Und sie gefiel sich in der Rolle der Vorkämpferin und der historischen Person ..." (taz 12. 1. 2000): nicht Jeanne d'Arc aus Donrémy ist gemeint, das Sujet des eben angelaufenen Films von Luc Besson zur geharnischten "Jungfrau von Orléans", sondern Tanja Kreil aus Hannover. Auch sie wollte eine rüstige Soldatin sein, die nicht nur verarztet und Märsche bläst. Doch ihr Griff nach der Waffe stieß auf ein "Berufsverbot", das Jeanne d'Arc nicht in die Quere kam. Hinkt das Informationszeitalter hinter dem Mittelalter her? Tanja Kreil rief den Europäischen Gerichtshof (EuGH) an. Als Sujet seines eben ergangenen Urteils gleicht sie nun fast selbst der "Jungfrau von Orléans". Denn dieses Urteil verheißt allen Frauen der Bundesrepublik die Zulassung zum Waffendienst. Also, der rechte Film zur rechten Zeit? Jeanne d'Arc als kriegerische Vorkämpferin dieses Urteils, das Tanja Kreil als friedliches "Zugpferd" eines mit ihr streitenden Bundeswehrverbands erfocht? Schrieb Tanja in der Nachhut von Jeanne, die als "Jungfrau von Orléans" Geschichte machte, "Rechtsgeschichte"?
Soweit Mittelalter und Informationszeitalter unvergleichbar sind, steht ein Vergleich von Jeanne und Tanja infrage. Tanja wollte einen Job als Bürgerin in Uniform, kein Himmelfahrtskommando als Auserwählte, wie Jeanne, die sich dem Rat von Beichtvätern in Luc Besson's Film unterwirft. Tanja "dreht keinen Film". Sie pocht auf Chancengleichheit und Qualifikation. Jene erübrigt die Absolution, diese bedarf keiner Mission: "Politik finde ich tierisch langweilig, für Geschichte interessiere ich mich nicht" (ebd.). Die "Jungfrau von Orléans", die im Film ihr Banner für einen gottgesalbten König schwingt, hätte Tanja zum Gähnen gebracht. Doch über das fehlende Salböl hätte sie gelacht. Und dadurch aufgewacht, wäre sie der Kamera bei ihrer Inspektion von Kriegsmaschinen und Wehrvorrichtungen gefolgt, ebenso den Schwärmen entflammter Pfeile, die in ihrer "Lichtgeschwindigkeit", so hätte sie gedacht, fast die Anlagenelektronik vorwegzunehmen scheinen.
Ansonsten geht es bei Luc Besson langsam zu, wenn Jeanne im Film Geschichte macht, indem sie Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts den englischen Besatzern Frankreichs, inmitten eines Vasallen- und Söldnerheers, die Feste Orléans als Vorbedingung dafür abtrotzt, daß der französische Dauphin, Charles Valois, als Karl der Siebte in Reims gekrönt werden kann, eine Restauration der Monarchie, die ihr nur einerseits den Ruf der "Jungfrau" einbringt.
Luc Besson setzt die politische und klerikale Intrige als Klamotte in Szene, schwacher Herrscher, starke Schwiegermutter, korrupte Höflinge, fetter Klerus, Freund und Feind, die in ihrem Poker zu verwechseln sind. Doch diese "geschichtlose" Staffage der Macht hat der Film nicht im Visier. Denn seine "gotischen" Lettern historischer Unterrichtung lassen keinen Zweifel, dass er das Buch der Geschichte aufschlägt. Seine Lesart führt durch die Schrift "erlernte" Bilder vor, die zugleich gegenwärtig und vergangen sind. Ihre realistische Narration wird, mit irrealen Visionen verschaltet, im Modell der "buchstabengetreuen" Biographie von Jeanne ausgestellt. Als vormoderne Soldatin ist sie zwar mit Tanja, der postmodernen Soldatin in spe, nicht vergleichbar, doch beide sind durch jene "erlernten" Bilder produziert, die auf der Ebene des Films eine Gleichzeitigkeit in der Ungleichzeitigkeit herstellen. Hätte also Tanja bei dem von Jeanne geschwungenen Banner gegähnt, läge dies daran, dass es nicht die Flagge der Bundesrepublik ist.
