Griechenland und die Chance des Aufruhrs!

Proteste in Griechenland Das Aufbegehren der Griechen bietet die Chance altbackene Denkkategorien neu aufzuziehen. Die Intensität des Protests verdeutlicht eine längst fragwürdige Vormundschaft.

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Systemkritik war noch nie so vernünftig

Das Aufbegehren der Bevölkerung in Griechenland wird besonders in Deutschland missgünstig beäugt. Es wird als logische Konsequenz gehandelt, dass ein Sparzwang (egal welchem Ausmaßes) die notwendige Folge auf die heftige und unkontrollierte Verschuldung der letzten Jahrzehnte in Griechenland ist.

Dass die Griechen unter Bedingungen leben, die für die Lebenserfordernisse, mehr als unzureichend sind, wird schlicht überblendet durch die ökonomische Konsequenz der Entschuldung. Diese geht augenscheinlich den vitalen Interessen und Bedürfnissen der Griechen voraus, was aufzeigt, dass sich menschliche Belange nur schlecht mit ökonomischem Kalkül messen kann. Eine Alternative zu letzterem scheint völlig ausweglos. Im schlimmsten Falle hat man sich also den (eigens herbeigeführten?) Konsequenzen zu fügen. Man muss halt in den sauren Apfel beißen. Ein Sprichwort, wie es wohl nur im Sprachduktus des "kleinen Mannes" zu finden ist. Doch so zeigt diese weitverbreitete Meinung auf der anderen Seite, dass es noch nie vernünftiger war das System zu kritisieren - sobald man vernünftig als das versteht, was selbstbestimmtes Denken fördert.

Viel zu lang hieß es viel zu unverblümt: Greifen sie nur zu!

Aus der Beobachtersphäre ließe sich erstens fragen, ob überhaupt irgendjemand die Griechen gefragt hat, ob sie den westlich kapitalistischen Lebensstil übernehmnen wollten, mit all den illusionären Praktiken und Alltagsutopien. Man kann es auch so sehen, dass sich die freie Marktwirtschaft mit ihren internen Regeln und Rationalitäten der neuen demokratischen griechischen Gesellschaft aufgedrängelt hat. Mitte der 1970er Jahre hatte man schließlich einen Standpunkt an den Kommunismus zu verlieren. So könnte die Überverschuldung wesentlich als Folge eines Lebensstils betrachtet werden, der vor ihren Augen vorgelebt und gar gefordert wurde - einem Zukunftsoptimismus, der nur wenig von der Idee des Eigenkapitals hielt und in der überschwänglichen Lebensweise den Motor für Fortschritt und Wohlstand, sogar Sinn und Ziel des Lebens sieht?

Wem soll man es vorenthalten über seine Verhältnisse zu leben?

Auf der anderen Seite verbirgt sich darin ein ideologisches Problem, das seine Gefährlichkeit genau dann entwickelt, wenn man die Rückzahlung der Schuld über das Problem von Armut und Verelendung stellt. Die politische Elite gibt sich viel Mühe den Anschein zu stärken, es gäbe keine Alternative zu einem repressiven Austeritätsregime. Die hier zum Tragen kommende Expertise der Wirtschaftswissenschaftler mag zwar gerechtfertigt sein wenn es um die Abwägung von Szenarien geht die die Auflösung der Währungsunion oder den Ausstieg einzelner Länder betrifft. Sie darf jedoch nicht die Definitionsmacht über den möglichen Handlungsspielraum der Politik innehaben.

Die Occupy Bewegung hat hier im letzten Jahr wesentlich dazu beigetragen, die Größenverhältnisse ins kollektive Bewusstsein zu rufen, 1 gegen 99. So, meine Herrschaften, siehts aus. Das war eine erste Intervention. Was jedoch viel entscheidender zu betonen ist, ist dass hier ein uraltes normatives Kategorienschema übernommen wird, dessen Legitimität längst nicht mehr unangetastet bleibt. In der globalisierten Finanzindustrie definiert sich ein Schuldner nicht mehr bloß in seiner einseitigen Beziehung zu seinem Geldverleiher. Was im üblichen Diskurs über die Finanzkrise systematisch ausgeblendet wird ist, dass Gläubiger längst nicht mehr nur die Verantwortung für sich selbst besitzen, sondern für ganze Volkswirtschaften. Das sollte eigentlich keine Neuigkeit sein, so scheint es aber.

Wenn man es also einzelnen Staaten nicht übel nehmen kann, dass sie sich verschulden, weil sie damit eine ganz allgemeine Hoffnung verfolgen, wie jeder andere Staat auch, so kehrt sich die Schluldfrage wieder um und zeigt in Richtung Gläubiger, welcher dadurch das Anrecht auf sein Geld verliert. Kein Gläubiger, ob nun privat oder staatlich, kann sich so leicht seiner Verantwortung entziehen, hat er doch mit der Vergabe von Krediten immer auch ein gewisses Eigeninteresse, dessen Verschweigen die Einseitigkeit der Debatte und eben das ideologisch gefährliche daran aufzeigt.

