Passiv-aggressives Nicht-Liken im Internet

Satire Früher fürchteten die Menschen, dass sie durch das Fotografiertwerden ihre Seele verlieren. Heute haben Sie Angst davor, ihrer Seele durch Liken verlustig zu werden

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Nein.
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Bild: ROBYN BECK/AFP/Getty Images

In alten Zeiten fürchteten die Menschen, dass sie durch das Fotografiertwerden ihre Seele verlieren, heute haben sie Angst davor, ihrer Seele durch exzessives Liken im sozialen Internet verlustig zu werden, so das Ergebnis meiner Studie amerikanischer Forscher.

Besonders interessant, so die ausgedachten Forscher: Die Gruppe der Totalabraller und Welt-Gekränkten. Die Abraller wissen genau um den allmächtigen Facebook-Algorithmus und sie werden einen Teufel tun, ihn durch unbedachtes Liken zu füttern. Sie sind von einer sorgsamen Daten-Diät getrieben. Die ein oder zwei Inhaltspartikelchen pro Jahr, die sie im Internet posten, sind von einer schweren narzisstischen Welt-Kränkung getrieben: Eine empörende, fünfminütige Bahnverspätung oder ein unsauberes Hotelzimmer („Fünf Sterne? Niemals!!!!“) lösen diese beiden Gefühlsregungen aus. Danach verschränken die Gekränkten ihre Arme vorm Rechner, warten genau zwei Minuten vergeblich auf irgendeine Reaktion im Internet und fühlen sich sodann bestätigt: „Sieeeehste, bringt nichts!“.

Aus diesem Mischungsgebräu aus Wut, Empörung und Kränkung heraus beschließen sie, sich fortan am Internet zu rächen und fürderhin gar nichts mehr zu liken, bis zur Erlösung durch den dargereichten Kopf des Bahnchefs, eines Kotaus der gesamten Hotelführung oder bis dass die deutsche Bundesregierung endlich rechtliche Schritte ergreift. Diese Erlösung bleibt selbstredend aus und die Kränkung und das Nicht-Liken unabwendbar auf ewiglich bestehen.

Eine weitere Gruppe: Die Skeptiker, die Aufrechner und die Qualitätsbewussten. Die Skeptiker fragen sich, was das denn alles „bringen“ soll. Wieviel Prozent Jahresumsatzplus genau bringt ein Facebook-Like unter einem Wurstbrotfoto? Schwere Frage! Die Aufrechner haben ein Like-Verwaltungsprogramm installiert, mit dem sie nachweisen können, welche ihrer 386 Geburtstagsglückwünsche seit 2008 nicht erwidert wurden und also entwertet sind. Die Qualitätsbewussten sind schwer zu beglückende Mitmenschen. Sie haben keine Zeit, ihr Internet mit Kinkerlitzchen und Witzeleien zu füllen. Sie schätzen die „Haptik“ eines guten Buches, sind aber doch großzügig genug, sich das mit dem Internet auch anzuschauen, erschaudern aber ob der entsetzlich schlechten Qualität der Mittagessensfotos. Adäquatester Ausdruck für das Unbehagen am allgemeinen Niedergang ist und bleibt der Nicht-Like.

Als freundliche Unterform des Niedergangs-Nicht-Likes der Qualitätsbewussten lässt sich der sogenannte pädagogische Nicht-Like bezeichnen. Dieser soll ausdrücken: Schon gar nicht schlecht, Du bist auf dem richtigen Weg, aber Dein Inhalt ist leider noch nicht gut genug dafür, dass ich ihn mit einem Like nobilitiere. Aber trotzdem: Weiter so!

Diese drei skizzierten Untergruppierungen sind im Prinzip harmlos, nicht wirklich bösartig und auch nicht weiter wert en detail analysiert zu werden (Aufrechner). Es bringt ja eh nichts (Skeptiker), es geht sowieso alles den Bach runter (Niedergang), aber es gibt ja auch gute Ansätze (Pädagogik)!

Problematischer wird es da schon bei den passiv-aggressiven Nicht-Likern, der dritten großen Gruppe, so die forschenden Amerikaner. Im normalen Alltagsleben verhalten sich diese Nicht-Liker zumeist unauffällig, aber das ist nur eine Fassade, denn unter der Oberfläche brodeln Neid und Missgunst. Neid auf das Essen, die Sonnenschein-Kinder, das fröhliche Leben der anderen in ihren perfekten Urlaubshotels mit funktionierenden Verkehrsanschlüssen. Aber die Passivaggressiven haben eine wirkungsvolle Waffe in der Hand: Sie liken gar nichts und niemals, ums Verrecken nicht. Keine Sonnenuntergänge, keine Micky-Maus-Mortadellafotos. Damit, so meinen sie, zwingen sie den Inhaltsproduzenten in schwerste Selbstreflexionen, ja nachgerade in die finale Identitätskrise: Warum bloß gefallen meine Fotos nicht mehr, was habe ich nur falsch gemacht?

Wie damit umgehen? Die Forscher empfehlen, den passiven Nicht-Liker am besten ganz geräuschlos zu entfolgen und zu entfreunden, wenn das Nicht-Liken zu laut und zu aggressiv wird. So kann der Nicht-Liker Erlösung finden, wird nicht weiter von glücklichen Menschen oder Micky Mäusen oder Mittagessen oder mittagessenden Glücksmenschen geplagt und belästigt. Die Total-Abraller und Qualitätsbewussten sollten einfach ertragen werden, solange sie nicht unangenehm oder böse werden: „Sie haben ja sonst nichts“, so die Forscher. Den nicht-bösen Ängstlichen sollte geholfen werden. Die Forscher empfehlen, immer wieder aufs Neue mit dem Bus ins argumentative Neandertal aufzubrechen und die „Menschen“ da abzuholen, wo sie „stehen“ und ihnen zu zeigen, dass sie immer noch Seele haben. They’ve got soul, man!

Achtung: Mit einem beherzten Nicht-Like bestätigen Sie, dass Sie an unserem Forschungsprojekt „Passiv-aggressives Nicht-Liken im Internet“ als Proband teilnehmen. Herzlichen Dank.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Gerald Fricke

Webgesellschaft, Politikwissenschaft, Wirtschaftsinformatik, Fußball, Satire. Beiträge in taz, Titanic. Bücher bei Reclam, Eichborn, Hoffmann u. Campe

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