Die Flucht nach Innen

Heidenau Die zunehmende Radikalisierung und Feindlichkeit gegenüber Schutzsuchenden ist eine große Herausforderung für die Gesellschaft - es reicht nicht sie zu verurteilen.

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Es ist nicht nur beschämend sondern auch beängstigend. Wenn ich mir die Videos von dem rechten Mob aus der sächsischen Kleinstadt Heidenau auf Youtube anschaue, überkommt mich kalter Schauer. Schnell holen mich Erinnerungen ein, eigene Erfahrungen mit dem selbstgerecht auftretenden ignoranten „Pack“ – die man damals noch an ihren nicht vorhandenen Frisuren erkannte. Außer dem Aussehen und den Parolen - „Wir sind das Volk … *rülps*“ - hat sich nicht viel geändert an dem Auftreten dieser Menschen, deren gewaltbereite Überheblichkeit sich nur im sicheren Gefühl des Rudels entäußert. Trifft man sie allein und tagsüber, so spricht deren handzahmes Auftreten für sich: Hass uns Gewalt sind nur Kanalisierungen für die Angst und die Perspektivlosigkeit, die viele Menschen hierzulande einholt. Die Gewissheit aber, dass etliche Menschen die in Deutschland Schutz vor Ausschreitungen und Verfolgung suchen, hierzulande das selbe Schicksal wiederfinden, vor dem sie auf der Flucht sind, ist erschütternd und übersteigt jegliches Schaudern gegenüber dem rechten Mob. Wer sich jetzt gleichgültig gegenüber dieser Radikalität und Feindlichkeit positioniert, gibt ihr die Möglichkeit sich noch weiter auszubreiten.

Wer in unseren Breiten kann sich schon vorstellen wovor Menschen aus Krisengebieten fliehen? Selbst wenn wir die vielen unheilvollen Bilder, Videos, Berichterstattungen sehen - die die Medien überfluten, haben wir keine Vorstellung davon wie es sich anfühlt jeden Tag mit der Angst vor ständig drohender physischer Gewalt zu leben. Auch lässt sich fragen, woher wir die Überzeugung nehmen sollen, dass gewisse Länder an der europäischen Peripherie für bestimmte Menschen als sicher eingestuft werden sollen?

Es ist zu offensichtlich, die Menschen hier haben vor allem Angst vor sich selbst, vor Verlust und vor möglichem Versagen. Während, nach Schätzungen der UN Flüchtlingsorganisation, in diesem Jahr immer noch 60 Millionen Menschen aus Angst vor physischer und psychischer Gewalt in andere Länder fliehen - in denen sie immer weniger willkommen sind - fliehen die Menschen, die sich nun seit der längsten Friedensperiode Europas in Sicherheit wähnen können, nach Innen. Weil hierzulande Einige so zerfressen sind von Ängsten und vor möglichem Verlust und Versagen, sind sie wohl unfähig die Motive der Fliehenden, deren reale Gefährdung und Angst zu erkennen. Man könnte fast meinen die Sicherheit an die wir uns gewöhnt haben, mache blind für Mitgefühl.

Das ihr mich nicht falsch versteht. Ja ich versuche Menschen zu verstehen die gröhlend ihre Anfeindungen gegenüber "Fremden" verlauten lassen - denn ich kann sie verstehen, ich hab lange genug mit ihnen und unter ihnen gelebt. Das heißt aber nicht, dass ich diese Taten nicht verurteile. Verständnis ist aber in diesem Sinn produktiver als Verurteilen. Verurteilungen sind oftmals nichts anderes als Vereinfachungen des Problems. Eine „scharfe“ Verurteilung, wie von Seiten der Regierung immer wieder zu hören ist, ist leicht ausgesprochen, aber im Großen und Ganzen unwirksam. Wir sind diese scharfen Verurteilungen von Politikern und Entscheidungsträgern mittlerweile genauso gewohnt wie die Schreckensbilder von gewalttätigen Ausschreitungen auf der gesamten Welt.

Zwar ist die jüngste Äußerung Sigmar Gabriels, der die rassistisch motivierten Angriffe in Heidenau mit nicht herkömmlichen Vokabular verurteilt, ein Vorstoß in die richtige Richtung, die Stellungnahme ist aber auch eine Notwendigkeit und sollte daher selbstverständlich sein und daher nichts als eine Vorrede für weiteres Handeln. Angesichts der dramatischen Lage an Europas Grenzen, kann sich die Regierung aber keine Halbherzigkeit gegenüber der Flüchtlingsproblematik leisten. Sie muss ernsthafte Versuche unternehmen das Problem anzugehen – nicht nur als ein Problem das uns betrifft, sondern als ein Problem das Andere tagtäglich betrifft.

Es ist eine Herausforderung an die Gesellschaft, die Flucht nach Innen und die damit einhergehende Selbstvergessenheit zu bekämpfen. Angesichts der Gleichgültigkeit, mit der wir teilweise die Bilder betrachten, die täglich in der Tagesschau zu sehen sind, haben wir jedes Maß an Mitgefühl verloren. Von einer Regierung Selbstlosigkeit zu erwarten ist jedoch vertane Zeit. Wenn es darum geht, Angst gegen Verständnis einzutauschen, müssen wir uns selber helfen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Gérald Cordonnier

Identität? Schwindsüchtiger Gedanke! Was nicht ist das kann noch werden, und der Himmel auf Erden!

Gérald Cordonnier

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