Am Ende der diesjährigen Oscar-Verleihung, als alle Entscheidungen gefallen waren und die meisten Zuschauer den Fernseher schon ausgeschaltet hatten, gab der Zeremonienmeister Seth MacFarlane noch ein Ständchen zum Besten. Es war den Verlierern des Abends gewidmet. Der Trost, den es ihnen spenden sollte, klang ebenso launig wie gönnerhaft. Wenn das Rennen erst einmal gelaufen ist, hat die schöne Formel, die eigentliche Ehre läge in der Nominierung, längst ihren Glanz verloren.
Pablo Larraíns No! war wacker in dieses Rennen gegangen. Die Konkurrenz um den Oscar für den besten ausländischen Film schien zwar von Anfang an zugunsten von Michael Hanekes Liebe entschieden. Als Kandidat allerdings war der chilenische Bewerber unwiderstehlich. Immerhin erzählt er von einem jener dem echten Leben abgetrotzten David-gegen-Goliath-Kämpfe, der den Mitgliedern der amerikanischen Filmakademie stets teuer war. Und von politischen Umwälzungen lässt sich das US-Publikum gern erzählen: sofern sie sich nicht im eigenen Land zutragen oder zumindest in der Vergangenheit liegen.
Larraíns Film handelt von einer Wette gegen die Aussichtslosigkeit: von dem Referendum, bei dem am 5. Oktober 1988 über die Fortsetzung oder Beendigung der Terrorherrschaft Augusto Pinochets entschieden wurde. Auf Druck der Weltöffentlichkeit (vor allem der USA, auf deren Beitrag zu Pinochets Machtergreifung der Oscar-Kandidat höflicherweise wenig Nachdruck legt) musste sich der Diktator nach 15 Amtsjahren zu dieser Geste demokratischer Öffnung entschließen. Mehr als ein Alibi ist sie nicht. Die Opposition streitet darüber, ob sie bei dem abgekarteten Spiel überhaupt mitmachen soll.
Bürgerliche Behaglichkeit
Das Drehbuch von Larraín und Co-Autor Pedro Peirano (La Nana – Die Perle) beruht auf Antonio Skármetas Bühnenstück Referendum, das sich die Ereignisse aus einer unverhofften Perspektive erschließt: Es wählt nicht den naheliegenden Blickwinkel eines Oppositionellen, sondern den eines Werbefachmanns, der die Marketingkampagne gegen die Wiederwahl leiten soll.
Dieser René Saavedra (Gael García Bernal) fügt sich in die Reihe der Figuren, die im Zentrum der ersten beiden Filme stehen, die Larraín über das Pinochet-Regime gedreht hat. Wie der Serienmörder, der in Tony Manero an einem Wettbewerb von John-Travolta-Imitatoren teilnimmt, und wie der unscheinbare Pathologieassistent, der in Post Mortem nach dem Putsch gegen Salvador Allende einer Tänzerin verfällt, nimmt René die politischen Verhältnisse kaum wahr. Er hat sich eingerichtet in einer Parallelwelt bürgerlicher Behaglichkeit. Saavedra, der auf zwei realen Figuren beruht, José Manuel Salcedo und Eugenio García, ist ein anfechtbarer Held. Obwohl er seinen Vater für einige Jahre ins mexikanische Exil begleitet hat und seine Ex-Frau (Antonia Zegers) gegen das Regime aufbegehrt, sieht er sich als unpolitischen Zuschauer. Als ihn Urritia (Luis Gnecco), ein Freund der Familie und der maßgebliche Stratege der Opposition, für den Auftrag gewinnen will, sträubt er sich nach Kräften. Das Risiko für seine Karriere ist ihm zu groß, zumal der Chef seiner Agentur (Alfredo Castro, der Hauptdarsteller von Larraíns vorangegangenen Filmen) zum engeren Kreis der Junta gehört. Seinen Lebensentwurf will er nicht infrage stellen, sein einziges Ausscheren aus den gesellschaftlichen Konventionen besteht darin, Skateboard zu fahren.
Saavedras Wandlung erzählen Larraín und Peirano als vertrackten Bildungsroman. Ist es das moralische Vermächtnis seines Vaters oder ein gewisser Sportsgeist, was ihn dazu bringt, sich auf die verlorene Sache einzulassen? Er spürt, dass nun die heroische Epoche seines Lebens anbrechen könnte. Die Opposition kann der erdrückenden Medienmacht der Gegenseite täglich nur 15 Minuten zu schlechter Sendezeit entgegenstellen. Überdies vertritt sie eine Pluralität von Standpunkten. Entscheidungen werden in mühseligen demokratischen Prozessen getroffen. René scheint die denkbar falscheste Wahl für ihre Kampagne, allzu glatt beherrscht er den anmaßenden Jargon der Werbebranche, die schon einen Softdrink als gesellschaftliche Befreiung anpreist.
Lustvolle Realitätsferne
Entsprechend entgeistert sind seine Auftraggeber dann auch von seinen ersten Vorschlägen. Anstatt in den Werbespots die Militärdiktatur anzuklagen, will René den Wählern die Zukunft Chiles in den buntesten Farben verheißen. Sein Konzept basiert auf der Idee der Alegría, der Freude. Aber die lustvoll realitätsferne, in Achtziger-Jahre-Kitsch schwelgende Kampagne verfängt allmählich bei den Wählern.
Larraín gelingt das Kunststück, den Zuschauer zum Komplizen dieser verschmitzten Demagogie zu machen, auch dank eines technischen Kunstgriffs: Er hat NO! in dem längst ausgemusterten U-Matic-Format gedreht, um keinen Unterschied sichtbar werden zu lassen zwischen seinen Spielfilmszenen und dem historischen Material der Werbespots. Die unscharfen Konturen der Bilder leuchten in den Regenbogenfarben der Opposition. Ihr Versprechen ist jedoch das der Werbung. Die Zukunft, die sie Chile in Aussicht stellt, wird nicht nur demokratisch sein. Die fröhlichen Bilder künden auch von der Verlockung, eine Konsumgesellschaft nach US-Muster zu werden. Darin erweist sich „No!“ nicht nur als bunte, sondern als tiefschwarze Komödie.
Gerhard Midding ist Filmkritiker und mit dem Oscar für „Liebe“ trotzdem sehr zufrieden
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