Doch wird Jeanne nicht nur als Waffendienst leistende "Jungfrau" ins Bild gesetzt. Denn ihr Kehrbild, die irreale Vision der "Hexe", stört die realistische Narration. Warum? Weil die als "Ikone der Frauenbewegung" gefeierte, "Feminismus und Emanzipation (jedoch) für dummes Zeug" (ebd.) haltende Tanja das Weiblichkeits-Konzept vergessen hat, das diese Narration vorschreibt? Auch Jeanne wird im Bild der "Jungfrau" gefeiert, bevor sie als "Hexe" verfeuert wird. Denn der "Hexe" wird das Geschlecht zugeschlagen, das an der "Jungfrau" gestrichen ist. Diesen Strich hat Luc Besson als Schnitt im Visier, da er das Weiblichkeits-Konzept, das ins Buch der Geschichte eingeschrieben ist, angefangen mit der Bibel, in "Männin" und "Erbsünde", "Jungfrau" und "Hexe" zerschneidet. Sein Film reizt diesen Schnitt bis zur Doppelfigur von Jeanne aus, die zunehmend mit sich selbst in Widerspruch gerät. Klar doch, würde Tanja sagen, wenn sie für Gott und König, statt für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte kämpft.
Das erste Bild des Films zeigt diesen Schnitt als Beichtgitter, das Jeanne und Priester, Tochter und "Vater" trennt. Jeanne stahl die Schuhe ihres Vaters, für einen humanitären Zweck. Aber da der "Vater" hinter dem Gitter den ihrigen ersetzt, wird dieses Gitter zum Bild des Verbots, das Jeanne im "Namen des Vaters" vorausgesetzt ist. Für Tanja scheint dieses Verbot gefallen, da dieses Gitter auch ein "Berufsverbot" ist. Es trennt Laien und Klerus, ebenso wie Frauen und Männer, als ob die Kirche eine Kaserne wäre. Für Jeanne besteht dieses Verbot, das sie durch die gestohlenen Schuhe übertritt. Dabei erscheint ihre Schuld und also das Bild der "Hexe", die sie im Bild der "Jungfrau" notwendig abzubüßen hat. Ihre Entwendung und humanitäre Verwendung der Schuhe, wendet diese Not nicht. Sie war böse, um gut zu sein, das Verbot bleibt ihrer Übertretung vorausgesetzt. Sie bittet deshalb um Vergebung für das, was ihr im "Namen des Vaters" nicht gegeben wird, und seien es nur die Schuhe. Indem Jeanne sich etwas nimmt, was ihr genommen bleibt, tritt sie in das biographische Modell ihres Lebenslaufs ein, der damit beginnt, dass sie "es" nicht hat. Was? Das symbolische Geschlecht des "Vaters", das, abgesehen von Schuhen, Gittern und so fort, in erster Linie eine Waffe ist.
Sie führt den Hieb, der das weibliche Geschlecht zerschneidet, das im Buch der Geschichte entweder Gehilfin ist oder Tod: "Zivilisierte Frauen sind Tote, oder Männer" (Lyotard). Sie stehlen sich das verbotene Leben, das ihnen als Soldatin vor allem verboten bleibt, was durch keine Aufhebung eines "Berufsverbots" aufzuheben ist. "Quatsch", würde Tanja sagen: "Wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe, dann will ich das erreichen" (ebd.). Erreichen wird sie es, aber um den Preis des Todes, der in diesem Weiblichkeits-Konzept das Leben ist. Seine Marschroute geben die entwendeten Schuhe des Vaters vor, in deren "Fußstapfen" Jeanne tritt, und Tanja treten wird. Jeanne kämpft für einen "Vater", der als "Vater aller Dinge", Krieg im "Namen Gottes" ist. Tanja, die das bombige Ostern der NATO vor einem Jahr vergessen hat, das seit tausend Jahren vergangen ist, Tanja kämpft für nichts. Sie ist eine "Kämpfernatur" (ebd.), die überleben will. Wer ist also näher dran an der Euro-Wahrheit, die Gotteskriegerin oder die Bürgerin in Uniform? Jeanne verhilft einem Blödmann von Dauphin auf den Thron, Tanja "rennt gegen eine der letzten Bastionen der Männerwelt an" (ebd.), was der EuGH befürwortet, da die "Männerwelt" ihre "letzten Bastionen" immer den Letzten, dem Fußvolk der Frauen überlässt.
