Der Hamburger Unternehmer Ulrich Marseille versprüht Optimismus. Noch immer ist der 45-jährige Ex-Chef der gleichnamigen Kliniken-AG felsenfest davon überzeugt, dass die Partei Rechtsstaatlicher Offensive bei der am 21. April 2002 anstehenden Landtagswahl mit zweistelligem Ergebnis den Sprung ins Magdeburger Landesparlament schafft. Mehr noch. "Wir werden die nächste Regierung bilden", tönt er. Vollmundige Prophetie, die an das sprichwörtliche Pfeifen im Walde erinnert. Nach den personellen Querelen der vergangenen Wochen sind die Erfolgsaussichten der sogenannten "Schill-Partei" zunächst einmal erkennbar gestutzt.
Dabei hatte alles recht hoffnungsvoll begonnen. Zwischen Zeitz und Arendsee grassierte ein eigentümliches Gründerfieber. Mehr oder minder parteierfahrene Bürger mühten sich um Mitglieder und Ortsvereine. Schon bald fiel freilich auf, dass unter den Aktivisten viele waren, die zuvor einer anderen Partei die Treue hielten, dort aber - aus welchen Gründen auch immer - ohne Karriere blieben. Anders das Bild bei Interessenten und Lobbyisten aus der Wirtschaft. Vor allem auf die Mittelschicht scheint die Partei des Ronald Schill eine gewisse Anziehungskraft auszuüben. Nicht Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger füllen die Hinterzimmer der Lokale, sondern Gewerbetreibende, Kleinunternehmer und Handwerker.
Aus Hamburg gesteuert
Das Potenzial so genannter Protestwähler in Sachsen-Anhalt gilt als beachtlich. Im bundesweiten Vergleich bucht das Land seit Jahren bei der Wirtschafts- und Gewerbeentwicklung wie auch der Arbeitslosenquote stets hintere Plätze. Hinzu kommt - ähnlich wie in anderen ostdeutschen Regionen auch -, dass die Parteienbindung der Wähler nur schwach, die Bereitschaft zum Wechsel dafür umso stärker ausgeprägt ist.
Davon profitierte 1998 schon die rechtsextreme Deutsche Volksunion (DVU) des Münchner Verlegers Frey. Obwohl die Partei vor der Wahl kein Programm präsentieren konnte, das auf Sachsen-Anhalt zugeschnitten war, konnte sie auf Anhieb 12,9 Prozent für sich verbuchen. Der Wahlerfolg basierte einzig auf einer großspurigen Plakat-Aktion, die rund zwei Millionen Mark gekostet haben soll und mit fremdenfeindlichen, aggressiven Sprüchen wie "Lass´ dich nicht zur Sau machen!" um Akzeptanz warb.
Zumindest im strategischen Vorgehen sind Ähnlichkeiten zwischen DVU und Schill-Partei auszumachen. Ex-Mitglieder des Aufbaustabes der Partei Rechtsstaatlicher Offensive sind davon überzeugt, dass Schills Sachsen-Anhalt-Missionar Ulrich Marseille über die Aufstellung von Kandidaten nicht vor Ort entscheiden lassen will. So meint nicht nur Ex-CDU-Mann Norbert Hoiczyk, der nach einem Intermezzo als "Schillianer" inzwischen in Magdeburg eine eigene Rechtsstaatliche Bürger Partei (RBP) gegründet hat, dass Schill alles "zentralistisch aus Hamburg" steuert. Auch andere Ex-Kombattanten können sich des Eindruck nicht erwehren, dass der Aufbau von Parteistrukturen gezielt behindert wurde. Bundeswehroffizier Hoiczyk meint, viele Antragsteller hätten lediglich auf mündlichem Wege erfahren, dass ihre Aufnahme in die Partei erfolgt sei. Ein offizielles Dokument aber, um die Mitgliedschaft zu belegen, könne nicht einmal eine Handvoll Leute vorweisen, obwohl sich rund 350 Interessenten darum beworben hätten.
