Des Rätsels Zündung

Ausstellung In Bremen folgt eine Schau den Bewegungen, die der Film „Letztes Jahr in Marienbad“ in der Welt der bildenden Kunst erzeugt hat
Ausgabe 02/2016

Irgendwo zwischen Vergangenheit und Gegenwart meint man, vom Weg abgekommen zu sein. Es ist nicht klar, wo der Pfad vom letzten Jahr zum Heute weitergehen soll. Zwar weisen Pfeile in Richtung Marienbad, aber der Besucher findet sich in der Mitte der Ausstellung unversehens in einem Raum wieder, der zu einer anderen Schau gehört, die sich „Regisseuren des Lichts“ von Rembrandt bis James Turrell widmet. Nicht wenige Besucher verweilen in ihm. Diese Irritation mag einer szenografischen Unpässlichkeit geschuldet sein. Alain Resnais und Alain Robbe-Grillet, den Erfindern des cineastischen Verwirrspiels Letztes Jahr in Marienbad, hätte sie bestimmt gefallen.

In ihrem filmischen Labyrinth erweisen sich Raum und Zeit als trügerische Kategorien. Es bricht mit den Regeln des linearen Erzählens; in ihm widerrufen Traum und Erinnerung kontinuierlich die Wirklichkeit. 1961 veränderte dieser Film die Syntax des Kinos nachhaltig und führte ein breiteres Publikum an die Avantgarde heran. Die zwei Alains schichteten unzählige Ebenen der Unergründlichkeit übereinander. Der französische Verleih fand ihn unverständlich. Der Surrealisten-Papst André Breton, den die Autoren als Fürsprecher gewinnen wollten, hasste ihn. Als Letztes Jahr in Marienbad bei den Filmfestspielen in Venedig den Goldenen Löwen gewann, avancierte er zu einem kulturellen Ereignis, an dem sich Partygespräche, philosophische Debatten und cineastische Glaubensfragen entzündeten. Wie heftig das Für und Wider diskutiert wurde, führt in der Ausstellung der Bremer Kunsthalle eine Doppelseite der französischen Tageszeitung Le Monde vor Augen, die akkurat die Positionen von Gegnern und Verteidigern darlegt. Allerdings löst die Schau Letztes Jahr in Marienbad radikal aus seinem filmhistorischen Kontext, mit dem Ziel, seine Ausstrahlung auf die anderen Künste – Malerei, Fotografie und Mode – umso schillernder präsentieren zu können.

Große Streichhölzer

Das ist insofern ein riskantes Unterfangen, da der Film allen möglichen Hypothesen und Phantasmen offenzustehen scheint. Seine Bilderwelt ist ins kollektive Gedächtnis eingegangen; das Aufzeigen von Zusammenhängen und Einflusslinien könte sich im Vagen, ja der Beliebigkeit verlieren. Vollends gebannt haben die Kuratoren Eva Fischer-Hausdorf und Christoph Grunenberg diese Gefahr nicht. Sie warten mit großen Namen auf (Gerhard Richter, Robert Longo, Bruce Nauman), um die Spuren aufzuzeigen, die Letztes Jahr in Marienbad hinterlassen hat.

Das ist nicht durchweg schlüssig. Jeff Koons’ vergoldet-verzierter Spiegel Christ and Lamb trägt wenig Erhellendes bei. Wer sich künstlerisch mit den Mysterien der Realität und der Identität auseinandersetzt, hat Resnais und Robbe-Grillet praktisch immer auf seiner Seite. Cindy Shermans fotografische Arbeit Filmstills ist da stets ein zuverlässiges Passepartout.

Eindeutiger verhält es sich bei jenen Künstlern, die den Film unmittelbar zitieren wie Marie Harnett, die einzelne Einstellungen in Miniaturzeichnungen überträgt, oder Kota Ezawa, der die mondänen Posen der Filmfiguren in den Animationsfilm übersetzt. Ungleich aufschlussreicher ist es, nicht nach direkten Einflüssen zu suchen, sondern das Erbe des Films als ein ikonografisches Reich zu begreifen, das sich kontinuierlich erweitert.

Patrick Faigenbaums Serie kühl distanzierter Gesellschaftsporträts, Rodney Grahams leuchtendes Diptychon Actor/Director und Vanessa Beecrofts Performance VB51 sind in dieser Hinsicht bezwingende Exponate. Noch spannender wird es bei Arbeiten, die der filmischen Symbiose von Form und Inhalt Rechnung tragen, indem sie seine Struktur und Thematik neu interpretieren.

Laurent Fiévets Videoinstallation reduziert die Szenenfolge des Films entsprechend den geheimnisvollen Regeln des „Nim“-Spiels, bei dem sich die männlichen Protagonisten messen. In dessen Regelwerk wird man übrigens zu Beginn der Ausstellung eingeweiht und kann es mit großformatigen Streichhölzern nachspielen. Immerhin dieses Rätsel wird gelöst.

Info

Letztes Jahr in Marienbad – Ein Film als Kunstwerk Kunsthalle Bremen Bis 13. März, kunsthalle-bremen.de

der Freitag digital zum Vorteilspreis

6 Monate mit 25% Rabatt lesen

Der Freitag im Oster-Abo Schenken Sie mutigen Qualitätsjournalismus!

Print

Entdecken Sie unsere Osterangebote für die Printzeitung mit Wunschprämie.

Jetzt sichern

Digital

Schenken Sie einen unserer Geschenkgutscheine für ein Digital-Abo.

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden