Die Macht des Alltäglichen

Im Kino "The Host" von Bong Joon-ho ist in einem Horrorfilm, Familienmelodram, Politsatire, ökologische Klageschrift und Slapstickkomödie

Das größte Ärgernis in handelsüblichen Horrorfilmen ist zweifellos die Dummheit und Ahnungslosigkeit, mit der sich die Opfer gemeinhin in Gefahr begeben. Diese Konvention engt nicht nur den Rahmen der Spannungsdramaturgie kläglich ein. Sie schmeichelt überdies dem Publikum, indem es einen wohlfeilen Impuls der Überlegenheit anspricht. Identifikation und Empathie schlagen um in Verächtlichkeit: Irgendwie geschieht es den Figuren schon ganz recht.

Selten und kostbar sind deshalb Filme, die nonchalant diese Gepflogenheit des Genres durchkreuzen und ihren eigentlichen Reiz aus der Ermächtigung ihrer Figuren schöpfen. Der beispiellose Kassenerfolg, den The Host daheim in Korea verzeichnete, verdankt sich zu einem nicht geringen Teil gewiss dem Umstand, dass er sich gleichsam von der Wehrhaftigkeit seiner unverhofften Helden überraschen lässt. Zwar ist das Ungeschick ein zentrales Motiv in Bong Joon-hos Film. Nicht nur seine Hauptfiguren müssen demütigende Momente der Tolpatschigkeit durchleben, auch das Monster, das sich ansonsten mit furchterregender akrobatischer Eleganz in seinem Element bewegt, rutscht einmal auf einer regennassen Straße aus. Aber Bong Joon-hos Helden, allesamt Außenseiter, die vom ökonomischen Boom ihrer Heimat übervorteilt wurden, schlagen der Aussichtslosigkeit ihrer Lage manches Schnippchen. Ein ungebrochenes Happyend ist damit indes noch lange nicht versprochen.

Einige Jahre, nachdem US-Militärs Hunderte Liter giftigen Abfalls in den Han-Fluss geleitet haben (der Film geht auf einen tatsächlichen Umweltskandal aus dem Jahr 2000 zurück), versetzt eine bösartig mutierte, riesige Kaulquappe die Bevölkerung von Seoul in Angst und Schrecken. Sie verschleppt Hyun-seo, die Enkeltochter des Kioskbesitzers Park Hee-bong. Da das Monster angeblich Überträger eines Virus ist, wird dessen gesamte Familie in Quarantäne gesteckt. Als die Totgeglaubte ihren Vater Gang-du nachts aus dem Versteck der Bestie mit dem Handy anruft, fliehen die Parks aus dem Krankenhaus, um sie auf eigene Faust zu befreien. Das Militär ist ihnen fortan noch erbitterter auf den Fersen als dem Monster. Ohnehin verbreiten die Manipulationen der Behörden und Mediziner in The Host den größeren Schrecken: Die koreanische Regierung will die Situation nutzen, um unter dem Patronat der Amerikaner einen neuen chemischen Kampfstoff zu erproben.

Wo die Gesellschaft versagt, müssen sich Familienzusammenhalt, persönliche Netzwerke und ziviler Ungehorsam bewähren. Die Parks erscheinen zunächst untauglich, um die Situation zu meistern. Der Alte kommt zwar für den Lebensunterhalt der Kinder auf, muss sich seine patriarchale Autorität aber erst wieder neu erstreiten. Der verlassene Kindsvater Gang-du scheint geistig ein wenig zurückgeblieben. Sein jüngerer Bruder Nam-il hat nach dem Studium keine Arbeit gefunden und vertrödelt seither verbittert und meist leicht alkoholisiert seine Zeit. Die Schwester Nam-joo ist eine begabte Bogenschützin, zaudert bei Turnieren aber stets im letzten Moment. Das Gefühl von Zusammengehörigkeit war der mutterlosen Familie längst abhanden gekommen; es muss sich in der Krise neu entwickeln. Bedrohung und Verlust werden ihr nicht, wie es die Genrekonventionen Hollywoods vorsehen, als läuternde Prüfung auferlegt. The Host ist vielmehr fasziniert von der Unverwüstlichkeit seiner Figuren, die ganz im Alltäglichen verwurzelt ist, dem Bergen verschütterter Talente und dem Wiederentdecken der Solidarität.

Mit nachgerade liebevoller Beharrlichkeit nimmt Bong Joon-ho die Wechselfälle dieser Biografien in den Dienst seiner Geschichte. Gang-du überrascht seine Geschwister mit Momenten der Hellsicht und Entschlossenheit. Der demo-erprobte Nam-il versteht sich auf das Verfertigen von Molotow-Cocktails. Und der Zuschauer darf sich der Gewissheit anvertrauen, dass die Bogenschützin Nam-joo diesmal nicht im entscheidenden Augenblick zögern wird. Verblüffend führt die Montage die zeitweilig versprengten Familienmitglieder immer wieder zusammen. Hyun-seo muss in ihrem Gefängnis unterdessen blitzschnell erwachsen werden. Auf einem seiner Raubzüge hat das Monster einen kleinen Waisenjungen erbeutet, für den die 13-Jährige nun Verantwortung übernimmt.

Das Disparate zu verschmelzen, die Parallelführung von Genreelementen und persönlichem Drama, ist ein Grundimpuls im Kino dieses Regisseurs. Bong Joon-hos vorangegangener Film Memories of Murder (über die Suche nach dem ersten Serienmörder in der Geschichte Koreas) verknüpfte das Thrillergenre mit komödiantischen Zwischentönen und einem präzisen Zeitbild der Spätphase der Militärdiktatur. The Host ist zugleich Horrorfilm, Familienmelodram, Politsatire, ökologische Klageschrift und Slapstickkomödie. Meisterlich hält Bong Joon-ho diese Komponenten im Gleichgewicht (wobei der erstaunlich ungenierte Anti-Amerikanismus seines Films durch die ungelenke Karikatur der Schurken arg kompromittiert wird), wechselt behände Tonfall und Rhythmus und trotzt den Konventionen regelmäßig Freiräume ab, damit wir seine Figuren noch besser kennen lernen können. Wie sorgfältig sein Drehbuch hauszuhalten versteht mit dem Reichtum der Motive und Ideen, belegt allein schon der dramaturgische Werdegang der Bierdose, die Gang-du zu Anfang gedankenlos seiner Tochter anbietet. "Du bist ein komischer Vater", erwidert Hyun-seo entrüstet. Später wirft er verzweifelt eine weitere Dose nach dem Monster, als es in den Fluten des Han verschwindet. In seinem Versteck spuckt es sie aus. Und als Hyun-seo ihrem kleinen Schutzbefohlenen Angst und Hunger mit einem Spiel vertreiben will, denken sie sich lauter Sachen aus, die sie jetzt gern hätten. Den Kleinen verlangt es nach lauter Süßigkeiten. Aber sie sagt stolz: "Ich möchte ein kaltes Bier."


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