Der europäische Staat ist ein Grab

Weltflüchtlingstag Der 20.Juni soll auf die Situation der Flüchtlinge aufmerksam machen. Das Stück von F.Leps thematiert dies von der anderen Seite - der morbiden Moral des Wohlfahrtsstaats

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Das Staatgrab – Schwarzes Blut schreibt schwarze Zahlen

Mit diesem zugleich eingängigen aber auch krudem Titel hat das Künstlerkollektiv „Konsumenten Kosmos“ am 28. Mai im Ackerstadt Palast sein transmediales Theater Debut vorgestellt. Alles ist hier selbstgemacht, von den Zeilen über die Dramaturgie bis zur Musik. Der junge selfmade Produzent und Autor Friedemann Leps hat sich das facettenreiche Debut in schweißtreibender Eigeninitiative zusammen mit seinem Ensemble erarbeitet. Die Darsteller tanzen auf der Bühne und noch vielmehr auf den Nerven des Publikums. Es werden Fetzen aus Worten, Schreien und Anschuldigungen in die kleine geschlossene Gesellschaft des Publikums hinausgeworfen. So ernst aber der Titel auch klingt, so divers sind die Stimmungen die dieses Stück mit sich bringt – allgegenwärtig aber; das sarkastische Grundmoment aus Identifikation und Abscheu, das die Zuschauer auf ihren vier Buchstaben sitzen lässt.

Irgendwo in der Festung Europa, irgendwo in den Grenzen des Wohlstands spielt sich eine Tragödie ab – ein Paar verliert ihr Kind - während außerhalb der Grenzen Europas Knochen zermahlen werden und die Fischernetze Leichenteile an Land befördern. Die Frage die das Stück durchzieht ist: Was zählt ein solch einzelnes Schicksal, wenn das Binnenmeer zu der benachbarten Welt längst ein Massengrab zahlloser namenloser Schutzsuchender ist? Dieses Irgendwo in Europa ist die Skizze einer möglichen Welt, wie wir sie vielleicht irgendwann in Europa vorfinden werden, oder schon längst vorfinden.

Während die Agentur Frontex eine Welt stabil hält, die in ihren Fugen längst zerfallen ist, wird diese Welt zusammengekittet durch die gemütsrübende Droge Thymoleptikum. Nur so lässt es sich in dieser Welt aushalten – gefundenes Fressen für den real existierenden Faschismus in uns allen. Wegschauen war gestern!

Der Autor des Stückes übermalt durch seine symbolische Sprache das Bild des „normalen“ Europas - einer normalen Welt überhaupt - durch Abzesse von Gewalt und Begierde, zwei Motive die sich von den Grenzen bis ins Innerste des europäischen Irgendwo verlagern. Der Veteran Valgan kann somit im Rausch seiner Spielsucht die Greuel seiner Kriegsvergangenheit vergessen machen – zumindest meistens. Seine ehemaligen Kampfgenossinnen Tessla und Hydra wiederum geifern nach dem Rausch des Mordens, egal ob für den Wohlstand oder das Vaterland – was zählt ist Handarbeit.

Inmitten dieser abgeklärten Atmosphäre versucht sich das Einzeldrama eines Familienschiksals zu behaupten – vergeblich? Marla und Dimitri haben ihre Tochter im jungen Alter verloren, ertrunken unter der zerkrachten Eiskruste eines Sees. „Sie trug ihr Sommerkleid. Sie liebte es immer sich gegen die äußeren Umstände zu stellen“.

Steht zu Beginn des Stückes noch die Verarbeitung der Trauer dieser Beiden, im tiefst empfundenen kalten „Fuckwinter“ im Vordergrund, will diese Trauer doch nach der Vergegenwärtigung des realfaschistischen Einmauerns nicht mehr so recht einleuchten - da hilft auch nicht, dass der Geist der Kleinen Tochter die Anwesenheit der Anderen durchwandert.

Das klare Motiv, dass nur weh tut was einem nah ist, wird in diesem Stück umgedreht und unterwandert. Ist das ein darstellerischer Versuch die Schmerzen außerhalb der Wohlstandswelt nach Innen zu verlagern und nachzuempfinden? Ein Versuch? Ja, aber nur einer der von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Trotzdem setzt dieser Versuch wichtige Akzente für die Kultivierung einer grenzenlosen Empathie und Solidarität. Das Stück ist aber nicht primär als eine Kampfansage an das bürgerliche Gutmenschentum zu verstehen. Zu sehr wiegt die leise Ahnung, dass selbst die kritischen Geister in die Widersprüche der Wohlsstandslogik verstrickt sind.

Überhaupt steht das Körperliche im Vordergrund der Inszenierung. Durch Tanz verschmelzen die einsamen Akteure hin und wieder in eine choreographierte Zweisamkeit. Durch die stark mimische Körpersprache werden die kryptischen Dialoge untermalt. Am Ende aber stehen die Betrachter ganz allein da, mit dem Bild das sie sich vom Stück machen müssen.

So ist es offensichtlich nicht unbedingt der Anspruch, verstanden zu werden, der hier im Vordergrund steht, sondern vielmehr das durchgängige Momentum des Affiziert-seins vom Geschehen auf der Bühne - Mitdenken war auch gestern, versucht doch mal zu fühlen! Eindeutig nichts für Zuschauer die ihre Neugier verloren haben. Letztlich muss jeder Versuch, dieses cross-media Ereignis zu kategorisieren, in Verzweiflung enden. Doch auch Verzweiflung macht gelegentlich Lachen und darin liegt auch eine besondere Stärke des Stückes – in der Interaktion mit der ambiguen Psyche der Zuschauer.

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Das Ensemble (v.l.n.r):

Max Grosse Majench, Julia Ebell Huston, Marlene Knobloch, Mirijam Verena Jemeric, Iris Nicole De Riz, Friedemann Leps

Musik von: Domo Aregato Mr. Roboto, Wesphere

Videoprojektionen: Hans Goedecke

Weitere Termine :

14. und 15.09.2014 - 20 Uhr im Ding Dong Dom, Holzmarkt (Berlin-Mitte)

Der Trailer zum Stück:

http://vimeo.com/89436262

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Gérald Cordonnier

Identität? Schwindsüchtiger Gedanke! Was nicht ist das kann noch werden, und der Himmel auf Erden!

Gérald Cordonnier

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