Das Gegessene isst zurück

ZUCHTRUTE GOTTES Zur Wiederkunft der Seuche

Fleischstau

Ob die Maul- und Klauenseuche außer Kontrolle oder unter Kontrolle ist, oder ob sie, falls noch nicht ausgebrochen, der permanenten Kontrolle unterliegt, als sei sie schon ausgebrochen, egal: flankiert von Militär, Polizei und Umweltbehörden ist MKS auf einem täglich propagierten Vormarsch, der suggeriert, dass BSE auf einem nicht mehr zur Debatte stehenden Rückmarsch sei. Europaweit wird die eine Seuche gegen die andere ausgespielt, und dies im Handumdrehen - in Deutschland zwischen Weihnachten und Ostern. Die auf den Menschen übertragbare Seuche BSE verschwand unter der Hand, nachdem der Ochs an der Krippe stand. Jetzt, wo die Zeit des Lamms gekommen ist, liegt die nicht auf den Menschen übertragbare Seuche MKS auf der Hand. Die Stationen dazwischen sind an fünf Fingern abzuzählen: der Fleischstau, der Ministerwechsel, die Umdefinition der Agrar- in Verbraucherschutzpolitik, die gefallenen Fleischpreise und die dafür verantwortlichen, vom Ekel befallenen Verbraucher.

Dieser Ekel verweist sowohl auf den Fleischstau als auch auf seine Voraussetzung - auf das "Daumen runter" für dieses Tier- als Menschenfleisch. Sein Todesurteil wird nicht erst seit Ende 2000 vollzogen. Denn der Rahmen seines Schlachtprogramms wird im Namen von BSE bereits Mitte 1996 abgesteckt. Seitdem wurde das Tiermehl, das, bezogen auf BSE einzig als Seuche gelten kann, weiter verfüttert. Fazit: BSE als Seuche - deren "Einzelfälle" um Weihnachten mit "unmöglich, aber doch, tatsächlich und gehäuft, ja, schlimmer als gedacht", aufgespürt werden - ist man made. Eben darum soll BSE nachträglich das Todesurteil legitimieren, an dem nicht zu rütteln ist. Steht aber etwas fest wie das Amen in der Kirche, dann ist sein Ausgangspunkt kein ökonomischer. Auch wenn die Fleischpreise wieder stiegen, je mehr die Rinder sich dezimierten. Schließlich waren sie angeblich wieder "restaurantgeeignet", kurz: unverseucht oder verseucht, je nach Bedarf.

Verbot

Dass dieser Verbraucherbedarf jedoch seitens der EU-Seuchenpolitik, so oder so, reguliert wird, hat mit jenem Ausgangspunkt zu tun, der, wie das Amen in der Kirche, nicht ökonomisch, sondern religiös verankert ist. Sein Indiz ist der Ekel. Er verweist darauf, dass jener Ausgangspunkt nichts anderes ist, als ein Verbot, was auf dem Markt beliebig zu nutzen ist. Entweder für die Abstinenz gegenüber dem verseuchtem Fleisch oder für den Zugriff auf das genießbare Fleisch. Dort taucht der Ekel auf, die Angst vor Unreinheit, hier wird die Sicherheit der Reinheit garantiert. Angst vor Unreinheit und Sicherheit der Reinheit, auf diese beiden durch das Verbot geschiedenen Gegensätze, deren Vermischung der Ekel anzeigt, ist seit biblischen Zeiten jedes Seuchenszenario gegründet, das unter Bezug auf ein Gewaltmonopol Katastrophenproduktion betreibt. Dabei putscht es die in ihm fixierten Gegensätze von Tier und Mensch, Frau und Mann, Krankheit und Gesundheit, Wahnsinn und Vernunft, oder andere, durch ihre Auflösung bis hin zur Seuchenangst. Geputscht wird von Oben, die Seuchenangst kommt von Unten, da jedes Seuchenszenario sich noch immer entsprechend der biblischen Formel von "Schwert und Hunger" organisiert, dessen Fleischverknappung jedoch nicht nur als Abschlachten, sondern auch als Züchtigung oder Disziplinierung funktioniert.

