Waldai-Konferenz in Moskau: Neutrale Staaten suchen Ausweg aus dem Krieg
Friedenssuche In Russland versammelt der Diskussionsklub „Waldai“ neutrale Staaten wie China und Indien, sowie andere Politiker aus dem globalen Süden zu einer Konferenz. Gesucht wird ein Ausweg aus dem Konflikt
Die Waldai-Einladung enthält nicht das Wort „Ukraine“. Und doch weiß jeder der 140 gebetenen Gäste, dass es auch darum geht, wenn in dem Schreiben von der „gegenwärtigen turbulenten und gefährlichen Situation“ die Rede ist. Und davon, dass es nötig sei, „eine stabile und vernünftige Balance der Kräfte und Interessen auf der Weltbühne zu finden“.
Der Waldai-Klub, gegründet 2004 in Weliki Nowgorod nicht weit vom Waldai-See, versammelt alljährlich Politiker, Ex-Politiker und Politologen. Zu den Gründern zählen die Moskauer Diplomaten-Hochschule MGIMO und die traditionell liberale Higher School of Economy. Mehrfach erklärte Wladimir Putin vor dem Waldai-Klub seine Weltsicht und stellte sich
ellte sich einer Debatte mit „Kreml-Kritikern“ aus Westeuropa wie den USA, darunter auch Professoren der Universitäten Harvard und Columbia. Die diesjährige Tagung vom 23. bis 27. Oktober im Imperial-Park-Hotel südwestlich von Moskau wird jedoch anders sein als je zuvor, zumal eine Weile offenblieb, ob das Forum überhaupt stattfindet.Erfolglose neue WeltordnungZwei Gründe waren es, die letztlich den Ausschlag gaben, die Waldai-Runde auch 2022 zu versammeln – das russische Interesse am Dialog mit neutralen Ländern in Asien, Afrika und Südamerika, dazu das Bedürfnis des russischen Präsidenten, vor einem renommierten Publikum zu sprechen. Die Veranstalter wie Fjodor Lukjanow, Chefredakteur des Fachblattes Russia in Global Affairs, dürften umso mehr auf kritische Fragen stoßen. Seine Generalthese hat der Waldai-Klub vor dem diesjährigen Plenum auf die Formel gebracht: „Der Versuch, nach dem Kalten Krieg eine nachhaltige Weltordnung zu schaffen, war nicht erfolgreich.“ Er habe nur „auf den Ideen einer Minderheit der Menschheit basiert“. Dem werden viele aus den Ländern des Globalen Südens zustimmen, auch wenn sie dem militärischen Vorgehen Russlands in der Ukraine distanziert begegnen.Für viele afrikanische Politiker ist die Ukraine nur eine Front in den Auseinandersetzungen um eine neue Weltordnung. Dort, wo eher Medien wie Chinas Global Times als die New York Times meinungsbildend sind, gilt nicht das Wort von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), man könne im Ukraine-Konflikt „nicht neutral sein“. Neutrale Länder von China über Indien und Südafrika bis Brasilien, Mexiko und Argentinien, von der Bevölkerung her die Mehrheit der Menschheit, sind eine Realität, die westliche Politiker nur selten im Blick haben. Zugleich wissen russische Diplomaten, dass in diesen Staaten die Erwartungen beachtlich sind. Man will konkrete Schritte hin zu einem Waffenstillstand sehen und fragt sich, wo dazu westliche Initiativen, aber auch der Beitrag Moskaus bleiben. Die Putin-Rede zur Eingliederung von vier ukrainischen Regionen in die Russische Föderation am 30. September enthielt dazu so gut wie nichts. Halten kann man sich bestenfalls an einen Aufsatz von Anatoli Antonow, dem russischen Botschafter in den USA, der Ende September für die Zeitschrift National Interest schrieb und eingangs Henry Kissinger zitierte, die Dämonisierung Putins sei keine Politik, sondern deren Abwesenheit. Alle Atommächte müssten einsehen, „dass ein Nuklearkrieg niemals gewonnen werden kann und niemals geführt werden darf“.Washington aber, so der Vorwurf Antonows, treibe „die Situation in eine direkte Konfrontation der großen Nuklearmächte mit unvorhersehbaren Konsequenzen“. Er wolle US-Militärplaner vor dem Trugschluss warnen, ein begrenzter Atomkrieg sei möglich. Antonow vermerkt zudem, dass „ein beträchtlicher Teil des Planeten nicht zufrieden ist mit der Weltordnung, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion geschaffen wurde“.Der Kolumnist Thomas Friedman gab am 20. September in der New York Times zu bedenken, ein „schmutziger Deal“, ein Kompromiss mit einer Aufteilung der Ukraine, könnte das kleinere Übel sein gegenüber einer Eskalation. Es gelte zu verhindern, dass Russlands Präsident durch jemanden von den ultranationalistischen Rechten ersetzt werde, „die behaupten, dass Putin nicht hart genug kämpft“. Der Autor Russ Douthat schrieb eine Woche später an gleicher Stelle, der US-Beistand für die Ukraine sei „gut und notwendig“, doch gäbe es „einen Punkt, an dem die Ziele der Ukraine und amerikanische Interessen divergieren“. Die Kombination ukrainischer militärischer Erfolge und russischer nuklearer Drohungen bringe „diesen Punkt näher als zuvor“. Die sich stellende Frage lautet in der Tat, ob der Westen die Annexionen zwar nicht de jure, aber de facto akzeptieren sollte, wenn er bei seiner Strategie bleiben will, ukrainische Angriffe auf russisches Territorium nicht zu unterstützen.Wie Organisatoren des Waldai-Klubs die Weltlage sehen, zeigt ein Interview mit Programmdirektor Andrej Suschenzow, der sich Ende Januar, am Vorabend des Krieges, im Moskauer Magazin Expert äußerte: „Der Westen versteht einfach nicht, was für Russland Stabilität bedeutet.“ Er erwähnte „die Turbulenzen an unseren Grenzen und unsere innere Fragilität“. Daher stehe man oft vor der Wahl „nicht zwischen Gutem und Schlechtem, sondern zwischen verschiedenen Versionen des Schlechten“.Am 26. März sagte US-Präsident Joe Biden bei einer Rede in Warschau über Putin: „Dieser Mann kann nicht bleiben.“ Zwar bemühte sich das Weiße Haus danach, den Eindruck zu verwischen, es sei damit ein „regime change“ gefordert worden. Dennoch wirkt dieser Satz auf der russischen Seite bis heute wie ein fatales Signal, als setze Washington darauf, Putin ein Ende zu bereiten wie im Oktober 2011 dem Libyer Muammar al-Gaddafi. Anders als Gaddafi, dessen Ende Putin tief beeindruckt haben soll, verfügt der russische Präsident über furchtbare Waffen gegen den Westen, von denen Gaddafi nur träumen konnte.
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