Nach der Kampfpanzer-Entscheidung: Was in Russland jetzt über Deutschland gesagt wird

Stimmungsbild Holzschnitt und Enttäuschung: In russischen Zeitungen und vor Studenten kommentieren Wladimir Putin, Politiker und Berater in Moskau die Entscheidung von Olaf Scholz, Kampfpanzer an die Ukraine zu liefern
Exklusiv für Abonnent:innen | Ausgabe 05/2023
Regenbogen und Leopardpanzer. Zwei Dinge aus dem Westen, die in Russland nicht gerne gesehen sind
Regenbogen und Leopardpanzer. Zwei Dinge aus dem Westen, die in Russland nicht gerne gesehen sind

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Die Schlagzeile auf der Titelseite der populären russischen Tageszeitung Moskowski Komsomolez trifft wohl den Nerv einer Nation: „Deutsche Panzer auf russischem Boden!“ Nach der in Moskau geltenden Rechtsauffassung sind die ukrainischen Gebiete Cherson, Saporischschja, Donezk und Luhansk mittlerweile Teile der Russischen Föderation. Dort entlang rollten 1941 bis 1944 deutsche Panzer, als diese Gebiete Teil der Sowjetunion waren, des Vorläuferstaates der Russischen Föderation. Vor diesem historischen Hintergrund wirkt die Verbindung von deutschen Panzern und russischem Boden wie ein kombinierter Sprengstoff.

Die Entscheidung der Bundesregierung, unter dem Druck der Stimmung und etlicher NATO-Verbündeter Kampfpanzer auf einstige Schlachtfelder des Zweiten Weltkrieges zu schicken, reißt in Russland alte Wunden auf. Mehr noch, sie lässt das Ansehen der Bundesrepublik auf einen Tiefstand sinken. Im Regierungsblatt Rossijskaja gaseta fragt Konstantin Kossatschow, Vizepräsident des Föderationsrates und damit der zweiten Kammer des Parlaments: „War nicht das Vertrauen zu Deutschland ein epochaler Fehler Russlands?“ Kossatschow, einst Simultandolmetscher von Michail Gorbatschow, war in den 1990er Jahren als Diplomat in Schweden tätig. Er zählt zu jenen enttäuschten „Westlern“ unter russischen Diplomaten, die auf Entspannung setzten und sich zusehends verhärteten, je näher die NATO an die russischen Grenzen heranrückte.

Jetzt schreibt er in der Rossijskaja gaseta, mit ihrem Entschluss, die Führung in Kiew mit Kampfpanzern zu beliefern, habe die Regierung Scholz „nicht nur alle historischen Errungenschaften Deutschlands ausgelöscht“, sondern auch „jede zivilisierte friedliche Entwicklung Europas“. Sie habe womöglich „der künftigen Generation der Deutschen und Europäer“ einen „nicht wieder gutzumachenden Schlag versetzt“.

Die Tonlage im Fernsehen ist brachial

Im Staatsfernsehen formulieren andere weniger andeutend, sondern direkter, wie etwa Karen Schachnasarow, Sohn eines Gorbatschow-Beraters und Direktor der staatlichen Mosfilm-Kino-Studios. Er nennt in einer Talkshow die Bundesrepublik „das Vierte Reich“. Andere erinnern im Fernsehen daran, dass die Rote Armee im Juli 1943 bei der Panzerschlacht im Kursker Bogen den „Tiger“ als Vorläufer des „Leopard“ massenhaft in Schrott verwandelte. Mit deutschen stählernen Raubtieren werde man schon fertig, so die teils brachiale Tonlage in TV-Sendungen und sozialen Medien. Bei Moskauer Germanisten, die sich viele Jahre für bessere Beziehungen zu Deutschland engagierten, reichen die Reaktionen von krassem Unverständnis bis zu sarkastischem Spott. Deutschland-Kenner Timofej Borissow, der in der Ära Gorbatschow in Marburg studierte, fragt in seinem Telegram-Kanal: „Wollen die Deutschen wieder Krieg gegen Russland?“

Und Fjodor Lukjanow, Moderator des TV-Magazins Meschdunarodnoje Obosrenje (Internationale Umschau), hantierte in seiner jüngsten Sendung mit einem Porzellanleoparden, als wolle er seine Zuschauer in der traurigen Situation auf eher deplatzierte Weise ein wenig aufheitern. Lukjanow, auch Leiter der Forschungsprogramme des auf internationalen Dialog ausgerichteten Waldai-Klubs, dürfte wissen, dass die Lage im Konflikt mit der Ukraine so ernst und gefährlich ist wie nie zuvor.