Denn bis in die Moderne gilt die Seuche als "Zuchtrute Gottes", die Gehorsam zwecks Besserung bei Strafe des Untergangs durch eigene Schuld erzwingt. Das Modell dieser Seuche ist die "Pest", die vom "Aussatz" nicht zu trennen ist. Basierend auf seinem Gegensatz von Rein und Unrein setzt das Modell der "Pest" eine Fleischverseuchung aller Körper voraus, die entweder krepieren, wie es dem "Aussatz" entspricht, oder aber nicht krepieren. Dies ist dann der Fall, wenn in der Quarantäne im Einzelfall eine Umkehr eintritt. Denn die Quarantäne ist das Zentrum des Krisen- und Transformationsmodells der "Pest". In ihr entscheidet sich, ob der Körper zu seiner eigenen Entseuchung imstande ist, dessen Fleischverseuchung immer beides einschließt, den physischen und moralischen Verfall. Seine Entseuchung hat das physische Übel in dem Maß zu bekämpfen, wie sie eine moralische Prävention impliziert, die zur Fleischverknappung durch Züchtigung führt oder, wie im Zuge der Moderne, zur Disziplinierung mittels Selbstunterwerfung.

Ansteckung

Sag mir, was du isst, und ich sage dir, was du bist. Ein dreckiges Schwein, ein verblödetes Schaf, ein idiotisches Rindvieh. Du zeugst wie jedes Tier, dessen Fleisch dich erzeugt. Die Seuche des menschlichen Körpers, der ein tierischer ist, bedarf keines "Erregers", da er sich selbst erregt. Lüstern in seiner Lust, verfällt er dem Fleisch, das, seit Eva die Frucht vom Baum der Erkenntnis brach, dem Verbot unterliegt, in dem jedes Seuchenszenario verankert ist. Der Kontakt mit dieser Frucht ist Kontagion, Ansteckung. Sie wird analog dem, dass Eva ihr Fleisch Adam reicht, durch die Geburt weitergegeben, die dem "Aussatz" im Modell der "Pest" angehört. Mit seiner Unreinheit identisch ist die Geburt am Menschlichen das Tierische. Sie präsentiert sowohl das vom Fleisch gekommene Fleisch, was ausgeschieden wird, als auch das genommene Fleisch, was einverleibt wird, ohne dass das eine vom anderen zu scheiden wäre. Das Geborene und Ausgeschiedene, oder das Einverleibte und Verdaute: Beides erscheint als Exkrement.

Ihm entsprechen die menschlichen "Essensreste", die, an Schweine in England verfüttert, vorübergehend als tierischer "Seuchenherd" der MKS auftauchten. Über ihre Unreinheit wurde sofort und europaweit das Verbot ausgerufen, als ob sie ein Rückfall im Fortschritt des Menschen gewesen wären, für den mit Hegel gilt: "Der Tod des Tiers ist das Werden des menschlichen Bewusstseins." Also ist das Tier umgekehrt das menschliche Unbewusste. Sein tierischer Anteil wird auf das Tier projiziert, indem ihm das aufgehalst wird, was der Mensch an sich selbst horrifiziert. Gleichzeitig übernimmt das Tier den Anteil des Menschen, es "transzendiert" sich, so Hegel. Doch dabei wird das Tier "von seinem Ort verrückt" - und es wird verrückt. Im Fall von BSE trifft Beides zu: Es wird nicht nur "von seinem Ort verrückt", indem es vom Pflanzen- zum Tierfresser gemacht wird, sondern es wird auch verrückt, indem es sich selbst, seine zu Tiermehl zermahlenen, verseuchten Kadaver zu verschlingen hat. Das Tier wird in dem Maß vom Menschen zum Kannibalen gemacht, wie er selbst vom Fleisch besessen ist. Aber "das Gegegessene isst zurück". Der Rinderwahnsinn ist mit allen seinen Symptomen der "Vertierung" auf den Menschen übertragbar.

Virenvarianten

In dieser Übertragung eröffnet sich heute ein "Creutzfeld", aus dem kein Pilgerweg des heiligen Jakob mehr herausführt. Denn in diesem Feld sind die Artenschranken auf der Ebene des Genetischen aufgelöst: eine Orientierung an Gegensätzen, wie sie das Seuchenszenario seit biblischen Zeiten fixiert, ist nicht mehr möglich. BSE und Creutzfeld-Jakob-Krankheit (CJK) sind zwar die Effekte eines Proteins, aber sie verweisen auf die Übertragbarkeit von Genen aller Organismen auf alle unter der Bedingung, dass diese Gene ebenfalls aus ihrem Ort - dem ihres jeweiligen Genoms - verrückt sind, weshalb auch sie "verrückt spielen" werden. Umgekehrt, steht dieser Algenie, welche die Erscheinung der Lebewesen ausgehend von ihrem Genom "um-schreiben" wird, glaubt man dem Nobelpreisträger Joshua Lederberg, ein Abschlachten der Erscheinung dieser Lebewesen gegenüber: im Fall von BSE und MKS ein Abschlachten von Rindern, Schweinen und Schafen.