Dort wird auf den Thron geholfen, hier gestürzt? Läuft der Schnitt im Weiblichkeits-Konzept stets auf dasselbe, auf die Frau als "Jungfrau" und "Hexe", Gehilfin und Tod hinaus, der wieder zur Hilfe wird? Doch die Tötung, die "zivilisierte Frauen" als "Tote oder Männer" codiert, wie funktioniert sie? Im Schnitt dadurch, dass die Frau am Leben bleibt, obwohl ihr das Leben genommen ist. Sie holt sich das Verbotene verstohlen zurück. Tanja aber verfuhr unverhohlen, als ihre Bewerbung bei der Bundeswehr auf eine Ablehnung stieß, auf ein "Berufsverbot", in dem das Verbot, wie es sich im Bild des Beichtgitters zeigte, jedoch enthalten ist. Es steht zwischen "Vater" und Tochter, die, hier von ihm abgeschnitten, dort auf ihn verwiesen ist, als Diebin zurückgewiesen, als Gehilfin okkupiert. Doch auch die Gehilfin war Tanja nicht vergönnt, denn: "Sie (die Frauen) dürfen auf keinen Fall Dienst an der Waffe leisten" (GG, Art. 12a). Zurückgewiesen, abgelehnt, fühlte sich Tanja als "Mensch zweiter Klasse" (ebd.). Reduziert auf ein Geschlecht, das in der Beichte zu gestehen ist. Die Beichte erteilt jedoch Absolution zugunsten der "Jungfrau", das Grundgesetz nicht, trotz einer ausgewiesenen Qualifikation.
Warum Frauen auf "keinen Fall" Dienst an der Waffe leisten dürfen, diese Frage stellt sich auch Luc Besson. Oder umgekehrt, wie eskaliert die ihnen vorausgesetzte Ablehnung, Zurückweisung, Vernichtung? Die Antwort wird anhand einer Vergewaltigung ins Bild gesetzt, die an der Schwester von Jeanne durchgeführt wird. Abgelehnt wird sie als Soldatin, da der entsprechende Mann, angesichts ihrer Gegenwehr mit einem Schwert, "nicht kann". Zurückgewiesen wird sie dadurch, dass er ihr dieses Schwert entreißt und gegen sie kehrt. Vernichtet wird sie, indem sie mit diesem Schwert an eine Tür gespießt wird, die auf das Bild des Beichtgitters verweist. Erst jetzt folgt die Vergewaltigung. Jetzt "kann" er, was auch für seinen Trupp gilt. Denn jetzt ist diese Schwester eine "zivilisierte Frau", eine "Tote", die währenddessen stirbt.
Doch auch für "zivilisierte Frauen", die "Männer" sind, gilt der Grundgesetzartikel (12a): Frauen dürfen auf "keinen Fall" zur Waffe greifen. Das abolute Tötungsrecht des Mannes steht dem absoluten Tötungsverbot der Frau gegenüber. Wenn aber Frauen auf "keinen Fall" zur Waffe greifen dürfen, dann ist in diesem Artikel das absolute Tötungsrecht des Mannes mit dem Gesetz identisch unter der Voraussetzung, dass jeder Frau "in jedem Fall" die Waffe aus der Hand zu reißen ist. Das absolute Tötungsrecht des Mannes basiert, ob per Gesetz oder als Kriegsverbrechen, auf dem Tötungsverbot der Frau, aber es basiert nicht auf dem Verbot ihrer Tötung. Luc Besson wirft deshalb die Frage auf, warum die Frau den Mann nicht tötet? Jeanne stiehlt nach der Vergewaltigung ihrer Schwester, mit der sie sich bis zur Todesstarre identifiziert, einen Abendmahlskelch: sie trinkt das Blut des Herrn. Ihr "blutiger" Mund füllt das Bild. Und doch hätte sie noch einmal die Schuhe des "Vaters" stehlen können. Denn es bleibt dabei, daß sie zwar etwas entwendet und verwendet, dass sie es aber nicht wenden kann.
