Entschulden heißt Enteignen

TANSANIA Nach dem Programm der Regierung und des Internationale Währungsfonds soll das Land spätestens 2018 nicht mehr zur Gruppe der "ärmsten Staaten" zählen

Die Anpassung der sozio-ökonomischen und politischen Strukturen "armer" Länder an die Erfordernisse des Weltmarktes gelten seit über 20 Jahren als Standardrezept von IWF und Weltbank. Genauso lang stehen die Strukturanpassungsprogramme (SAP) in der Kritik. Tansania ist spätestens seit den achtziger Jahren ein Musterfall für Geschichte und Gegenwart der SAP.

Einst war die siebenjährige Grundschulausbildung zwischen Tanganjika-See und Indischem Ozean obligatorisch und kostenlos. Heute müssen Grundschüler für Einschulung und Registratur umgerechnet zweieinhalb Dollar zahlen, dazu kommen eine Gebäudegebühr (zirka fünf Dollar), Kosten für Uniformen, Schulbücher und Aufsichtspersonal. Bei mehreren Kindern in einer Familie kann sich der jährliche Aufwand schnell auf 80 bis 100 US-Dollar strecken. Eine horrende Summe, denn die Hälfte der 32 Millionen Tansanier lebt unterhalb der regierungsoffiziellen Armutsgrenze von 0,65 Dollar pro Tag. Vielen fehlt Geld für das Notwendigste. 28 Prozent der Bevölkerung sind Analphabeten, 49 Prozent haben keinen Zugang zu sauberem Wasser, zwischen 1990 und 2000 fiel die Lebenserwartung von 50 auf 48 Jahre.

Früher firmierte das Land - lange Zeit von dem 1999 verstorbenen Julius Nyerere, dem "Baba la Taifa" (Vater der Nation) regiert - als Prototyp des "afrikanischen Sozialismus". Nyerere hatte Ende der sechziger Jahre große Teile des Bildungswesens, das System der Gesundheitsfürsorge, Agrarbetriebe und die schwach entwickelten Schlüsselindustrien verstaatlicht. Bis in die Siebziger hinein erhielt Tansania zudem geradezu unbegrenzt internationale Kredite. Doch angesichts steigender Zinsen geriet das Land bald in eine Schuldenfalle, die sich durch fallende Weltmarkterlöse für den Export von Kaffee, Baumwolle und mineralische Rohstoffe sowie steigende Importpreise für Industriegüter auftat.

Wie für viele Staaten Ostafrika blieb nur die Alternative, entweder die Strukturanpassungsprogramme internationaler Kreditinstitute zu akzeptieren oder den ökonomischen Kollaps zu riskieren. Als Nyerere 1985 zurücktrat, handelt sein Nachfolger Ali Hassan Mwinyi eine Übereinkunft mit IWF und Weltbank aus, die im Prinzip bis heute gilt. Auch unter dem Patronat des jetzigen Präsidenten Benjamin Mkapa hat sich daran nichts geändert. Das heißt, derzeit fließen 40 Prozent des Staatshaushaltes in die Tilgung der über sechs Milliarden Dollar Auslandsschulden. Hauptgläubiger sind multilaterale Institute wie IWF und Weltbank gefolgt von den im Pariser Club vereinten Industriestaaten. Außenstände bei privaten Gläubigern spielen wie bei vielen anderen hochverschuldeten ärmsten Ländern (Severely Indepted Low-Income Countries/SILICs) kaum noch eine Rolle - die Konsequenz einer Schuldenstruktur aus öffentlichen Entwicklungskrediten sowie solchen Forderungen, die aus Schadensfällen staatlich verbürgter Liefergeschäfte des Privatsektors resultieren.

Mit der 1999 begonnenen Entschuldungskampagne wurde von IWF und Pariser Klub zwar angekündigt, Tansania innerhalb der nächsten 20 Jahre zwei Milliarden Dollar zu erlassen, doch sollten zuvor eine vergleichsweise niedrige Inflationsrate von maximal sieben Prozent und eine günstige Wachstumsprognose zu Buche schlagen. Außerdem war vorgesehen - anders als im Falle privater und bilateraler Gläubiger -, die erlassenen Schulden zu refinanzieren. Deshalb wird es einen "SILIC- Trustfonds" geben, der sich aus Reservemitteln des IWF, der Weltbank und der Afrikanischen Entwicklungsbank speisen soll - ein Finanzierungsmodell, das bis heute nicht gesichert ist. So bleibt Tansania - bis die SILIC-Initiative vollends greift - vor allem Eleve und Objekt neuer Strukturanpassungsprogramme, die seit 1999 Poverty Reduction and Growth Facility (PRGF) heißen und neben makroökonomischen Kriterien auch der Armutsbekämpfung Priorität einräumen.

