Das Attentat. Der Wahnsinn. Die Singularität.

Trauerarbeit Trauerarbeit. Teletrauer. Das Attentat. Die Mörder. Die Opfer. Ich. Subjekte. Berührend.

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Das Attentat. Der Wahnsinn. Die Singularität.

Trauerarbeit. Teletrauer. Das Attentat. Die Mörder. Die Opfer. Ich. Subjekte. Berührend. Traurig. In Trauer.

Das Fernsehen verschafft mir „Einblick(e)“ in das, was irgendwo auf der Welt passiert.

Das TV, die Teletechnologie „für alle“, gewährt dem Ereignis „Attentat“ Einlaß in mein Zuhause.

Es hat Tote gegeben, viele Tote!

Viele Tote sind viele einzelne Tote. Jedesmal ist es die Singularität des Mordes.

Im Gegensatz zu Baudrillard will ich das Ereignis nicht im Strom der Simulakren vieler Bilder sterben lassen. Verschwinden lassen. Ich glaube nicht an die Annullierung der Ereignisse durch die Berichte und Reportagen, die mich ein Ereignis, - die Attentate dieser Novembernacht 2015 in Paris, - „nur“ durch das Mittel des Simulakrums haben erleben lassen.

Es ist nicht bloß ein „Prozeß der Geschichte“, der an mir vorbeiläuft. Nein, es ergreift mich! Ich fühle mich gedrängt etwas zu sagen. Ich weiß nicht was alles. Der Tod jedes einzelnen Anderen ergreift mich! Ich erfahre den Tod!

Ich erfahre den Tod mittels der Umwegigkeit über den/die Anderen!

Das Ereignis läßt sich nicht vergessen.

Es hat Tote gegeben. Jeder Tote ein einzelner Toter. Die Singularität! Des Mordes!

Kein Geschichtsprozeß ( des Nahen Ostens, Europas, Amerikas, der Kriege, des Öls, des Geldes, der Waffen, des Kolonialismus, des Imperialismus, der Religionen, Kulturen, Hegemonien, Aufstände, Iterabilitäten von Ereignissen des Mordens, der Vertreibungen, des Flüchtens, der Aufnahme und Rettung / Nichtrettung von Flüchtlingen, der Massenmörder, der War-Lords, des IS (des Daesch), des arabischen Wahabismus (engl. Wahhabism), des Salafitentums, Saudi-Arabiens etc.) kann uns das Ereignis / die Ereignisse vergessen lassen.

Hunderttausende von Toten in den Kriegen. 100e Tote der Attentate. Dutzende Tote des Attentats. Jedes Mal die Singularität des Mordes!

Zusammen mit den Geschichtsprozessen müssen wir die Singularität denken.

Keine Logik des Simulakrums kann das vergessen lassen.

Das je eigene Zuhausesein oder das Zuhauseseinwollen erlebt die Gefahr einer Deterritorialisierung, die Gefahr sogar einer Enteignung.

Eine Zersetzung unseres Sicherheitsgefühls.

Auch eine gewisse Entwertung des Staates, insofern Souveränität an die Herrschaft über ein Territorium, - und damit auch die Gewährleistung(spflicht) von Sicherheit(en), - gebunden ist.

Es geschieht mir als Staatsskeptiker, - als einer, der im Staat immer eher den sieht, der Individualisierung und Verrechtlichung sowie Demokratisierung blockieren oder zurückfahren möchte, - es geschieht mir, daß ich auf der Seite des Staates stehe!

Eines scheint mir jedenfalls einleuchtend zu sein, ohne Wunsch „bei sich zu Hause zu sein“ (Kant) gäbe es auch keine Gastfreundschaft ( cf. Jacques Derrida, Diese verrückte „Wahrheit“: der „rechte Name“ Freundschaft, - in: J. D.: Politik (sic!, vgl. franz. Original: Politiques …) der Freundschaft. Frankf. 2002 (Suhrkamp), S. 80ff. und: J. D.: Von der Gastfreundschaft. Wien 2001 (Passagen Verlag), S. 53ff. ).

Wir sollten diesen lebensnotwendigen Wunsch beibehalten ohne die Konzepte des Nationalismus oder gar eines wie immer gearteten Fundamentalismus mit uns durch das Leben zu schleppen.

Unser Wunsch nach Singularität ist in eine Relation, eine angemessene Relationalität zur Erfahrung mit dem Anderen zu bringen.

Die Entwicklung der Demokratie bedarf gewisser Institutionen der Sicherheitsgewinnung und der Sicherheitsgewährung durch einen Liberalität garantierenden Staat. Wir bedürfen des Staatsschutzes!