Doch sind die Interessen der Gläubiger letztlich unter anderem durch die altbackene Dichotomie zwischen Schuldner-Gläubiger geschützt, welche die Klärung der Schuldfrage überschnell besiegelt. Diese übermoralisierte Kategorie verschleiert völlig, dass sich letztlich der Gläubiger ebenfalls schuldig machen kann. Denn in einem internationalen Wettbewerb, in dem es darum geht seinen Platz zu schaffen und zu behaupten, ist die Nachfrage nach Anleihen nicht nur groß, sondern gefordert. Es fragt sich daher ganz konkret, wer in welcher Position mehr Schuld auf sich geladen hat - Schuldner oder Gläubiger. Selbst wenn diese Frage nicht klar zu beantworten ist, so wird doch ersichtlich, dass in der globalisierten Wettbewerbsgemeinschaft diese moralischen Kategorien nicht greifen. Es ist nicht so einfach, moralische Bedenken und die Frage nach der Rechtmäßigkeit, in einfachen Gesetzen zu formalisieren. D.h. allein durch die vertraglich-rechtliche Ordung eines Kreditvertrags ist nicht gerechtfertigt, dass dieser auch rechtmäßig ist. S

Soviel eigenständiges Denken sollten wir uns alle zutrauen!

Gerechtigkeit, als das rechtmäßige Verhältnis, so meinte zum Beispiel Aristoteles, muss im Wandel der Zeit immer wieder neu ausjustiert werden muss. Und so müssen wir im mindesten jetzt dazu bereit sein einen Diskurs anzustoßen, der neben einer Aufforderung zum selbstständigen Denken auch Fragen vorsieht wie; „was stellen wir uns unter rechtmäßig vor“ wieder ins Zentrum stellt.

Die machen´s richtig“, anstatt – „Die sollen mal lieber so lang arbeiten wie wir“

Das drastische Aufbegehren der Griechen sollte für uns als eine Chance verstanden werden, welche die Frage nach dem rechten Verhältnis neu aufstellt und nicht nur dies. Nimmt man die Belange der Griechen wirklich ernst – und hier dürfte schon ein Großteil ausscheiden – so wird die Dramatik der Lage offensichtlich. Es wäre ein Zeichen eines ungeheueren rationalen wie moralischen Überlegenheitsgefühls, wenn man die Nazivergleiche die immer wieder in den Protestzügen auf griechischen Straßen zu finden sind, als lediglich irrational abstempelt. Aber was machen wir uns vor, das paternalistische Gehabe des deutschen Schulmeistertums ist fester Bestandteil der hiesigen Leidkultur. Hier kann man sich Überheblichkeit mit guten Gründen leisten.

Aber im Allgemeinen verkennt man doch das hohe Maß an gefühlter Ungerechtigkeit, welches sich hinter diesen ebenfalls maßlosen Nazivergleichen verbirgt. Im gleichen Zuge verkennt man die ur-menschliche Ebene moralischen Empfindens und damit eine Rationalität die völlig inkompatibel ist, mit der ökonomischen Rationalität, mit dem Kalkül der Vergleichbarkeit und Verwertbarkeit. Moral und Politik, sowie Moral und Recht sind nunmal Ebenen die sich im gegenseitigen Austausch befeuern. Setzt man sie gleich, wird es dogmatisch-gefährlich. Damit ist gesagt dass Politik und Moral nicht miteinander zu vereinbaren sind. Was jedoch nicht gleich bedeutet, dass die eine die andere überlaufen darf. Es sind zwei von vielen Ebenen, die die Komplexität menschlichen Urteilens ausmachen. Das selbe gilt für die Politk und Ökonomie.

Und jetzt kommt die große Abrechnung: Mit der Alternativlosigkeit ökonomischer Rationalität, wie sie sich in den Meinungsäußerungen betreffend der griechischen Krise hierzulande ausdrücken, wird die Komplexität menschlichen Urteilens chronisch unterschätzt. Die menschliche Existenz wird damit zu einer fürchterlichen Eindimensionalität degradiert, die bei genauerem Hinsehen die Anstrengungen die dieses Leben erfordert, nicht wert sind. Nicht zuletzt zeigt sich darin ein hochgradiges Maß an Fremdbestimmung. Wir sollten also unsere Bedenken, aber vor allem auch die anderer ernster nehmen und damit unserem eigenen Denken höhere Kompetenz zuschreiben, als in den ökonomisierten Diskursen üblich.

In dem unhinterfragten Übernehmen der alten Kategorien von Schuldner und Gläubiger zeigt sich letztlich wie abstrakte Modelle und tradierte Vorstellungen von Rechtmäßigkeit die Herrschaft über unser Köpfe gewinnen. Und nun mal ganz ehrlich: Rente mit 67? Anstatt echauffiert rumzunörgeln, die Griechen sollten doch erstmal genauso lange arbeiten wie wir es tun, sollten wir uns erstmal fragen, ob es nicht wir sind, die zu lange arbeiten.

So einfach ist es natürlich nicht! Oder?... Doch! Ätsch-Bätsch!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Gérald Cordonnier

Identität? Schwindsüchtiger Gedanke! Was nicht ist das kann noch werden, und der Himmel auf Erden!

Gérald Cordonnier

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