Zu ihnen gehört Klaus Bierende - im Gegensatz zu Hoiczyk ist er bei Marseille nicht in Ungnade gefallen und darf nun sogar im sachsen-anhaltinischen Koordinationskomitee der Schill-Partei mitarbeiten. Auftrag: Kommunalpolitik. Der Bürgermeister von Egeln, einer Kleinstadt mit 4.200 Seelen im Landkreis Aschersleben-Staßfurt, ist für seine deftig-derben Sprüche, seine aufbrausende Art und einen - vorsichtig ausgedrückt - Hang zur Übertreibung bekannt. Sein Spitzname bedarf keiner weiteren Erklärung: "Börde-Rambo". Vor einigen Tagen hat der ehemalige SPD-Mann, der zu DDR-Zeiten auch schon der SED angehört hat, über die Magdeburger Börde hinaus mit der Feststellung für Aufsehen gesorgt, dass die Kinder in seinem Heimatort hungern müssten, weil die Politik der Landesregierung so schlecht sei. Dass er weder an Schizophrenie leide, noch anderweitig psychisch krank sei, hat sich der Mittfünfziger schon einmal vorsorglich bescheinigen lassen.
Strohmänner von der DVU
Offiziell will die Schill-Partei mit früheren Mitgliedern extremer Parteien nichts zu tun haben. "Solche Leute haben bei uns überhaupt keine Chance", heißt es. Umso größer war das Erstaunen, als sich Mitte November herausstellte, dass ausgerechnet Marseilles Vorgänger auf dem Stuhl des Sachsen-Anhalt-Beauftragten früher Mitglied der DVU und bei den Republikanern war. Inzwischen ist der 29-jährige Torsten Uhrhammer, der sich "an diese Jugendsünden gar nicht mehr erinnert", aus der Partei ausgetreten. Insider behaupten, die bräunliche Vergangenheit Uhrhammers sei von Anfang an bekannt gewesen: "Das war die Gewähr dafür, dass er im passenden Moment von der Bildfläche verschwinden und für Marseille Platz machen konnte."
Ob das Engagement von Ulrich Marseille tatsächlich so gut für den Erfolg der Schill-Partei ist, wie der gebürtige Bremerhavener selbst meint, muss sich erst noch zeigen. Fest steht bislang nur, dass der Hamburger Unternehmer kein unbeschriebenes Blatt und alles andere als unumstritten ist. Vor allem in Halle erinnert sich noch so mancher an das Jahr 1996, als Marseille plötzlich seine Liebe zum DDR-Plattenbau entdeckte und in der Saalestadt kurzerhand für 75 Millionen Mark 2.700 Wohnungen erwarb. Nach der Sanierung allerdings verklagte er die Wohnungsgesellschaft, weil die ihm alles angeblich zu teuer verkauft und über die zu erwartenden Mieteinnahmen getäuscht hatte. Doch die 115-Millionen-Klage wurde abgeschmettert - Marseille ging leer aus.
Auch diesmal durchdringen sich politisches Engagement und Wirtschaftsinteressen - Marseille, dessen Kliniken-AG an acht anhaltinischen Standorten Seniorenheime betreibt, fordert vom Land eine Fördermittelnachzahlung von rund 100 Millionen. Sozialministerin Gerlinde Kuppe (SPD) stellt sich quer und argumentiert: Die 1.200 Plätze in den Marseille-Häusern seien vor dem Bau nicht in die Bedarfspläne der jeweiligen Landkreise aufgenommen worden, wodurch der Anspruch auf öffentliche Förderung entfalle.
Vor diesem Hintergrund sackt die 30-Prozent-Prophezeiung des Schill-Emissärs eher nach unten weg. Der Hallenser Parteienforscher Everhard Holtmann hält einen solchen Wert für "illusorisch" und verweist nicht zuletzt auf Unterschiede zwischen Hamburg und den ostdeutschen Flächenländern. Die exzentrische Ausrichtung Schills auf Innere Sicherheit werde dessen Chancen im Osten "erheblich schwächen".
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.