Wer während dieser Tage in Moskau mit Deutschland-Experten spricht, blickt häufig in hilflose Gesichter. Dass sich zu den Panzern aus Deutschland noch die Äußerung der deutschen Außenministerin gesellt hat, Europa kämpfe im Krieg gegen Russland, hat die Hilflosigkeit nur noch verstärkt. Russlands oberster Germanist, Präsident Wladimir Putin, versuchte in der zurückliegenden Woche vor Studenten der Lomonossow-Universität in Moskau eine historische Einordnung der eingetretenen Eiszeit zwischen Moskau und Berlin. Deutschland, so Putin, sei „nach dem Zweiten Weltkrieg nicht im vollen Sinne ein souveräner Staat gewesen“. Was gegenwärtig zwischen Deutschland und Russland geschehe, habe daher „tiefe Wurzeln“. Noch immer befänden sich „auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Besatzungsstreitkräfte“, womit offenkundig die Stützpunkte der US-Armee gemeint waren.

Recht ausführlich hatte Anfang Januar der Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates, Nikolai Patruschew, die Sicht des Kremls auf die Konfrontation mit dem Westen dargelegt. In der auflagenstarken Wochenzeitung Argumenty i Fakty antwortete Patruschew, der zunehmend den Part eines Moskauer Chefideologen zu übernehmen scheint, auf mundgerechte Fragen. Wie Wladimir Putin einst Offizier im sowjetischen Geheimdienst KGB und von 1999 bis 2008 Chef des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB, gilt Patruschew als einer der loyalsten Vertrauten Putins. Er wurde im März 2000 als „Held Russlands“ ausgezeichnet und ist Träger des Ordens „Für Verdienste gegenüber dem Vaterland“ aller Stufen, was ihn als treuen Heinrich ausweist.

Die Panzer aus Deutschland sind ein Geschenk für Hardliner

Im Westen, so Patruschew, „ist ein Platz für unser Land nicht vorgesehen“, der Westen wolle von Russland „nur Rohstoffe“, achte aber nicht dessen Geschichte und Traditionen. Mehr noch: Nach den Wünschen westlicher Machtzentren solle Russland „von der politischen Landkarte getilgt werden“. Patruschew sieht Russland in einer Befreiungsmission „für das ukrainische Brudervolk“. In einer Rede vor Studenten in Sankt Petersburg legte er nach. Selbst wenn die „heiße Phase“ des militärischen Konfliktes in der Ukraine einmal beendet sei, werde ein schroffer Gegensatz zwischen Russland und dem Westen fortbestehen.

Bereits in seinem Interview für Argumenty i Fakty hatte Patruschew einen tiefen kulturellen Konflikt skizziert zwischen der auf konservative Werte ausgerichteten russischen Gesellschaft und einem auf die Anliegen einer „LGBT-Community“ fokussierten liberalen Westen. In diesem Kontext wird im offiziellen Moskau das militärische Vorgehen gegen mit westlichen Panzern ausgerüstete ukrainische Militärs moralisch und religiös im Sinne des orthodoxen Christentums aufgeladen. Dieser Versuch erscheint umso wirksamer, als sich darin die holzschnittartige Weltsicht von KGB-Veteranen mit einer von Enttäuschung genährten Europa-Skepsis mischt. So wie das schon im 19. Jahrhundert in Fjodor Dostojewskis Tagebuch eines Schriftstellers nachzulesen war. Dem Kreml gelingt es damit, einen großen Teil des Landes zur aktiven oder zumindest passiven Unterstützung des Widerstandes gegen den Westen zu motivieren.

Unter diesen Umständen sind Debatten zweitrangig, in denen russische Militärexperten und wortgewaltige Hurra-Patrioten im Fernsehen und in sozialen Netzen darüber orakeln, wo und wie sich die Leopard-Panzer am besten abschießen lassen. Die Vorschläge changieren zwischen dem Bombardieren von Eisenbahnbrücken in der Ukraine und dem Einsatz von Anti-Panzer-Raketen des Typs „Kornet“. So viel steht fest, ein besseres Geschenk für ihre Propaganda als die Lieferung deutscher Panzer für das ukrainische Heer hätten sich Moskauer Hardliner nicht wünschen können. Kaum etwas ist mehr geeignet, die eigene „Militärische Spezialoperation“ als Verteidigung gegen – historisch gesehen – „Rückfall-Täter“ zu präsentieren, deren Panzerrohre auf den bekannten Schauplätzen gegen Russland gerichtet sind.

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