Allerdings scheint das dafür organisierte Seuchenszenario, das noch immer wie in biblischen Zeiten mit "Schwert und Hunger", respektive mit Fleischverknappung operiert, der man made-Katastrophe nicht gewachsen, da weder die Prionen von BSE und CJK in den Hirnen von Rindern und Menschen aufzulösen sind, noch der "extrem aggressive Virus" von MKS. Noch während er im Rauch von Scheiterhaufen durch die Lüfte zieht oder samt dem Blut der Massengräber ins Grundwasser sickert, wird er schon durch eine neue, beschleunigte Variante von CJK überrundet, die in Bälde etwa hunderttausend menschliche Tote verspricht. Derweil werden gegen MKS "konventionelle Maßnahmen" wie weiträumige Absperrungen mit im Winde flatternden, rotweißen Bändern getroffen. Auch "klassische Vorsorge" wird, bezogen auf Grenzen, Transport und Verkehr betrieben, aber insgesamt scheint das Seuchenszenario entweder die Staffage seiner eigenen Ohnmacht zu sein oder aber die eines Gewaltmonopols, das aus der Diskursgeschichte der Seuche zitiert, an die es längst nicht mehr glaubt.

Großreinemachen

Das eine schließt das andere nicht aus: Denn nur dann, wenn dieses Gewaltmonopol sich in der Position der Ohnmacht darstellt, für die Deutschland Politikerinnen und die Umdefinition der Agrar- in Verbraucherschutzpolitik aufbietet, nur dann wird ihm geglaubt. Vom Krisen- und Transformationsmodell der "Pest" ist innerhalb dieses klassisch-konventionellen Szenarios jedoch nichts übrig geblieben, das im Augenblick dazu übergeht, auch das Impfen als Eskalation der Seuche hochzuspielen, wobei die Antibiotika-Resistenz der Tiere unerwähnt bleibt. Und doch steht eine epochale Krise an. Und doch ist eine globale Transformation im Gang. Aber das Modell der "Pest", das im Zentrum der Quarantäne die Selbstunterwerfung und -bekämpfung mittels Disziplinierung und Prävention initiierte, indem es die jeweils neueste Entseuchung der Körper durchsetzte: dieses Modell ist nicht mehr gefragt.

In dem Maß aber, wie die Dynamik von Krise und Transformation in diesem Modell nicht abgerufen wird, in dem Maß bricht aus ihm der "Aussatz" aufs Neue hervor, auf dem es basiert. Der "Aussatz" aber kennt nur verfemte Opfer, an deren Todesurteil nicht zu rütteln ist: Es wird vollzogen. Von hier aus ist heute ein Großreinemachen angesagt, ein Frühjahrsputz. Das "Sterbenlassen" von Tieren steht dem "Lebenmachen" von Embryonen wie Schmutz und Sauberkeit gegenüber. Meldungen zum "vorsorglichen Töten" oder "Entlastungsschlachten" bei MKS koinzidieren mit denen, die auf ein "schnellstmögliches, reproduktives Klonen" von Menschen drängen, denn "wenn wir´s nicht tun, tun`s andere". Tempo beim Frühjahrsputz, der nicht nur mit einer Unsumme Menschenfleisch in der Gestalt von Tierkörpern aufräumt, sondern mit einer ganzen, seit biblischen Zeiten währenden Epoche der Seuchenbekämpfung und -prävention, die sich in der Moderne mittels des Modells der "Pest" effektivierte, das heute zu keiner Transformation der Krise mehr imstande ist.

Gleichzeitig formiert sich inmitten dieser Krise die Werte-, Währungs- und Wirtschaftsunion der EU als Schlachtunion im globalen und epochalen Maßstab. Reinheit und Sicherheit auf der Basis von "Klasse statt Masse" garantierend, haut sie in die organische Masse des Tier- als Menschenfleischs zwecks Durchsetzung seiner genetischen Klasse, da nichts anderes, als dieses Tier- als Menschenfleisch, die auf dem Vormarsch sich befindende Seuche ist. Den in seine Nachhut verwiesenen und im Wahnsinn torkelnden Rindern lahmen inzwischen fiebrig delirierende Schweine und Schafe, an Maul und Klauen entzündet, voran. Aber die EU ist gerüstet. Was nicht erstochen, gekeult oder erschossen in die ihm gegrabenen Gruben fällt, das verschmaucht auf nassen Scheiterhaufen, oder es wird in Tierkörperbeseitigungsanlagen, deren Verbrennungskapazität einzig in Deutschland europaweit ausreichend ist, zu dem zermahlen, wovon nicht mehr die Rede ist: Es wird zu Tiermehl, zu Staub, der vom Staube gekommen ist. Ist aber der Tod des Tiers das Werden des menschlichen Bewusstseins, dann wird dieser verseuchte Staub auferstehen. Frohe Ostern!

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