Glückwünsche zum Geburtstag müssen nicht herzlich sein. Die Grußbotschaft, die Jewgeni Prigoschin, Chef der Gruppe „Wagner“, am 21. Mai dem russischen Verteidigungsminister zum 68. schickte, war voller Sarkasmus. Prigoschin gratulierte Sergej Schoigu in dessen Eigenschaft als Präsident der Russischen Geografischen Gesellschaft und als Kavalier des Malteserordens. Der Wagner-Boss nannte den Verteidigungsminister einen „außergewöhnlichen Menschen“, der „einen großen Umfang seiner Zeit der Entwicklung vielfältiger Talente“ widme. Schoigu sei „ein feiner Ästhet“, ein „Jäger und Liebhaber des Hockey-Sports“. Er hoffe, so Prigoschin, Schoigu werde „auch künftig seine Umge
mgebung durch sein glückliches Lächeln erfreuen“.Systemnahe Telegram-Kanäle in Russland publizierten den Pseudo-Glückwunsch mit erkennbarem Genuss. Kurz zuvor – während der Kämpfe um die Stadt Bachmut – hatte Prigoschin in Videoauftritten Schoigu einen „twar“ genannt, eine „elende Kreatur“. Der Wagner-Chef warf ihm vor, er verschulde durch mangelnde Munitionslieferungen den „sinnlosen Untergang“ von Wagner-Kämpfern. Schoigu-Schelte ist gerade Mode in Moskau, nachdem gegnerische Kampfdrohnen Richtung Kreml geflogen sind und russische Grenzdörfer bei Belgorod beschossen, ja, kurzzeitig durch von der Ukraine gelenkte Kämpfer eingenommen wurden.Bezeichnend war die Reaktion des Präsidentensprechers Dmitri Peskow auf die Ausfälle Prigoschins gegen Schoigu. Im Kreml habe man den Auftritt Prigoschins „gesehen“, sagte Peskow, ohne dies weiter zu kommentieren. Offenbar stellt sich der Staatschef nicht mehr a priori hinter seinen Verteidigungsminister. Der wiederum erträgt dies, ohne zu demissionieren. Diese ungewöhnliche Konstellation sagt viel über das System Putin wie den Minister Sergej Schoigu.Drei Jahre jünger als Putin, hatte der Sohn eines sowjetischen Parteifunktionärs und einer Ukrainerin früh gelernt, sich in hierarchischen Männerbünden zu behaupten. Schon mit Mitte 20 wurde der gelernte Bauingenieur Leiter eines staatlichen Betriebs. Mit 33 Jahren, im Jahr 1988, stieg er auf zum Zweiten Sekretär der KPdSU (Kommunistische Partei der Sowjetunion) in der sibirischen Großstadt Abakan. Als die Sowjetunion zusammenbrach, erkannte Schoigu, dass sich auch im neuen Russland eine Karriere aufbauen ließ – unter anderem auf dem Sicherheitsbedürfnis so vieler Bürger.Sergej Schoigu ist ein talentierter NetzwerkerSchoigu leitete ab 1991 das Korps der Katastrophenhelfer und ab 1994 das zentrale Ministerium für Katastrophenschutz. Loyal zeigte er sich gegenüber dem damaligen Präsidenten Boris Jelzin. Dessen Wiederwahl 1996 dank einer gefälschten Abstimmung sicherte er in einer Schlüsselstellung des Wahlkampfstabs. Seither hat Schoigu einen Sitz im russischen Sicherheitsrat. Als Wladimir Putin, noch als Premierminister, 1999 den Zweiten Tschetschenienkrieg führte, machte sich Schoigu unentbehrlich. Mitarbeiter seines Ministeriums versorgten im Nordkaukasus Binnenflüchtlinge mit Zelten und Nahrung.So war Schoigu stets das, was man im Westen einen Netzwerker nennt. Im März 2000, mit der ersten Wahl Putins zum Präsidenten, übernahm er die Führung der Kremlpartei „Jedinstwo“ (Einheit), aus der später die bis heute staatstragende „Jedinaja Rossija“ (Einiges Russland) hervorging. Schoigus Integrität im postsowjetischen System zahlte sich aus. 1999 wurde er „Held der Russischen Föderation“, 2003 avancierte er zum Armeegeneral. Als Putin nach der Präsidentschaft Dmitri Medwedews 2012 auch offiziell wieder die Staatsführung übernahm, ernannte er Schoigu zum Verteidigungsminister, dem es gelang, die Zahl der Absolventen an den Instituten der Militärausbildung binnen kurzer Zeit zu versiebenfachen.Mit überraschenden Inspektionen von Truppenteilen, ganz nach Putins Geschmack, hielt Schoigu die Armee auf Trab. Sinn für nationalreligiöse Symbolik zeigte er bei der Parade zum 70. Jahrestag des Sieges über Hitlerdeutschland am 9. Mai 2015: Schoigu bekreuzigte sich, als er im offenen Jeep auf den Roten Platz fuhr. Prestigeprojekte wie der Erlebnispark „Patriot“ im Moskauer Umland und die dort errichtete bombastische „Hauptkirche der Streitkräfte“ sowie der paramilitärische Jugendverband „Junarmija“ tragen seine Handschrift.Für Aufsehen und Kritik bei Militärs und Loyalisten sorgte Schoigu im November 2017 mit der Ernennung der seinerzeit 26-jährigen, attraktiven Fernsehjournalistin Rosijana Markowskaja zur Sprecherin des Verteidigungsministeriums. Zusätzlich zum Amt erhielt die Auserwählte, der private Nähe zu Schoigu nachgesagt wird, den Rang eines Generalmajors. Dass Putin ihm das durchgehen ließ, lag womöglich auch daran, dass es Schoigu gelang, den Präsidenten mehrfach für gemeinsame Männerfreizeit zu begeistern. Spätestens ab 2018 machten Putin und er zuweilen Urlaub in der südsibirischen Taiga, ritten, wanderten und angelten. Der im Schatten von Birken gefestigte Männerbund erweist sich als belastbar. Zumindest hält er bisher militärischen Rückschlägen stand, die der Ukraine-Feldzug nicht entbehrt.