Demokratie, Politik und Gesellschaft werden vom Attentat, den Attentätern, bedroht. Bedroht von Grenzgängern eines Irrglaubens, gefangen in der Paranoia fataler Gewißheiten bis hin zu einem Größenwahn eines historisch erdichteten IS-Staates (Kants „falsch dichtende Einbildungskraft“ in der Deutung, Einschätzung und Interpretation von Zeichen an Realitäten; vgl. Immanuel Kant: Anthropologie in pragmatischer Absicht, 1798, § 49).

Kant spricht in seiner Schrift von einer „methodischen Verrückung“, von der Fähigkeit „mit Vernunft zu rasen“, von der Paranoia der Seele und des Verstandes, die mit den falschen „Data“ in der Form einer Hypervernunft den Gesetzen der Logik gemäß zu denken imstande wäre.

Und sei es nur mit dem Automobil sich im Verkehr zu bewegen zu verstehen und den Hebel eines automatischen Gewehrs zu ziehen.

Wie kann die Vernünftigkeit von Vernunft bereitgestellt werden im Unterschied zu verrückten Ideen und Handlungen. In Kants „Kritik der reinen Vernunft“ (Darmstadt 1983, Bd. 3, S. 35) gibt es ein Kriterium der „Selbsterkenntnis“, die kritische Überprüfung von Ideen. Die sogenannte kritische Vernunft setzt sich in ein Verhältnis zu sich selbst, um insbesonders „der Schwärmerei und Aberglauben … die Wurzel“ abzuschneiden (ebda.). Diese Art der Schwärmerei ist nach Kant „ein Wahn“ (I. Kant, Kritik der Urteilskraft, Bd. 8, S. 366) über alle Grenzen der Sinnlichkeit hinaus. Die Vernunft müsse daher diese Vorgangsweise der Paranoia, also das „Rasen der Vernunft“, unter Kontrolle halten bzw unterbinden (ebda.).

Die Welt ist im Wandel. Immer schon. Die Paranoia (im Sinne Kants) kam damit immer schon nicht zurecht. Paranoiker mit TNT-Gürtel lehren uns heute das Fürchten. Die ungelösten Konflikte im Nahen Osten und in Afrika, Kontinentalplattenverschiebungen im postkolonialen oder neokolonialen (!?) Zeitalter rücken uns leibhaftig (!) auf den Leib. Jeden Tag neue Probleme und neue Fragen, Lesarten, Interpretationen.

„Der Sinn der Welt“ (Jean-Luc Nancy)

Damit etwas Sinn hat, muß ich es mir aneignen können. Durch Iterabilität aneignen können. Ich brauche die Wiederholung (!). Ich muß es unterscheiden lernen. Ich muß es erkennen können. Ich muß es identifizieren können. Aneignungsprozesse sind Bildungsprozesse! Sinn ergibt etwas nur unter dieser Bedingung. Den Sinn bestimme nicht ich. Ich begehre nur. Ich strebe nach dem, was ich zu erkennen vermag. Ich braucht Perspektiven!

Ich brauche Perspektiven für eine begrenzte Aneignung. Ich muß mir den Sinn und damit eine bewußte Existenz im Verhältnis zu den Anderen aneignen können.

Anders gesagt, angelehnt an Heideggers Sein und Zeit, ich muß mein „Sein zum Tode“(!) möglichst bedeutungserfüllt (cf. mein Blog-Post zu „Charlie Hebdo“) und bewußt gestalterisch leben können dürfen.

Ein Leben voller bedeutungsvoller Momente ! (cf.: John Dewey, Erfahrung und Natur)

Die Dekonstruktion engagiert sich permanent im Kampf um die Begrenzung von Gewalt, eine vom Diskurs der Menschenrechte untrennbare Gewalt.

Meine Trauer gilt den Überlebenden als Sinnstiftende und allen Opfern der Sinnverwirrten.

P.S.: Mehr in meinem Blog:

http://disseminationsdjayphilpraxkaucic.blogspot.co.at/

Blog – Post (deutschsprachige Version) : „Das Attentat. Der Wahnsinn. Die Singularität.

http://disseminationsdjayphilpraxkaucic.blogspot.co.at/2015/11/das-attentat-der-wahnsinn-die.html

Blog - Post (englische Version): „The Attack. The Insanity. The Singularity.

http://disseminationsdjayphilpraxkaucic.blogspot.co.at/2015/11/theattack.html

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Gerhard Kaucic Djay PhilPrax

Dr. phil. Gerhard Kaučić (Jg.59), Philosoph, Schriftsteller, Praktische Philosophie, Dekonstruktion, Wien et au-delà Philosophische Praxis 1989ff.

Gerhard Kaucic Djay PhilPrax

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