Es war die gute Nachricht des vergangenen Wochenendes: Jafar Panahi wurde auf Kaution aus dem Gefängnis von Evin entlassen. Der iranische Regisseur hatte keinen Zweifel daran gelassen, wie ernst es ihm mit dem Hungerstreik war, den er am ersten Februar angetreten hatte.
Weltweit ist die Erleichterung darüber groß, dass er die gefürchtete Haftanstalt lebend verließ. Sein Gesundheitszustand soll den Umständen gemäß gut sein. Mitte Januar war allerdings bekannt geworden, dass sich der 62-Jährige im Gefängnis eine schwere Hautkrankheit zugegezogen habe. Seine Familie und seine Anwälte hegten die Hoffnung, die Behörden würden ihm für die ärztliche Behandlung eine kurze Haftverschonung gewähren. Jetzt wurde er in jene
er in jene Unfreiheit entlassen, in der er seit 14 Jahren lebt.Im vergangenen Juli suchte er das Gefängnis von Evin auf, um sich nach seinem inhaftierten Freund und Kollegen Mohammad Rasoulof (der Freitag 28/2022) zu erkundigen. Die Staatsanwaltschaft ließ ihn umgehend festsetzen. 2010 war er wegen „Propaganda gegen das Regime“ zu sechs Jahren Haft und Berufsverbot verurteilt worden, weil er einen Dokumentarfilm über die Massenproteste gegen die Präsidentschaftswahl 2009 drehen wollte. Im Oktober entschied das Oberste Gericht in Teheran zwar, dass das Urteil gegen ihn inzwischen verjährt ist. Aber die Sicherheitsbehörden lenkten nicht ein.Wie souverän und einfallsreich Panahi das Berufsverbot – es war zunächst auf 30 Jahre festgelegt, wurde dann auf 20 Jahre reduziert – unterlief, ist dem Festival- und Kinopublikum seitdem bestens vertraut. Das Filmemachen blieb der Fluchtpunkt seiner Existenz.Sein Arbeitstempo beschleunigte sich sogar. Seit This Is Not a Film in Gestalt eines in einer Geburtstagstorte versteckten USB-Sticks 2011 in Cannes eingereicht wurde, drehte er alle zwei Jahre einen neuen Film, in dem er jeweils selbst die Hauptrolle spielt. Davor betrug der Abstand drei Jahre.Panahis Präsenz war eine zweifache: eine der Sichtbarkeit und eine der Abwesenheit. Sein Stuhl als Jurypräsident beziehungsweise -mitglied blieb in Cannes und Berlin leer. Den Goldenen Bären für Taxi Teheran nahm 2015 triumphierend seine kleine Nichte entgegen, die darin eine hinreißend altkluge Version ihrer selbst spielt und mit ihrem Onkel über Zensur debattiert. Sein jüngster Film Keine Bären wurde während der Haft von Freunden beendet und zum Venedig-Festival geschickt. Dort erhielt er den Spezialpreis der Jury.Panahis Rolle als Chauffeur in Taxi Teheran darf man als Allegorie lesen: Der Filmemacher beansprucht, voll ironischem Stolz, den Fahrersitz für sich. Von ihm aus kann er, wie er es aus seinem eigentlichen Beruf gewohnt ist, die Richtung vorgeben. Seine Biografie ist nicht zusammengebrochen: Die Koordinaten seines Lebens sind verrückt, aber es ist nicht zerstört.Panahis Filmauftritte im vergangenen Jahrzehnt täuschen fast darüber hinweg, wie unerträglich seine Situation ist. Er gibt sich den Anschein, sie mit freundlichem Fatalismus zu parieren. Der Regisseur setzt notgedrungen die eigene Person im Bezug zum Alltäglichen in Szene. Durch den durch das Regime verhängten Hausarrest ist er zum unfreiwilligen Narziss geworden: Das eigene Antlitz wurde zum Gegenüber seiner Kamera. Filmemacher werden nicht als Dissidenten geboren. Panahis frühe Arbeiten folgen zunächst den Grundzügen des aktuellen iranischen Kinos, gehorchen dem Gebot einer poetischen Einfachheit und machen sich die Erzählperspektive von Kindern zu eigen.Bereits sein Regiedebüt Der weiße Ballon 1995 ruft die Zensur auf den Plan. Das Regime verlangt, dass er als iranischer Kandidat für den besten ausländischen Film bei den Oscars zurückgezogen wird. Die auf den ersten Blick unverfängliche Fabel über ein kleines Mädchen, das sich zur Neujahrsfeier unbedingt einen Goldfisch wünscht, zeigt bereits Panahis wachsame filmische Zeugenschaft.Er wirft einen genauen Blick auf die alltäglichen Beschränkungen der Freiheit in einem repressiven Regime. Gitter sind in seinen Filmen allgegenwärtig. Der Kreis, 2000 in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet, ist die schärfste Anklage des nach der Revolution wiederhergestellten Patriarchats. Der Film begleitet mehrere aus dem Gefängnis entlassene Frauen auf ihren Flucht- und Irrwegen durch die Stadt. Sie sind vogelfrei und umzingelt von lauter Verboten: Allein reisenden Frauen dürfen keine Fahrkarten ausgestellt werden, Abtreibungen dürfen nur mit der Zustimmung ihrer Schwiegerväter vorgenommen werden.Schon im Straßenverkehr werden repressive Strukturen kenntlich, etwa die Bevormundung durch Lautsprecherdurchsagen. Scheinbar beiläufig stellt Panahi drei Jahre später in Blutrotes Gold die Willkür von Polizei und Militär dar.Stets begreift Panahi die Realität als Auslöser des Erzählens. Aber seine Filme sind deutungsoffen: gleichermaßen spezifisch wie universell, konkret wie allegorisch. Der Gegensatz zwischen Klaustrophobie und Freizügigkeit beschäftigt ihn von Anfang an. Seine Figuren sind Lebensbastler, die sich anpassen und der Eingabe des Augenblicks folgen, um Situationen zu meistern.Von This Is Not a Film an muss Panahis eigene Wohnung als Stellvertreter für ihn nun unerreichbare Drehorte dienen. Der Hausarrest wird zum Brennglas, unter dem sich die gesellschaftlichen Verhältnisse bündeln. Er trotzt ihnen mehr ab, als sie zu geben bereit wären. Das ist vielleicht das Erstaunlichste an dieser Zensur-Geschichte: Jafar Panahi gelingt es selbst unter dem Vorzeichen des Berufsverbots, an sein vorheriges Werk anzuknüpfen.