Kanzleramt! Damit ist erstmals ein Fundament erschüttert, das uns so lange, viel zu lange in einem Schlummer aus Desinformation und Desinteresse gebettet hat – und dieser Schlummer wird wieder kommen, da brauch man sich gar keine Illusionen zu machen - es ist die Kondition dieses modernen, medial-überfrachteten Lebens. Die gegenwärtige Hochphase öffentlicher Kontroverse aber muss genutzt werden. Sie ist eine Chance zu diskutieren, Vorurteile sichtbar zu machen und zu de-konstruieren. Dass diese Chance von den öffentlich-rechtlichen Medien unterdrückt wird, zeigt wie unangenehm sie der „Mitte“ der Gesellschaft ist. Keinerlei Erwähnung findet diese Erschütterung in der Tagesschau, stattdessen, eine Dokumenation über das Unwesen der Schlepper im Mittelmeer (bravo..!) und „die größte freischwingende Glocke der Welt als Zeichen der Erinnerung“. Ich möchte sagen, diese Aktion gehört nicht mal in die Kategorie „das mindeste was man tun kann“, trotzdem ist sie notwendig und gut, denn sie kann auch für Viele ein Schritt hin zu einem klaren Bewusstsein drüber sein, was an Europas Außengrenzen geschieht.

Was also kann ich an dieser Situation mit einem Aktionstag tun um etwas zu ändern? Ich kann mit allen meinen Bekannten, Verwandten und darüber hinaus über die Weltflüchtlings-Lage, die Massengräber im und ums Mittelmeer und über die kontroversen Aktionen des Zentrums für politische Schönheit sprechen und schauen ob mein Gegenüber an der Rhetorik der Beschönigung und Ungerechtigkeit teilhat.
Ich kann unter anderem meinem Gegenüber klar machen, dass wer es auf sich nimmt das Mittelmeer unter lebensbedrohlichen Zuständen zu überqueren, nicht einfach nur auf der Suche nach einer Wohnung mit Warmwasser und Flachbildfernseher ist (nach bester bundesdeutscher Definition ein Wirtschaftsflüchtling). Wer sein Leben -und das seiner Kinder! - in der Art riskiert, hat nichts zu verlieren und sucht Schutz, will überleben.

Weiterhin muss ich schauen, wie viel Information mein Gegenüber überhaupt zulassen will, muss ihr Mitgefühl für andere auf die Probe stellen, Bauchschmerzen zulassen! Denn während auf großen Teilen der Erde Bauchschmerzen Anzeichen für Hunger und Elend sind, sind sie hier auf der „sonnigen Seite der Erde“ wohl eher Anzeichen für gesunde Menschen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Gérald Cordonnier

Identität? Schwindsüchtiger Gedanke! Was nicht ist das kann noch werden, und der Himmel auf Erden!

Gérald Cordonnier

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