Im Westen kaum beachtet, hat die russische Regierung Ende März eine symbolträchtige Entscheidung getroffen. Sie benannte die Universität der Völkerfreundschaft im Südwesten Moskaus wieder in Patrice-Lumumba-Universität um. Diesen Namen zu Ehren des ersten Premiers einer unabhängigen Republik Kongo hatte die sowjetische Führung der Hochschule im Februar 1961 gegeben. Einen Monat zuvor war Lumumba von Putschisten ermordet worden. Belgische und amerikanische Geheimdienste hatten gezielt auf seinen Sturz hingearbeitet. US-Präsident Dwight D. Eisenhower meinte im August 1960 im Kreis von Sicherheitsberatern, man müsse Lumumba „loswerden“. So subventionierten die Amerikaner mit der „Operation Wizard“ den späteren Dikt
iktator Mobutu Sese Seko, der Lumumba stürzte. Es waren mutmaßlich seine Söldner, die den gefangenen Lumumba töteten und den Leichnam zerstückelten. Im kollektiven Gedächtnis des Kontinents ist das Schicksal Lumumbas nach wie vor präsent.Auch aus diesem Grund ist die Rückbenennung der Universität, die seit jeher Studenten aus Afrika, Asien und Lateinamerika ausbildet, auf ein weithin positives Echo gestoßen. Die Hochschule erhielt 2010 eine Goldmedaille der UNESCO wegen ihrer Leistungen für Entwicklungsländer. Dass sie jetzt wieder den ursprünglichen Namen trägt, ist Teil einer politischen Offensive Russlands, um in Afrika an Sympathie zu gewinnen. Am 19./20. März gab es in Moskau eine russisch-afrikanische Konferenz für Parlamentarier, zu der 40 Delegationen aus afrikanischen Staaten anreisten.Die Themen reichten von Wirtschaftskooperation bis hin zur Sicherheitspolitik. Zu den Teilnehmern zählten Südafrikas Parlamentspräsidentin Nosiviwe Mapisa-Nqakula und Malick Diaw, Präsident des Übergangsrates von Mali. Der Oberst ist Mitglied des dort seit Mai 2021 regierenden Militärrates. Er wandte sich in seiner Rede gegen eine „fortgesetzte Dominanz früherer Kolonialmächte“. Es sei kein Geheimnis, „dass die Unabhängigkeit, welche sie uns eingeräumt haben, nur eine andere Form von Unterdrückung ist“. Dazu sprach auch der aus dem westafrikanischen Benin stammende und bei afrikanischen Intellektuellen populäre Frankreich-Kritiker und Panafrikanist Kémi Séba.Wladimir Putin gibt sich in Afrika progressivAuf der Tagung fielen immer wieder Begriffe wie „Neokolonialismus“ und „Imperialismus“, um die Afrika-Politik des Westens zu beschreiben. Mehrfach zitiert wurde Kwame Nkrumah, Ghanas erster Präsident nach der Unabhängigkeit von 1957. Der hatte 1965 ein Buch mit dem Titel „Der Neokolonialismus: Das letzte Stadium des Imperialismus“ veröffentlicht. Das Werk des Nichtmarxisten Nkrumah war inspiriert von Lenins Schrift Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus aus dem Jahr 1916.Experten für internationale Politik in Moskau haben der russischen Staatsführung in jüngster Zeit detailliert vorgetragen, dass sich die Stimmung von Millionen Afrikanern zusehends gegen den Westen wende. Dies zeige sich auch in der neutralen Haltung afrikanischer Länder gegenüber dem Ukraine-Krieg. Als die UN-Generalversammlung im März mehrheitlich das russische Vorgehen verurteilte, enthielten sich 17 afrikanische Staaten der Stimme, darunter Südafrika, Namibia, Angola, Mosambik, Kongo und Madagaskar. Andere Länder wie Äthiopien, Kamerun, Burkina Faso und Togo nahmen an der Abstimmung gar nicht erst teil.Die demonstrative Distanz gegenüber westlicher Politik ließ es Wladimir Putin ratsam erscheinen, am 20. März vor den angereisten Parlamentariern aus Afrika zu sprechen. Dabei legte Russlands Präsident, der sich sonst gern als konservativ präsentiert, ein progressives Rouge auf. Er erinnerte daran, dass die Sowjetunion dem „heldenhaften Kampf der Völker Afrikas“ eine „bedeutende Unterstützung“ erwiesen habe „im Kampf gegen Kolonialismus, Rassismus und Apartheid“. Jetzt, so Putin, sollte Afrika zu einem „der Führer in einer sich formierenden neuen Weltordnung werden“. Gegenwärtig studierten in Russland etwa 27.000 Afrikaner, und die wirtschaftliche Kooperation mit afrikanischen Ländern werde entscheidend von den Energiekonzernen Rosneft und Gazprom Neft getragen, dem Bau von Kernkraftwerken und dem russischen Internetkonzern Yandex, der auf afrikanische Märkte dränge. Putin warb für eine geplante noch größere Begegnung von Afrikanern und Russen.Eine blühende Beziehung zwischen China, Russland und SüdafrikaInsofern diente das Parlamentarier-Treffen als Auftakt für einen zweiten Russland-Afrika-Gipfel, der Ende Juli in St. Petersburg stattfinden soll. Das erste Treffen dieser Art hatte es 2019 mit mehr als 6.000 Teilnehmern in Sotschi gegeben. Russland setze darauf, sich in St. Petersburg als Förderer aller afrikanischen Staaten zu empfehlen, so Putin. Die Chancen dafür stehen auch deshalb gut, weil besonders Südafrika für dieses Treffen wirbt.Wie weit das wirtschaftlich entwickelteste Land Afrikas bereit ist, Moskau entgegenzukommen, zeigte sich im Februar. Da veranstaltete die südafrikanische Marine ein Flottenmanöver mit Russland und China. Einen Monat zuvor hatte man in Pretoria Außenminister Sergej Lawrow empfangen. Südafrikas Armeeführung verkündete während der Seeübung, man wolle „die blühende Beziehung zwischen Südafrika, Russland und China stärken“. Auch in diesem Fall könnte sich die Regierung von Präsident Cyril Ramaphosa einer solidarischen Sowjetunion erinnert haben, die dem Afrikanischen Nationalkongress (ANC) in der Zeit des Apartheid-Regimes beistand.Verteidigungsministerin Thandi Modise sieht Russland denn auch ganz anders als im Westen üblich. Als junges Mädchen wurde sie von südafrikanischen Polizisten angeschossen und schloss sich daraufhin der ANC-Untergrundarmee an – dem „Speer der Nation“. Dessen Kämpferinnen und Kämpfer wurden teilweise in der Sowjetunion ausgebildet. Die dort trainierten Militärkader des ANC spielten eine Schlüsselrolle im Kampf gegen die Apartheid und danach.Thandi Modise, die zu Zeiten der Apartheid neun Jahre im Gefängnis saß, nahm im August 2022 an einer „Moskauer Begegnung“ zu Sicherheitsfragen teil. Dort machte sie zwei Momente geltend, die den afrikanischen Blick auf Moskau nachhaltig prägen würden: Russland sei „niemals Kolonialmacht in Afrika“ gewesen und habe „niemals Afrikaner versklavt“.