Härte und Kompromisslosigkeit sind es vor allem, die der kahlköpfige russische General Sergej Surowikin ausstrahlt. Wladimir Putin hat ihn am 8. Oktober zum neuen Oberkommandierenden der in der Ukraine eingesetzten russischen Verbände befördert. Zugleich ist dieser hohe Militär Chef der Luft- und Weltraumstreitkräfte des Landes.
Surowikins Leben ist seit rund vier Jahrzehnten von der Armee geprägt. Seit 1983 diente der 1966 in Nowosibirsk Geborene in den sowjetischen Streitkräften. Als jungen Soldaten verschlug es ihn in den 1980er Jahren nach Afghanistan, wo die Armee bis Anfang 1989 als Besatzungsmacht stand. Danach sicherte er während des tadschikischen Bürgerkrieges in den 1990er Jahren die Grenze zwischen Tadschikistan und Afghanistan.
hanistan. Dort befehdeten Islamisten nach dem Ende der Sowjetunion eine mit Russland verbündete Regierung in Duschanbe. Im Jahr 1995 dann absolvierte Surowikin die Militärakademie Frunse mit Auszeichnung. Seine Überzeugung, politische Schwäche des Staates müsse mit militärischer Konsequenz kompensiert werden, hatte ihn im Sommer 1991 in die Bredouille gebracht. Als seinerzeit zwischen dem 19. und 21. August ein Notstandskomitee die Macht in der Sowjetunion übernehmen wollte, gab Surowikin in Moskau als Kompaniechef eines motorisierten Schützenbataillons den Befehl, Demonstranten von der Straße zu drängen. Dabei kamen drei Menschen ums Leben. Bei Zusammenstößen wurden sechs Soldaten durch Molotowcocktails verletzt.Nach dem Scheitern des Putsches saß Surowikin sieben Monate in Untersuchungshaft. Präsident Boris Jelzin ließ ihn frei: Der Offizier habe nur Befehle befolgt. Als Vertreter einer harten Linie zeigte sich Surowikin auch im zweiten Tschetschenien-Krieg ab 1999. In der kaukasischen Teilrepublik konnte er Erfahrungen aus der Bekämpfung von Aufständischen in Zentralasien einbringen. Er kommandierte 2004/05 die 42. Garde-Motorschützendivision, stationiert in Chankala nahe der Landeshauptstadt Grosny. Zwar konnte die russische Armee in den tschetschenischen Städten die Oberhand gewinnen, doch waren in den Bergen weiter bewaffnete Separatisten und Islamisten aktiv. Sie überfielen russische Armeekolonnen und legten Minen an Nachschubstraßen. Surowikin wurde bekannt für seine Aussage, man müsse „für jeden getöteten Soldaten drei Untergrundkämpfer vernichten“. Dieses Vorgehen erwies sich als ebenso umstritten wie militärisch erfolgreich. Der bewaffnete Widerstand brach in Tschetschenien endgültig zusammen, nachdem der populäre Separatistenführer Aslan Maschadow im März 2005 von russischen Sicherheitskräften erschossen worden war.Surowikin wurde Ende 2008 Chef der Operativen Hauptabteilung des Generalstabs, die als das Herz der Armeestruktur gilt. 2010 stieg er zum Generalleutnant auf. Von März bis Dezember 2017 und von Januar bis März 2019 führte er das russische Expeditionskorps in Syrien. Ein Bericht von Human Rights Watch wirft Surowikin vor, er habe bei rücksichtslosen Operationen Zivilisten, Wohnhäuser, Hospitäler und Schulen nicht geschont.Sergej Surowikin ist als „General Armaggedon“ ein Produkt der Ära Wladimir PutinLiberale Beobachter in Moskau nannten Surowikin daher immer wieder „General Armaggedon“. Dass ihm ein Ruf wie Donnerhall vorauseilt, war seinem jüngsten Karrieresprung gewiss dienlich. Mit Beifall bedenken ihn seither Hardliner – ob es sich um Militärblogger oder den tschetschenischen Republikchef Ramsan Kadyrow handelt. Der lässt wissen, er sei jetzt „hundertprozentig zufrieden“ mit der militärischen „Spezialoperation“.Insofern ist Surowikin ein Militär im Geiste Wladimir Putins und ein Produkt der Ära dieses Präsidenten. Er war ein junger Offizier von knapp 33 Jahren, als Putin Ende 1999 an die Macht kam. Surowikin erhielt 2017 im Kreml den Goldenen Stern zum „Helden Russlands“, eine sehr hohe militärische Auszeichnung. Dass er nicht nur befehlstreu handelt, sondern auch politisch auf der Linie des Staatschefs liegt, zeigte er jüngst in einem Interview. Da wiederholte er Putins These, die Russen seien „mit den Ukrainern ein Volk“.Ob es ihm gelingt, die ukrainische Offensive im Großraum Cherson wie der Südukraine überhaupt zu stoppen, bleibt offen. Erkennbar ist, dass dieser General öffentlich Akzente setzt, die ihn von anderen Militärs deutlich unterscheiden. Bis weit in die Reihen von Moskauer Loyalisten hinein hatten schönfärberische Schilderungen der Frontlage immer wieder für Unmut gesorgt. Surowikin hingegen gestand in einem Fernsehinterview den Ernst der Lage, die im Gebiet der „Spezialoperation insgesamt angespannt“ sei. Der Gegner lasse „nicht von seinen Angriffen auf die Positionen der russischen Streitkräfte ab“. Besonders im Raum Cherson sei das der Fall. Es gebe dort Versorgungsprobleme bei Strom und Lebensmitteln. Aus diesem Grund, so Surowikin, werde ein Teil der Bevölkerung evakuiert. Die Aufgabe, so der Vater von vier Kindern, bestehe in der „Bewahrung des Lebens und der Gesundheit friedlicher Bürger“. Dabei könne es notwendig sein, „keine einfachen Entscheidungen“ zu treffen. Surowikin mutet der russischen Öffentlichkeit in seinem nüchternen Stil harte Wahrheiten zu.So paradox es klingen mag: Womöglich liegt in dem Bemühen des so raubeinigen wie klarsichtigen Generals, sich der Wirklichkeit zu stellen, ein – wenn auch schwacher – Hoffnungsschimmer. Realistische Hardliner unter den Militärs haben eine Möglichkeit, über die russische Kriegsgegner nicht verfügen. Sie können der politischen Führung sagen, dass ein Ende des Krieges wohl kaum mit einem Sieg auf dem Schlachtfeld zu erreichen sein wird, sondern nur durch Kompromisse am Verhandlungstisch.