Korruption in der Ukraine: Ein Risiko für die Demokratie in Europa

Beunruhigende Lage Ein Krieg schwächt keine systemische Korruption ab – eher ist das Gegenteil der Fall. Seit Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine aber schweigen die EU-Institutionen zur dortigen Korruption
Ausgabe 17/2023
Korrupte Kameraden?
Korrupte Kameraden?

Foto: Sergei Kupinsky/afp via Getty Images

Beunruhigende Nachrichten für ukrainische Journalisten und Mediennutzer – die Regierung in Kiew hat den Zugang zu frontnahen Regionen neu geregelt. Es gibt „gelbe Zonen“, in denen sich Korrespondenten nur noch begleitet von Presseoffizieren aufhalten dürfen, es gibt „rote Zonen“, aus denen gar nicht mehr berichtet werden kann. Dazu gehören die umkämpfte Stadt Bachmut und Teile der Region Cherson im Süden. Zudem forderte Kulturminister Oleksandr Tkatschenko, die Berichterstattung müsse in Kriegszeiten kontrolliert werden. Damit steht zu befürchten, dass es eine Mischung aus Zensur in der Ukraine und wohlwollender Parteilichkeit deutscher Medien weiter erschwert, ein objektives Bild vom Kriegsgeschehen zu erhalten. Vermutlich soll von Kiew aus die Berichterstattung über die angekündigte Offensive gelenkt werden.

Was ohnehin auffällt, seit Beginn des russischen Angriffkrieges gegen die Ukraine haben sich EU-Institutionen ein Schweigegebot zur dortigen Korruption auferlegt. Wer sich dazu ein Bild verschaffen will, muss auf Analysen zurückgreifen, die vor Kriegsbeginn entstanden sind, etwa den Sonderbericht des Rechnungshofes der Europäischen Union vom September 2021 über die Bekämpfung der Großkorruption in der Ukraine. In dieser Bestandsaufnahme verwiesen die Autoren auf „informelle Verbindungen“ zwischen Amtsträgern der Regierung in Kiew, Abgeordneten und Mitarbeitern der Ermittlungsbehörden. Die EU habe dazu „keine konkrete Strategie entwickelt“, so die Erkenntnis.

Kurz darauf zog die für das Kanzleramt tätige Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) ihr Fazit zur Korruption in der Ukraine. In der Studie SWP aktuell Nr. 63 konstatierte die Ukraine-Expertin Susan Stewart einen „Reformstau“. Es sei gerechtfertigt, so Stewart, „sich bei der Suche nach den Gründen“ für diese Lage „vor allem auf den Präsidenten und seine Entourage zu konzentrieren“. Wolodymyr Selenskyj sei es „gelungen, während seiner Amtszeit die eigene Macht und die des Präsidentenbüros ständig auszubauen“. Er habe, sagt die Studie, „Gefolgsleute in Schlüsselpositionen gebracht“ und im Ergebnis „die Rolle von Institutionen in der Ukraine weiter geschwächt“.

Ebenfalls im Oktober 2021 dokumentierten die von mehreren westlichen Blättern, darunter der Süddeutschen Zeitung, veröffentlichten „Pandora Papers“, dass der begnadete Rhetoriker Selenskyj als Korruptionsbekämpfer nicht überzeugen könne. Den „Papieren“ war zu entnehmen, dass dieser auf den britischen Virgin Islands, in Belize und Zypern Millionen US-Dollar auf Offshore-Konten platziert hatte. Dem Vernehmen nach handelte es sich um Einnahmen aus seinem Fernseh-Serienprogramm Quartal 95.

Westen und Stiefel

Zu intensive Verflechtungen mit den Machtstrukturen in Kiew bergen die Gefahr einer schrittweisen Ukrainisierung im Westen. Das Spektrum der Risiken für die europäischen Demokratien reicht dabei von überschwappender Korruption und Geldwäsche bis zum Einsatz von Söldnern aus Europa im Ukrainekrieg. In einem Papier der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) warnt Miriam Katharina Hess, Expertin für Sicherheitspolitik, dass deutsche Kombattanten in der „internationalen Legion“ zu einem Problem für die Bundesrepublik werden könnten. Deutsche, so Hess, seien bereits in diesem Verband präsent, der mehrere Tausend Personen aus 50 Ländern zähle. Von russischen Truppen gefangene Deutsche könnten von Moskau als Terroristen betrachtet und durchaus als Druckmittel benutzt werden.

Was Hess nicht schreibt: Schon jetzt ziehen die Gefechte in der Ukraine deutsche Neonazis und Wehrmachts-Nostalgiker an. Eine der militantesten Gruppierungen dabei ist die etwa 650 Mitglieder zählende Partei Der Dritte Weg, die Kontakte zum von ukrainischen Rechtsextremisten gegründeten Asow-Regiment unterhält. Parole: „Nationalisten helfen Nationalisten“. Es gelte, so die Kleinpartei, der „ukrainischen Bewegung“ beizustehen gegen den „russischen Imperialismus“ und „die Wiederherstellung einer Sowjetunion“. Auf seiner Website rühmt sich Der Dritte Weg, Schutzwesten und Kampfstiefel an die „Kameraden“ von Asow geschickt zu haben. Wie viele deutsche Beine in den Kampfstiefeln stecken, wird nicht verraten.

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