Die tansanische Regierung hat dazu Ende 2000 in einem Strategiepapier signalisiert, im zurückliegenden Jahr 80 Prozent der neuen Kredite für den Schuldendienst eingesetzt zu haben, während der Rest dem Gesundheitssektor und Straßenbau sowie der Wasserversorgung und Landwirtschaft zugute kam. Allerdings wird in diesem Dokument zugleich vor zu hohen Erwartungen gewarnt. Um der grassierenden Pauperisierung tatsächlich begegnen zu können, müsste es ein makroökonomisches Fundament geben. Dies wiederum soll durch diverse Liberalisierungsmaßnahmen gelegt werden, die im Anhang des erwähnten Papiers mit konkreten Zeitvorgaben aufgelistet werden - bezogen auf die Rationalisierung des öffentlichen Dienstes und die Privatisierung der immer noch recht zahlreichen Staatsbetriebe. Ein solches Vorgehen hat seit 1993 zu einem Verlust von knapp 100.000 Arbeitsplätzen geführt und das Versicherungswesen wie die National Bank of Commerce in die Hände ausländischer Investoren gebracht, während die Internationalisierung des Wertpapierhandels an der Börse in Daressalam für 2001 annonciert ist.

Der IWF hat in einem Decision-Point-Dokument auf dieses Maßnahmepaket reagiert, wobei zum beabsichtigen Antikorruptionsprogramm und zur Zukunft von Staatsunternehmen konkrete Angaben zu finden sind, überraschenderweise aber die hoch dotierte Armutsbekämpfung eher am Rande behandelt wird. Lediglich für das Gesundheitswesen gibt es die Direktive, mindestens 75 Prozent der Kinder unter zwei Jahren gegen Masern und Diphtherie zu impfen. Dabei folgt der IWF mit den neuen Vorgaben hauptsächlich alten Zielen. "Armutsbekämpfung" soll schlicht und einfach einem sozialen Kollaps und der daraus folgenden politischen Destabilisierung vorbeugen. Ansonsten aber bleibt es das vorrangige Motiv, mit der Privatisierungsoption transnationale Unternehmen in Wirtschaftssektoren zu lotsen, die bisher staatlicher Obhut unterlagen. Ein prägnantes Beispiel sind die Wasserwerke von Daressalam (DAWASA). - Wie die Wasserversorger in den Regionen sollen sie der zentralstaatlichen Kontrolle entzogen und unter Regionalverwaltung gestellt werden, an der auch Privatunternehmen beteiligt sind. Der IWF greift dabei durchaus das Motiv der Regierung Mpaka auf, eine "adäquate Wasserversorgung für die Mehrheit der Bevölkerung" zu garantieren. Im Falle von DAWASA heißt das aber, die Wasserwerke der Kapitale werden für mindestens ein Jahrzehnt an einen privaten Interessenten vermietet und unterliegen dessen Gewinnkalkulation. In gleicher Weise dürfte in der Landwirtschaft - hier sind 90 Prozent der Tansanier beschäftigt - verfahren werden. Nachdem dank bisheriger Anpassungsprogramme schon die staatlich garantierten Festpreise für Agrarerträge aufgehoben sind, werden nun Anbauflächen der Staatsfarmen zu den marktüblichen Konditionen verkauft - ein Einschnitt, der spätestens 2003 seinen Abschluss finden soll.

Als Hoffnungsträger für mehr Prosperität gelten inzwischen besonders Tourismus und Bergbau. Tatsächlich hat seit 1995 der Anteil dieser Branchen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 45 auf 50 Prozent zugenommen. Die Prognosen setzen nun auf steigende Exporterlöse, die sich bis 2018 vervierfachen sollen, und ein Wachstum des BIP um 52 Prozent schon bis 2003. Mit diesen Einnahmen soll Tansania die Zinsen für seine Auslandsschulden zahlen, aber auch neue Kredite finanzieren können. Spätestens 2018 will das Land aus der von IWF und Weltbank dominierten Gruppe der "ärmsten" Staaten ausgeschert sein.

Tansanias Ökonomie im ostafrikanischen Vergleich


Durchschnittliche Wachstumsrate Investitionsquote Pro-Kopf-Einkommen Produktivität
des Bruttoinlandsproduktes / BIP (in Prozent des BIP/ (Stand 1998 / pro Arbeiter
(1990 - 1998 / in Prozent) Stand 1998) in Dollar) (USA = 1.000)
Uganda 7,1 15 310 0,03
Äthiopien 4,1 18 100 keine Angaben
Seychellen 3,5 23 6450 0,22
Tansania 2,9 16 130 0,03
Dschibuti -2,7 keine Angaben 130 0,44
Burundi -2,5 8 140 0,03
Ruanda -3,7 10 230 0,04

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