Scharfe Warnungen gelten einer Gegend in Osteuropa, welche die meisten Westeuropäer nur selten oder nie im Blick haben. Es geht um die Republik Moldau und deren Nachbarn, das international nicht anerkannte Transnistrien (ein Drittel größer als das Saarland), das zugleich an die Ukraine grenzt. Die Deutsche Welle fragt, ob Moldau „das nächste Ziel Putins“ werde. Präsidentin Maia Sandu in der Moldau-Kapitale Chișinău klagt, Russland plane einen „Umsturz“ gegen sie, mit Hilfe von „Diversanten“. Moskaus Verteidigungsministerium wirft dem „Kiewer Regime“ die „Vorbereitung zu einem Einmarsch“ in Transnistrien vor, was Präsident Wolodymyr Selenskyj dementiert: „Wir respektieren Moldaus territ
ritoriale Integrität, und wir denken, dass Transnistrien ein Teil des unabhängigen Moldau ist.“Dabei wird übersehen, dass die Regierung Moldaus Transnistrien nicht kontrolliert und ihr das schon seit dem Zerfall der Sowjetunion 1991 verwehrt ist. Die transnistrische Region im Osten Moldaus hat ihre eigene Geschichte mit einer gemischt russisch-ukrainisch-moldauischen Bevölkerung und gehörte bis 1940 zur Ukrainischen Sowjetrepublik, während das sonstige Territorium des heutigen Staates Moldau seit 1918 Teil Rumäniens war. Als Folge des geheimen Zusatzprotokolls zum deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrag von 1939 wurde Rumänien gezwungen, diese Region, die seit 1812 unter der Hoheit des russischen Zaren gestanden hatte, der Sowjetunion zu übergeben. Moskau fügte daraufhin das industriell geprägte Transnistrien in die neu gebildete Moldauische Sowjetrepublik ein.Dieser Status hielt Jahrzehnte, bis die vom Sowjetstaat bevorzugte Gemeinschaft zerbrach, so dass Anfang der 1990er Jahre in der zerfallenden Moldauischen Sowjetrepublik prorumänische Kräfte an Einfluss gewannen. Als Reaktion darauf formierte sich in Transnistrien eine russischsprachige Bewegung mit der Parole: „Wir wollen keine Rumänen werden!“ Da sich Transnistrien Moldau nicht unterwarf, brandete ab November 1991 ein bewaffneter Konflikt auf, der in einen Sezessionskrieg mündete. Rumänische Kombattanten fochten auf moldauischer Seite, russische Freischärler auf der Transnistriens. Es kamen etwa 1.000 Menschen ums Leben. Die Gefechte endeten im Sommer 1992 mit dem Eingreifen eines russischen Friedenskorps und einem Agreement zwischen Moldau und Russland. In der Folge stabilisierte sich Transnistrien als De-facto-Republik unter russischem Schutz und soziokulturell mit einer vorwiegend russischen Bevölkerung. Man hatte es mit einem für postsowjetische Verhältnisse nicht untypischen „eingefrorenen Konflikt“ zu tun.Vereinigung mit RumänienDerzeit verlangt die prowestliche Regierung in Chișinău einen Abzug des russischen Kontingents (gut 1.000 Soldaten) aus Transnistrien. Dessen Führung wiederum sieht in dieser Präsenz eine Garantie dafür, eine erneute militärische Konfrontation zu vermeiden. Doch behindert aus Sicht von Moldau-Präsidentin Maia Sandu der konservierte Konflikt eine Annäherung an die EU (Kandidatenstatus) wie die NATO. Sandu, eine frühere Beraterin der Weltbank, plädierte jüngst im Magazin Politico dafür, den neutralen Status Moldaus „zu überprüfen“ – in Transnistrien wie der linken Opposition Moldaus wird dies als Signal dafür gesehen, das Land zielstrebig in die westliche Allianz zu führen. Bei einem Besuch in Rumänien hatte Sandu im Juli 2022 erklärt: „Wenn Russland uns angreift, werden wir um Hilfe bitten“, was als dann möglicher Appell an das NATO-Mitglied Rumänien verstanden wurde. Sandu deutete bereits im April 2022 an, eine Vereinigung Moldaus mit Rumänien sei denkbar – „mit der Unterstützung des Volkes“. Transnistriens Außenminister Witali Ignatjew hingegen sieht Moldau als „einen Nachbarstaat“, gegen den man „seine Identität verteidigen“ werde, sollte – wie das in Moldau geschehe – „das Herausdrängen der russischen Kultur“ versucht werden.Offen ist, ob das Eskalationsszenario in militärische Formen abdriftet. Im Widerspruch zum Interventionsdementi von Selenskyj steht die Ansicht des ukrainischen Analytikers Alexander Kowalenko, Koordinator der dem Generalstab in Kiew nahestehenden Gruppe „Informations-Widerstand“. Kowalenko behauptet, die Armee der Ukraine „brauche zwei bis drei Wochen für eine Säuberung Transnistriens“. Andere ukrainische Experten meinen, bevor man eingreife, müsse die moldauische Präsidentin darum bitten. Bisher deutet nichts darauf hin, dass Maia Sandu das tun wird. Es gibt dafür vor allem einen einleuchtenden Grund: Die EU hätte einen Beitrittsaspiranten mehr, der in kriegerische Handlungen verstrickt wäre. Auch eine russische Invasion in Moldau ist unwahrscheinlich. Die hinter Cherson stehenden Truppen sind weit davon entfernt, das Gebiet Odessa einzunehmen, das an Transnistrien grenzt. So ist das wahrscheinlichste Szenario für die nächsten Monate eher ein Nerven- als ein heißer Krieg zwischen Moldau und Transnistrien.