Dass durch diesen "Dienst" das über die Tochter verhängte Verbot des "Vaters" nicht aufgehoben wird, ist klar. Dasselbe gilt auch für den Dienst an "seiner" Waffe. Er verschärft den Schnitt zwischen "Jungfrau" und "Hexe". Wenn Frauen "aufgrund ihres Geschlechts" von Kampfeinsätzen ausgeschlossen bleiben, heißt dies einerseits, dass das absolute Tötungsrecht des Mannes aufrechterhalten wird, anderseits, dass Frauen unter Tötungsverbot den "Dienst an der Waffe" weiter als "Mensch zweiter Klasse" betreiben. Sie gleichen dem Mann, indem sie ihm ungleich sind. Als "verstümmeltes Männchen" werden sie "gleichbehandelt". Wenn Jeanne sich mit einer Schere die Haare zerschneidet, um dem Mann zu gleichen, tritt ein solcher auf (Intimus des Dauphin und ihr Bewacher), um sie gleichzubehandeln. Er behandelt sie gleich, wie sie sich selbst behandelte. Dabei nimmt er ihr gleich, sofort, die Schere aus der Hand: "Das muß man richtig machen". Sie soll ihm gleichen, aber indem sie durch ihn bezeichnet wird.
Am Ende sitzt die gefangene Jeanne auf einer Pritsche. Weder trägt sie Frauenkleider, wie in Donrémy, noch Männerkleider, wie in der Schlacht. Sie trägt das, was ins Bild geworfen wird, in dem sie fehlt. Wieder ins Bild gesetzt, wird sie als "Verschnittener" vorgeführt: Oben trägt sie ein Prinzen- oder Nuttenjäckchen, unten nichts. Sitzend, ist ihr Geschlecht "unten" davon abgeschnitten, wie es "oben" durch das Jäckchen bezeichnet wird, das weder männlich noch weiblich ist. Geschlechtslos, wie eine "Jungfrau", die sich aus "Junge" und Frau zusammensetzt, ist sie "verschnitten". Sie ist ein "Männchen", das dem Mann gleicht, bis auf den "kleinen Unterschied", dass ihm fehlt, was er hat: ein Geschlecht als Waffe.
Zu ihr gibt es jedoch ein Gegenstück: ein Schwert, das Jeanne nicht gestohlen hat, sondern das sie, aufgewacht, gefunden hatte, weil sie über dasselbe, "ohne es zu wissen", gefallen und eingeschlafen war. Im Gegensatz zum Jäckchen, das ins Bild geworfen wird, in dem sie fehlt, hat sie dieses Schwert im Bild gefunden, in das es nicht gehörte. Dieses Schwert hat sie als Zeichen ihrer Berufung interpretiert. Doch vom "Vater" wird sie über die möglichen Arten ihrer Täuschung beim Fund dieses Schwerts aufgeklärt. Schon vor ihrer tödlich endenden Berufung ist sie "über die Klinge" gesprungen. Neunzehnjährig geht Jeanne d'Arc historisch und filmisch in Flammen auf, in denen sie selbst die Botschaft ist: eine verkohlte Silhouette, die vom Vater "verkohlt" worden ist. Luc Besson's Film ist auch ein Requiem auf die Frau des Jahrtausends, Jeanne d'Arc, deren Nichtexistenz ins Bild gesetzt wird, in dem Tanja nächstens zur Waffe greift.
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